Mira Beller

UNARTIG


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Er war unglaublich enttäuscht darüber bei einem niveauvollen Unternehmen tätig zu sein und seine kreativen Ideen nicht ausüben zu können. Heute hat er sich damit abgefunden, denn eines Tages würde er ein Kult-Regisseur sein. Das Ansehen wäre ihm dabei nicht so wichtig, mehr zählte die Kunst der Cinématographie. Seine Leidenschaft zu leben und zu spüren. Wie ein Künstler der Boheme.

      Schon als kleiner Junge faszinierten ihn Filme und Filmemacher. Mit seiner Leica nahm er erste Kurzfilme auf. Als er dann gegen den Willen seines Vaters an der Kunstakademie das Studium begann, machte das seinen Vater noch rasender. Und Paolo konnte nicht anders, als sich gegen ihn aufzulehnen, zu rebellieren. Bis er merkte, dass die dortigen Professoren und Studenten zu vergeistigt und viel zu illusionär im Kopf waren. Dies war nichts für ihn, er wollte doch echte, spürbare Kunst produzieren.

      Er brach das Studium ab und entschied sich dafür, eine Ausbildung als Kameramann zu absolvieren, stets in der Hoffnung nach einigen Jahren Erfahrungen die Kompetenzen für einen Regisseur aufweisen zu können. Und nun acht Jahre später, steht er nach wie vor hinter der Kamera und konzipiert keine Plots und Szenen.

      Doch er wird seinen Traum nicht aufgeben, er bleibt optimistisch. Das Leben ist gut und er hat noch viel Zeit, seinen eigenen Weg zu gehen. Er verdient ausreichend Geld, führt etwas aus, was er gut kann und hat beim Sender einen guten Freund gefunden. Was will man mehr?

      Wäre er dem Bestreben seines Vaters nachgegangen, würde er heute in einer Bank oder in einer Anwaltskanzlei versauern und seine kreative Begabung verkümmern lassen. Dieser wünscht sich stets, dass sein Sohn ihm nacheifern würde. Als erfolgreicher Banker zog der ursprüngliche Katalane mit Frau und Kind von Barcelona nach Frankfurt. Das Manhattan Deutschlands. Die Geschäfte liefen großartig, doch Mutter und Sohn vermissten das milde Klima und die lebensfrohen Menschen. Es fehlte ihnen an sprudelndem Leben, historischen Gemäuern, Kulturveranstaltungen und einzigartigen Naturoasen. Da sein Vater weiter seinen vielversprechenden Bankgeschäften nachgehen wollte, entschied man sich für einen Umzug nach München, um einen Kompromiss einzugehen. Sowohl südlicher, mit milderem Klima und einer unbeschreiblichen Natur als auch international anerkannt mit namhaften Banken.

      Als Jugendlicher verbrachte Paolo viel Zeit mit seiner Mutter in der Münchner Innenstadt. Schon seit jeher hatte Paolo eine enge und sehr vertraute Beziehung zu seiner Mutter, ohne, dass diese zu intim gewesen wäre. Sie war mehr eine sehr gute Freundin für ihn und auch umgekehrt war Paolo stets wie ein sehr guter Freund für seine Mutter. Gemeinsam gingen sie zu neuen Theatervorstellungen ins Bayerische Staatstheater, zum Picknick in den Englischen Garten, in die Alte Pinakothek wie auch ins Kino. Es war eine wunderbare Zeit.

      Seine Mutter erzählte ihm viel über spanische Kunst, Literatur und Film. Über die Zeit, als Franco das Land beherrschte und somit auch den Geist der Gesellschaft prägte wie auch in der Übergangsphase, der Transición. Als ehemalige Professorin an der Kunstakademie in Barcelona der Reial Acadèmia Catalana de Belles Arts de Sant Jordi wusste sie über fast alles Bescheid.

      Sie war seine Heldin, so weise und kämpferisch wie Athene und so liebevoll und fürsorglich wie Mutter Theresa. Ganz anders als sein Vater, welcher nur an nüchternen Zahlen und Bilanzen festhielt und seinem Sohn, wenn überhaupt, nur wenig Zeit erübrigte. In dieser fand er keinen Zugang zu ihm. Keine Stunden auf dem Rasen beim Fußball oder in der Garage, um sein Fahrrad zu reparieren. Es gab nur Diskussionen über berufliche Ziele, Pflichtbewusstsein und natürlich Geld. Paolo kam dies immer durch und durch deutsch vor. Doch seine Freunde auf der Schule und einige auf der Akademie waren ganz anders. Identifizierte sich sein Vater mit einem deutschen Leitbild, welches in dieser Form gar nicht existierte? Oder lag es daran, dass er aus einer ärmlichen Familie stammend, sich stets durchkämpfen musste, um sein Ziel, eines Tages ein erfolgreicher Mann zu werden, zu erreichen? Natürlich war es schwer für ihn, aber weswegen konnte er Paolo nicht seinen Freiraum gestatten? Akzeptieren, dass er nicht für Zahlen und Businesspläne geschaffen war. Er würde nur wie eine wasserliebende Pflanze in der Wüste austrocknen und verkümmern. Und eine Frage stellte er sich damals immer wieder und fand nie eine Antwort darauf:

      Wie um alles in der Welt fand seine Mutter Gefallen an seinem Vater? Sie als leidenschaftliche Frau von Welt, mit Sinn für Kunst und Kultur. Wie konnte er sie beeindrucken? War er denn früher anders gewesen, bevor Paolo auf die Welt kam?

      Als er als eines Tages wieder einmal von seinem Vater an den Kopf geworfen bekam, dass er keine Ziele hätte und mit seiner Filmerei seinen Weg als arbeitsloser Versager schon vorhersehen könnte, war Paolo außer sich vor Wut und Enttäuschung. Er konnte seinen Vater einfach nicht verstehen. Er verzog sich in sein Zimmer und sah sich seine letzten Aufnahmen an, bis seine Mutter behutsam sein Zimmer betrat. Sie setzte sich neben ihn auf sein Bett und streichelte ihm sanft über den Kopf.

      „Papa meint es nicht so, cariño1. Er möchte doch nur, dass du es später gut hast. Dass du von deinem Beruf leben kannst. Er fürchtet nur, dass du nicht erfolgreich wirst in einem Land wie Deutschland. Doch ich weiß, was in dir steckt. Du hast großes Talent und Deutschland ist auch das Land der Dichter und Denker wie auch der Künste. Du wirst deinen Weg gehen, da bin ich mir sicher. Wir müssen nur noch deinen Vater davon überzeugen. Er kommt eben aus einer Familie, in der Geld dringend nötig gewesen wäre und Pragmatismus die einzige Überlebensstrategie für deinen Vater darstellte. Es war nur logisch, dass er ins Bankengeschäft ging. Dort konnte man schnell sehr viel Geld verdienen.“

      Paolo seufzte. „Ja, ich weiß, Mama. Aber hatte er denn als junger Mann keine Träume von der Zukunft? Wollte er denn tatsächlich schon immer in einer Bank arbeiten? Ich verstehe es einfach nicht, wieso er nicht sehen kann, dass ich dafür nicht geeignet bin. Ich bin keine Leuchte in Mathematik und Finanzen sind mir ein Graus. Ich könnte als Banker einfach nicht arbeiten. Dort wäre ich ein totaler Versager!“

      „Das weiß ich, mi amor2. Obwohl ich das Wort Versager nie wieder hören möchte. Auch dein Vater wird es bald verstehen. Und wie schon gesagt, er möchte nur das Beste für dich. Er möchte dich gut versorgt wissen. Auch er war früher sehr fasziniert von der Kunst im Bürgerkrieg wie die Arbeiten von Pablo Picasso und in der Zeit nach Franco. Damals in Spanien waren wir beide auf vielen Vernissagen, Filmvorführungen und Literaturabenden in Barcelona und Madrid. Es war eine wunderbare Zeit.“

      Paolo blickte verwundert zu seiner Mutter auf. „Ach wirklich? Er hat sich für Kunst interessiert? Und wieso tut er das heute nicht mehr?“

      Seine Mutter legt behutsam ihre Hand auf seine und antwortet ihm: „Paolo, dein Vater war früher ein wahrer Freigeist. Er sehnte sich nach Demokratie und freie Meinungsäußerung. Nach Franco war dies bei vielen Spaniern der Fall. Und in der damaligen Kunst konnte man dies ausdrücken, was jahrelang verborgen war. Die Unterdrückung des Volkes. Es war wie eine Therapie für viele Menschen. Es verschafft ihnen Heilung. Doch diese Wirkung ließ nach, sobald sich die demokratische Phase im Land etabliert hatte. Sobald Gewöhnung eintritt und der Kapitalismus das neue Leitdiktat wurde. Vor allem mit dem wirtschaftsstarken Deutschland verband dein Vater seit jeher Erfolgsstreben und Kapitalvermehrung. Es war um seine idealistischen Vorstellungen vom Leben geschehen. Als kleiner Junge wollte er nur später einmal viel Geld für seine Familie verdienen. Mit der Zeit sah er, dass dies im Bankengeschäft leicht zu machen war. Sein eigentlicher Traum war es, ein Sänger an der Oper zu werden. Er hat eine außerordentliche Stimme. Als er das erste Mal für mich sang, hab ich mich schlagartig in ihn verliebt.“ Paolo kam aus dem Staunen nicht mehr heraus:

      „Was? Papa wollte Opernsänger werden? Das ist ja unglaublich! Wieso hat er denn seinen Traum aufgegeben, nachdem Spanien nun ein westlich geprägtes Land war?“

      Carina sah Paolo mit einem sanften Ausdruck an, mit den wunderschönen mandelbraunen Augen, welche Paolo von ihr geerbt hatte. Sie lächelte resigniert und sagte schließlich: „Ach amor mío3, das Leben kommt oft ganz anders wie man es sich vorstellt. Nur wenige schaffen es, ihren Traum zu leben. Auch wenn du in einem scheinbar freien Land lebst, gibt es doch andere Zwänge, welche dir die Grenzen deiner Möglichkeiten bewusst werden lassen. Um Opernsänger zu werden, eine Ausbildung zu bekommen, hätte dein Vater erst einmal viel Geld gebraucht, um diese bezahlen zu können.