Heidi Oehlmann

Plötzlich ist alles anders


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und ein Mal das herzhafte Frühstück«, sagte Max zu der Bedienung hinter der Theke, bevor wir uns an den ersten Tisch setzten.

      So machten wir es immer, damit wir beide von jedem etwas bekamen. Es sah wie gewohnt lecker aus, als die Kellnerin uns die Teller brachte.

      Gerade hatte ich den ersten Bissen von dem mit Käse belegten Brötchen gemacht, als ich merkte, mit mir stimmte etwas nicht. Meine Augenlider fingen wie wild an, zu zucken. Mir wurde auf einmal heiß und anschließend eiskalt. Beide Zustände wechselten sich im Sekundentakt ab. Vielleicht waren sie auch gleichzeitig da. So genau wusste ich es nicht. Ich hatte in dem Augenblick andere Sorgen, als mir Gedanken darüber zu machen. Mein körperliches Befinden versetzte mich in Panik. Ich ahnte nicht, was als Nächstes passieren wird. Es fühlte sich so an, als würde ich jede Sekunde umkippen. Mir fiel das Atmen zunehmend schwerer. Für einen Moment vergaß ich, wo ich mich befand. Ich konnte mich selbst kaum noch wahrnehmen. Mein komplettes Körpergefühl war verschwunden. Ich ließ das Brötchen auf den Teller fallen und hoffte, dieser Zustand löste sich bald in Luft auf, aber das tat er nicht. Ganz im Gegenteil, es wurde noch schlimmer. Plötzlich sah ich für einen Sekundenbruchteil eine beängstigende Schwärze vor den Augen. Meine Panik wurde größer. Dann sah ich wieder alles, zwar etwas verschwommen, aber die Bilder waren da. Kurz darauf kehrte erneut die Dunkelheit zurück. Es wechselte sich ständig ab. Es war, als würde jemand das Licht an- und ausschalten, der Spaß daran hatte, den Lichtschalter willkürlich zu betätigen.

      Ich wusste nicht, was das bedeutete. So etwas hatte ich noch nie zuvor erlebt. Selbst in der Früh, als ich im Badezimmer zusammengebrochen war, ging es mir keinesfalls so schlimm, wie in diesem Augenblick. Morgens im Bad, als ich mich zurechtmachen wollte, wurde mir auch schwarz vor Augen und fürchterlich schwindelig. Das fand ich schon beängstigend. Aber das war nicht annähernd so grauenvoll und ging zum Glück schnell vorbei.

      »Ist alles in Ordnung mit dir?«, hörte ich Max fragen.

      Ich nahm seine Stimme kaum wahr. Sie war so leise, als wäre Max in weiter Ferne. Dabei saß er mir noch immer gegenüber.

      Ich konnte kein Wort sagen und schüttelte nur mit dem Kopf, um ein Nein anzudeuten. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, zu begreifen, was gerade mit mir passierte. Mir war in keinster Weise bewusst, dass meine Reaktion Max beängstigte. Wie denn auch? Ich konnte ihn schließlich kaum sehen. Der Wechsel zwischen der Schwärze und dem halbwegs klaren Bild ging so schnell. Ich bekam die Übergänge nur schwerlich mit. Mir kam es vor, als wäre ich teilweise blind. Wenn es anders gewesen wäre, hätte mir die sorgenvolle Miene von Max - die er in diesem Moment zweifellos hatte - sicher verraten, was er dachte. Mein Kopfschütteln war gewiss nicht die beruhigendste Antwort auf seine Frage.

      Es dauerte eine ganze Weile, bis dieses komische Gefühl schwächer wurde und ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.

      Nachdem das Licht endlich an blieb, die Bilder halbwegs da waren, rannte ich zur Toilette und kühlte mir den Nacken. Es tat verdammt gut und nach einigen Minuten ging es mir etwas besser. Bis auf ein Flimmern vor meinen Augen waren die restlichen Zustände verschwunden. Ich hatte das Gefühl, als würde sich alles, was ich sah bewegen, wie auf einem Fernseher, bei dem das Bild flackerte. Es fühlte sich so unwirklich an, so wie in einem Albtraum. Aber ich befand mich in der Realität und wusste, ich wachte nicht jeden Moment auf und bekam mein altes Leben zurück.

      Ich hatte keine Ahnung, wie lange das Ganze dauerte und was es zu bedeuten hatte. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. So ein Erlebnis hatte ich noch nie gehabt. Ich fragte mich - obwohl dies eben stärker war als am Morgen - ob die beiden Vorfälle zusammenhingen. Und ob es mit jedem Mal schlimmer werden könnte. Ich versuchte das Erlebte, so gut es ging zu verdrängen und redete mir ein, es läge am Stress. Wir waren zwar erst seit ein paar Tagen aus dem Dänemarkurlaub zurück, aber vielleicht hatte ich es einfach nur übertrieben und war zu schnell von null auf hundert gewesen. Es könnte natürlich auch an den Magnesiumtabletten liegen, die ich seit unserer Rückkehr nahm. In Dänemark hatte ich nachts so heftige Wadenkrämpfe, dass ich beschloss, sobald wir wieder zu Hause waren, Magnesium zu nehmen. Ich kaufte mir solche Brausetabletten, die sich in Wasser auflösen. Davon nahm ich jeden Tag eine. Eigentlich dürfte es nicht zu viel sein. Auf der Verpackung wurde eine Tablette pro Tag empfohlen. Damit sollten ungefähr fünfzig Prozent des Tagesbedarfs abgedeckt sein.

      Ich überlegte, ob ich das Magnesium wieder absetzen konnte. Immerhin waren die nächtlichen Krämpfe inzwischen verschwunden. Dann wüsste ich, ob es an den Brausetabletten lag. Vielleicht ginge es mir in ein paar Tagen schon besser. Also beschloss ich, in nächster Zeit auf die Magnesiumtabletten zu verzichten. Mit dieser Entscheidung fühlte ich mich sofort ein wenig erleichtert. Im Hinterkopf blieb die Angst, es könnte nicht an den Brausetabletten liegen und eine andere Ursache haben. Den Gedanken schob ich weit von mir weg.

      Als ich die Tür öffnete, um die Toilette zu verlassen, sah ich Max mit einer besorgten Miene vor der Tür stehen. Gleich, als er mich sah, fragte er: »Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist so schnell verschwunden. Du hast ausgesehen, als hättest du ein Gespenst gesehen.«

      »Ich weiß nicht, was gerade mit mir los war. Mir war auf einmal schwarz vor Augen. Es war noch schlimmer als heute Morgen. Lass uns zurück an den Tisch gehen!«, sagte ich und hoffte, das Ganze hatte sich damit erledigt.

      Wir gingen wieder zu unseren Plätzen und setzten uns. Mir war der Appetit inzwischen gründlich vergangen. Ich versuchte, wenigstens meinen Kaffee auszutrinken, der mittlerweile eiskalt war. Für mich gibt es kaum etwas Schlimmeres, als ihn kalt trinken zu müssen, zumindest wenn er schwarz, ohne Milch ist. Zu dieser Zeit hatte ich die Phase das Heißgetränk pur zu mir zu nehmen.

      Ich fühlte mich ausgelaugt, so schwach, als hätte ich einen mehrstündigen Marathonlauf hinter mir. Am liebsten wäre ich aus dem Café gelaufen, um frische Luft zu tanken. Aber ich wollte Max das Frühstück nicht verderben. Ich beobachtete ihn, wie er genüsslich den Rest seines Brötchens aß, und bot ihm meins auch noch an. Er nahm es dankend an. Es wäre auch zu schade gewesen, es wegzuwerfen, nur weil mein Körper gerade verrückt spielte.

      Während Max in aller Ruhe frühstückte, schaute er mich so besorgt an. Ich versuchte zu lächeln, um ihn dadurch zu beruhigen. Das gelang mir nicht. In seinen Augen konnte ich die Sorgen, die er sich um mich machte, ablesen. Ich fühlte mich unwohl in dieser Situation und hoffte, mein Körper würde sich die restliche Zeit im Café zusammenreißen.

      Als Max fast fertig war, sagte ich: »Können wir jetzt los? Ich möchte gern nach Hause und mich hinlegen. Das mit dem Shoppen sollten wir lieber verschieben, bevor noch eine Überraschung kommt.«

      »Ja, ich denke auch, es ist besser für heute Schluss zu machen«, sagte Max und bezahlte das Frühstück. Dann gingen wir gemütlich zu unserem Auto und fuhren los.

      Nachdem wir zu Hause eintrafen, legte ich mich hin. Leider konnte ich nicht schlafen. Es war kein Wunder, schließlich war ich erst vor drei Stunden aufgestanden. Ich stand also nach kurzer Zeit auf und entschied mich, ein Buch zu lesen. Das lenkte wenigstens ab, und wenn es mich noch etwas müde machen würde, könnte ich ein kleines Mittagsschläfchen halten. Das dachte ich zumindest.

      Natürlich wurde aus dem Mittagsschlaf nichts. Stattdessen las ich den restlichen Tag. Ich hatte das Buch bis zum Abend durchgelesen und versuchte endlich einzuschlafen. Nach kurzer Zeit gelang es mir. Ich schlief durch bis zum nächsten Morgen und bemerkte nicht einmal, wann Max ins Bett gekommen war. Zugegeben, ich hatte schon immer einen tiefen Schlaf. Aber in dieser Nacht hätte man mir das Bett unter dem Hintern klauen können, ohne dass es mir aufgefallen wäre.

      Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, war dieses Augenflimmern zu meinem Entsetzen noch da. Außerdem verspürte ich ein leichtes Herzrasen. Mein Herz schlug viel schneller als sonst. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Denn ich hatte keine Ahnung, was es zu bedeuten hatte und rechnete mit dem Schlimmsten. Mit Herzbeschwerden ist schließlich nicht zu spaßen. Um mich selbst zu beruhigen, redete ich mir ein, es würde am nächsten Tag verschwunden sein, wenn ich mich an diesem Tag ausruhte und auf das Magnesium verzichtete. Ich riss mich zusammen und versuchte, mein viel zu schnell schlagendes Herz zu ignorieren. Es dauerte eine Weile, bis die Panik nachließ und ich es schaffte.