nicht nur unhandlich, es musste auch zunächst mit Hilfe eines Stirlingmotors auf die nötige Betriebstemperatur heruntergekühlt werden, um selbst durch Wände hindurch brauchbare Ergebnisse zu erzielen. Er ähnelte am ehesten einem ferngesteuerten Kühlschrank auf Rädern.
Hendryk legte selbst Hand an. Sein Vorgesetzter würde ihm den Kopf waschen, dass er das teure Gerät für so eine Lappalie wie einen jugendlichen Mutanten einsetzte, aber lieber das, als zu versagen. Er schaltete das Gerät an und richtete es auf das erstbeste Haus in seiner Sichtweite – eines der zweistöckigen Einfamilienhäuser, in denen noch Licht brannte.
Zehn Minuten brauchte das Gerät, um einsatzbereit zu sein, und Hendryk starrte nervös auf das Display an seinem UniCom. Hoffentlich war er in der Nähe, der Wärmescanner würde sie bei einer Verfolgung zu sehr behindern.
Volltreffer. Das Gerät zeigte gleich zwei deutlich unterkühlte menschliche Silhouetten in einem Haus in der Nähe. Und eine davon gehörte laut Auswertungsmodul mutmaßlich einem männlichen Teenager.
Hendryk gab die Adresse ein – und stellte fest, dass der junge Mann nicht dort gemeldet war. Die Frau wohnte allein in dem Haus. Zeit für einen abendlichen Besuch. Und danach hoffentlich Feierabend.
Er ließ den Scanner wieder herunterfahren und ging voraus.
23. Ariane Faw – Atlanta – 08.07.2145
Der Junge war wahnsinnig. Er hatte digitale Spuren in solchem Ausmaß hinterlassen, dass es ein Wunder war, wenn die Regierung ihm noch nicht auf den Fersen war. Ariane schlug sich die Hand vor die Stirn. So viel Risiko. Und das alles nur, um …
»Ich muss wissen, wo ich herkomme. Wer meine Eltern sind. Du hast mich als Kind ins Waisenhaus gebracht.« Er wollte sich durch die Haare fahren, spürte ihre Kürze und zuckte zusammen.
»Das habe ich.«
»Dann weißt du, wer sie sind?«
»Ich …« Sie hatte die Pflicht, es ihm zu sagen. Aber hatte sie auch das Recht dazu? Fabricia hatte sorgsam alle Spuren vernichtet, die zu ihm führen konnten und sie hatte gute Gründe dafür, aber der Junge war ohnehin in Gefahr. Das bisschen Information änderte nicht mehr viel. »Ich weiß tatsächlich, wer sie sind. Sie ist eine Mutantin, und er ist …«
Es war unnatürlich still. Keine Jugendlichen, die sich trotz Sperrstunde vor ihren Fenstern herumdrückten. Keine selbstfahrenden Lastwagen. Aber sie war sich sicher, ein Geräusch durch die Stille wahrzunehmen, das nicht hierhergehörte. Nur welches?
Ariane spürte auf einmal eine drängende Unruhe. Irgendetwas stimmte nicht. »Warte.« Sie stand auf und schaute aus dem Fenster. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, dass eine Milizsquad auf ihr Haus zusteuerte.
Das war es also, was sie gehört hatte. Den Stechschritt.
Sie hatte keine Ahnung, wie sie ausgerechnet auf ihr Haus kamen, aber das spielte keine Rolle. Nun musste sie handeln – wozu hatte sie eine Hintertür?
»Avriel, du musst jetzt fort. Und zwar schnell!«
»Warum? Was ist denn passiert?« Er starrte sie aus großen Augen an. »Ich muss es wissen!«
»Keine Zeit. Du musst hier weg.« Sie wollte ihn auf keinen Fall in Panik versetzen, scheiterte jedoch. »Du kannst doch ein Elektromotorrad steuern?«
»Ähm, schon, ist mit Autopilot nicht weiter schwierig, aber was hat das …«
»Schön. Dann gehst du jetzt da raus, ich gebe dir mein Pad in einem Rucksack mit. Übergib es Fabricia in New Orleans, sie wird dir alles erklären.« Hoffte Ariane zumindest. Während sie redete, packte sie das Gerät in den Rucksack, legte einige Konservendosen dazu und schob ihn regelrecht aus der Hintertür.
Es klopfte. »Aufmachen! Mutanten-Razzia!«
»Ich komme gleich! Muss mir nur erst was anziehen! Ich habe nämlich nichts an!«
Avriel senkte seine Stimme. »Und wie soll ich diese Fabricia erkennen?«
»Schwarze Haare, blaue Augen, Zopf. Frag nach ihr, sobald du da bist.« Arianes Hände schwitzten. Keine Zeit, zu trödeln. »Du kannst nicht zu lange an einem Ort bleiben, ohne dass man dich findet. Und jetzt fahr endlich, beeil dich!« Sie schubste ihn nach draußen, schloss leise die Tür und lehnte sich dagegen, um zu lauschen.
Es dauerte nur Sekunden – sie hörte den Kies in ihrem Hinterhof knirschen, das Elektromotorrad selbst gab keinen Laut von sich, und wusste, dass Avriel sich auf den Weg nach Südwesten gemacht hatte. Wusste er, dass New Orleans vor Jahren schon von der Regierung aufgegeben worden war? Oder dass seine Chance, dort auch anzukommen, eher gering war? Aber wenn er hierblieb, war sie bei null …
Es klopfte erneut an ihrer Tür.
Ariane verwuschelte sich die Haare, öffnete einige Knöpfe an ihrer Bluse und klatschte sich Wasser aus der Mineralwasserflasche auf Gesicht und Ausschnitt. Dann erst machte sie auf. Sie sah im Halbdunkel hoffentlich heiß aus. Vielleicht konnte sie so wertvolle Zeit gewinnen – solange sie mit ihr beschäftigt waren, würden sie nicht nach Avriel suchen.
Einer der Soldaten vor ihrer Tür sah sogar direkt sympathisch und ziemlich unglücklich aus, als würde er den Job nicht allzu gerne machen.
»Wie kann ich euch denn helfen?« Sie lehnte sich lasziv gegen den Türrahmen.
»Wir … ähem … also …« Ihr Aussehen hatte ihnen offenbar die Sprache verschlagen und nur der traurige Soldat gab eine Antwort. »Wir suchen nach einem gefährlichen Mutanten. Haben Sie etwas Verdächtiges bemerkt? Hat jemand vielleicht versucht, in ihr Haus einzubrechen? Ich … Vorhin haben wir zwei Personen in diesem Haus festgestellt, aber jetzt sind nur noch Sie da.« Sofort wurde er rot, als würde er sich schämen, eine so dämliche Frage zu stellen.
»Nein, ich habe keinen gefährlichen Mutanten gesehen.« Sie schmunzelte. »Nur mich selbst im Spiegel, aber ich glaube nicht, dass ich gefährlich bin. Wie sieht er denn aus?«
»Madam, es gab eine Rundmail des Präsidenten, Sie müssten …«
Ariane fuhr ihm ins Wort. »Dann hole ich mein Pad und rufe meine Nachricht ab, das habe ich noch nicht getan. Könnt ihr so lange hier warten? Dann kann ich euch definitiv sagen, ob ich ihn gesehen habe.«
»Madam, das ist nebensächlich, wir wissen genau, dass zwei Perso…«
»Wollt ihr vielleicht eine Tasse Tee oder Kaffee?« Ariane lächelte immer noch.