Klaus Schröder

Fahnen,Flammen, Fanatismus


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Paul noch als Übertreibung, als Ausrutscher des braunen Mobs, aber das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ betraf ihn persönlich. Ob er wollte oder nicht, jetzt musste er sich zu Hitler bekennen. Unter Briefen stand jetzt „Heil Hitler“ statt "Vorzügliche Hochachtung" und so war auch zu grüßen. Das war jetzt der „Deutsche Gruß.“

      Bei den alten Römern sagte man: „Heil Caesar!“ spottete Marie und machte sich zuhause lustig darüber. Aber auch sie musste im Büro so grüßen. „Volksgenosse trittst Du ein, soll Dein Gruß ‚Heil Hitler’ sein!“

      Jetzt mussten für beide - sogar für die Hausfrau Selma - die arische Abstammung „bis ins zweite Glied“, also einschließlich der Urgroßeltern, nachgewiesen werden.

      „… oberste Pflicht eines Volkes … seine Rasse, sein Blut von fremden Einflüssen rein zu halten … gründet sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Erblehre und Rassenforschung.“

      So stand es im erforderlichen "Ahnenpass."

      „Arische Abstammung“ wurde mit „deutschblütig“ gleichgesetzt. Juden, Zigeuner, Asiaten, Afrikaner und Indianer waren also ausgegrenzt. Besonders schwer einzusehen war der Begriff „Jude“. Nur weil er jüdischen Glaubens war, und selbst wenn christlich getauft, sollte er kein Deutscher sein? Wer sollte das verstehen. Die „wissenschaftlichen Erkenntnisse“ wurden nur sehr schwammig erklärt. Hermann hatte einen jüdischen Kollegen, ein feiner Kerl und bisher wohlgelitten, der jetzt seinen Dienst quittieren sollte. Und dann durfte er plötzlich bleiben, vorläufig, wie man ihm beschied, weil er am Weltkrieg teilgenommen hatte. „So ein Mumpitz“, schimpfte Paul zuhause. Im Dienst musste er den Mund halten und Anordnungen befolgen, auch wenn sie ihm nicht passten. Dienst ist Dienst. Und schließlich musste er eine Familie ernähren. Marie bekam auch nur einen Hungerlohn.

      Gleich nach dem 1. Mai, der erstmals als „Feiertag der nationalen Arbeit“ gefeiert wurde, musste die Polizei zum Einsatz gegen die Gewerkschaften vorgehen, obwohl der ADGB sich freudig an dem Feiertag beteiligt hatte. Erstmals war deren Forderung nach einem bezahlten Feiertag Wirklichkeit geworden. Aber Polizei und SA besetzten deren Häuser und beschlagnahmten das Vermögen. Die Mitglieder sollten einzig in der DAF, der Deutschen Arbeiterfront von Hitlers Gnaden organisiert sein. Später erlitt die SPD das gleiche Schicksal und wieder musste Paul mitwirken. Es gab noch viele solche Einsätze in dieser Zeit und bald machte man sich keine Gedanken mehr.

      I-6

      Um der Langeweile im Dienst und der Hektik in der Stadt zu entfliehen, buchte Marie eine Gruppenreise nach Bayern, Reisebüro Urania. Alles mit der Eisenbahn. Marie berichtete nachhause:

       „München, Stadt und Hofbräuhaus, recht lustig.“

       „Chiemsee mit Schloss, sehr schön.“

       „Ein Oberleutnant von der Reichswehr, nichts Ernsthaftes.“

       „Bad Reichenhall und Berchtesgaden mit Königsee, beeindruckend.“

       „Watzmannbesteigung, nichts Schwieriges.“

       „Obersalzberg Haus Wachendorf, das ‚Hitlerhaus’, nichts Aufregendes.“

      Mit einer Reisebekanntschaft machte Marie noch mal Station am Chiemsee, in Prien. Der Zug fuhr weiter und die zwei waren allein, ohne Quartier aber mit viel Hoffnung. Sie klapperten alle Privatquartiere ab, ohne Erfolg. Im „Kronprinz“ wäre noch was frei gewesen, aber das konnten sich zwei junge Mädchen nicht leisten. Es wurde immer dunkler und der Mut sank. Da nahte ein Engel in höchster Not, die Führerin einer Kraftdroschke brachte sie zu einem Bauernhaus am See, zu Raffnauers. Das Zimmer war hübsch, Blick auf den See und billig. An den Fenstern waren Gitter. Gegen das Fensterln? Vorerst waren die Mädchen sowieso nicht interessiert, sondern müde und wollten zeitig schlafen.

      Tags darauf bimmelte das Glöckchen der Priener Kirche ab sechs Uhr jede halbe Stunde. An Schlafen war nicht mehr zu denken, aber ein reichhaltiges Frühstück entschädigte sie. Dann ging Dorle zum Lager des Arbeitsdienstes, weil sie da fesche Kerle gesehen hatte, Marie zum Hotel „Kronprinz“, wo sie zwei lustige Einheimische traf. Trotz dunkler Wolken sprangen sie ins warme Wasser und alberten herum. Später ging es zum „Bayrischen Hof“ zum Tanz. Marie drehte sich abwechselnd mit ihnen. Einer, Martin, gefiel ihr besonders .Sehr groß, breit, lachende weiße Zähne und Augen aus blauem Kristall. „Wenn man in dieses Leuchten sieht, meint man, so müsste das Leben ausschauen“, erzählte sie später Dorle. Die Einheimischen, die Holzhackerbuam, führten Schuhplattler, den Watschentanz und das Mühlenrad vor, aber für die Fremden wurden auch moderne Schlager gespielt. Eine Gruppe von einheimischen Mädeln und Burschen war zum „Almtanz“ engagiert. Sie bekamen Essen und Freibier dafür, dass sie andere zum Tanz aufforderten.

      Marie saß mit Martins Freunden zusammen, unter denen auch ein Kapitänleutnant a.D. war, der aus Dresden stammte. Da gab es natürlich viel zu erzählen, wenn gerade Tanzpause war. Als die Musik Feierabend machte, holte er seine Klampfe. Auf der Landungsbrücke gingen sie weit hinaus in den See, hockten sich nieder und sangen leise Lieder.

       „Ja wenn die Klampfen klingen und die Burschen singen und die Mädel fallen ein, was kann das Leben uns Schöneres geben, wir wollen glücklich sein.“

      Über die Berge und das Wasser goss der Mond sein silbriges Licht. Der Zauber der Nacht hielt alle in Bann.

       „Wildgänse rauschen durch die Nacht mit schrillem Schrei nach Norden…“

      Am nächsten Tag, Frau Raffnauer brachte ihnen Kaffee ans Bett, erzählten sich die Mädchen ihre Erlebnisse. Dann rannten sie zum See, wo schon der Kapitänleutnant in seinem Segelboot wartete. Auch Martin war dabei, als sie bei steifem Wind ablegten.

      „Pfundig“, sagte Marie, „Duli“ die Dorle. Sie umrundeten einige Inseln, dann wurde der Wind kräftiger und der Skipper musste scharf kanten. Das Boot kämpfte gegen die anstürmenden Wellen an. Deshalb wurde der Rückzug eingeleitet, zumal die Mädel Angst hatten, umzukippen.

      Beim „Weinzierl“ gab es eine zünftige Brotzeit, dann fuhr sie Walter, der Kapitänleutnant, mit seiner Frau Sopherl im Auto zur Burg Hohenaschau.

      Am Abend war wieder Tanz, jetzt mit einer Schrammelkapelle. Es gab Auseinandersetzungen zwischen den Arbeitsdienstleuten um Dorle und Maries „Beschützergruppe“, aber zum Schluss vertrugen sich alle und begleiteten Marie zum Quartier. Sie verabschiedeten die beiden mit einem Jodler, mitten in der Nacht. Am Morgen ging ihr Zug wieder heimwärts.

      In Dresden kehrte der Alltag ein und die Erinnerungen an schöne Tage in Bayern verblassten langsam. Es war ja auch immer was los. Die Zeitungen berichteten vom V. Reichsparteitag der NSDAP, dem „Reichsparteitag des Sieges“, vom Beginn des Winterhilfswerkes, vom ersten Eintopfsonntag, vom missglückten Attentat auf den österreichischen Bundeskanzler – wie es wohl Ernstl geht? – vom ständigen Rückgang der Arbeitslosenzahlen.

      Als Goebbels den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund ankündigte, interessierte das die Massen wenig. Man ließ sich beruhigen, zumal Hitler in einer Rundfunkrede seinen Friedenswillen vor allem gegen den „Erzfeind“ Frankreich bekundet hatte.

      Am Vorabend der Abstimmung zum Reichstag am 12. November 1933 hielt Hitler eine flammende Rede in den Berliner Siemenswerken, die von allen Reichssendern ausgestrahlt und in jedem Betrieb übertragen wurde. Dabei musste die Arbeit ruhen, damit alle dem heiseren Gebrüll lauschen konnten. Sogar der Verkehr wurde für eine Minute angehalten. Sowas war noch nie dagewesen. Ein historisches Ereignis.

      Bei der Abstimmung

      „Billigst Du, deutscher Mann, und Du, deutsche Frau, diese Politik Deiner Reichsregierung, und bist Du bereit, sie als den Ausdruck Deiner eigenen Auffassung und Deines eigenen Willens zu erklären und Dich feierlich zu ihr zu bekennen“

      stimmten über 90 % bedenkenlos mit „Ja“.

      Auch das neue Jahr ließ sich gut an. Mit Polen wurde ein Nichtangriffspakt geschlossen und die Zahl der Arbeitslosen