Klaus Schröder

Fahnen,Flammen, Fanatismus


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Einspänner nach jedem Einkauf. „Deutsche Eile wirkt störend", erläuterte Ernstl. „Wien ,Wien nur du allein, sollst stets die Stadt meiner Träume sein“, sang er unbeschwert auf der Straße und Passanten nickten dazu.

      Nachdem Belvedere, Karlskirche, Oper, Hofburg und die Ringstraße abgehakt waren ging’s auf zum Prater. Das Herz von Wien, wie Marie fand, die sich einfach bei Ernst eingehakt hatte. Als das Riesenrad auf dem höchsten Punkt eine Weile ausruhte, sagte sie „Mir ist kalt“, was nur ungenau stimmte. Es hatte aber den gewünschten Effekt, dass Ernst sie an sich drückte. Die neidischen Blicke der Freundinnen ignorierte sie.

      Nachdem alle Attraktionen des „Wurstelpraters“ ausprobiert waren, versammelte sich die Gesellschaft in einem Lokal und erfreute sich an „Stelzen“ und Bier. Dr. Weißflog drückte ob des Alkohols ein Auge zu. Schließlich fielen alle spät aber glücklich ins Hotelbett.

      Am nächsten Morgen stand Ernst schon wieder bereit, um die Mädchen nach Schloss Schönbrunn zu begleiten. Er hatte bereits etliche Vorlesungen seines Architekturstudiums geschwänzt und auf ein paar mehr kam es jetzt auch nicht mehr an. Er gestand es sich noch nicht ein, aber er hatte angebissen. Das dunkelhaarige fesche Maderl war ein Leckerbissen. Er ließ sich aber nichts anmerken. Nur Marie fiel auf, dass sein Blick immer wieder zu ihr hin schweifte, während er die Schönheiten der Anlage erläuterte. Von der Gloriette aus konnte man weit nach Wien hineinblicken und wie zufällig ergab sich die Gelegenheit, der Marie einen flüchtigen Kuss auf den Nacken zu geben. Danach mischte er sich wieder unter die anderen und freute sich insgeheim, dass die so Ausgezeichnete kräftig errötete.

      Zu Fuß gelangte man über die Wienzeile zur Kärntner Straße. Alles war hier noch größer und prächtiger als im wunderschönen Dresden und Marie konnte sich gar nicht satt sehen. Die vielen Ausländer, geschminkt und gepudert, störten zwar ihre Vorstellung vom gemütlichen Wien, aber es gab noch genügend Einheimische in ihren schönen Trachten.

      Der Stephansdom überwältigte alle. Natürlich wollte jeder auf den Turm, aber bei 762 Stufen ging doch schnell die Puste aus. Das letzte Stück bis zur Spitze war nur für jeweils eine Person über eine einfache Leiter zugänglich, aber keine wollte Schwäche zeigen. Ernst gab vor, die Leiter halten zu müssen, aber der eigentliche Grund war der Blick nach oben, der ihm die Aussicht auf lange Mädchenbeine ermöglichte.

      Von oben sahen die Menschen wie Puppen aus und Wien lag ihnen zu Füßen. Als Marie wieder herunterstieg streckte Ernst die Hände aus und sie ließ sich von der letzten Sprosse in seine Arme gleiten. Nur einen kurzen Moment waren ihre Körper aneinander gepresst, doch der genügte, dass sie sich minutenlang wie im Trance bewegte.

      Jetzt wollten alle zum Quartier, um sich von den Strapazen etwas auszuruhen, aber Ernst bestand darauf, ihnen noch das Strauß-Denkmal im Stadtpark zu zeigen. Dort nahm er Marie in die Arme und drehte mit ihr ein paar Tanzschritte, den Donauwalzer summend. Sie hätte sich so gern in seinen Armen weiter gewiegt, aber die anderen hatten Hunger und waren müde. Spielverderber.

      Am Nachmittag stand ein Ausflug nach Grinzing auf dem Programm. Die Schrammelmusik, die aus den Türen klang, lud zum Verweilen ein, aber dazu reichte weder die Zeit noch das Geld. Stattdessen stieg die bunte Schar zum Cobenzl empor, um den herrlichen Ausblick zu genießen. Der Doktor vorweg, die andern hinterher und ganz zum Schluss Ernst und Marie. Man hatte sich ja so viel zu erzählen, und wollte sich schreiben und ganz sicher auch treffen und … Vieles blieb ungesagt.

      Dann musste es schnell gehen. Auf dem Weg zum Kai waren alle traurig, auch wenn sich Ernst bemühte, fröhliche Stimmung zu erzeugen. Mit dem Schiff sollte es bis Linz gehen. Alle waren schon auf dem Dampfer, die Sirene mahnte zur Abfahrt, der Doktor gestikulierte, aber da standen noch zwei am Ufer und hielten sich das erste Mal fest umschlungen. In letzter Sekunde gab Marie dem Ernstl einen herzhaften Kuss auf den Mund, riss sich los und stürmte über den Steg aufs Schiff. Langsam bewegte es sich vom Ufer weg, winken, winken und ein paar Tränen, dann war die einsame Figur am Kai außer Sichtweite.

      Die Freundinnen hatten Marie einen Platz im Damensalon frei gehalten, aber immer mehr Mädchen wollten hinein. So gab man es schließlich auf und verstaute nur die Rucksäcke im kleinen Zimmer. Schade um den schönen Raum, der sah sonst vornehmere Gesellschaft. Inzwischen war es schon elf Uhr geworden und keiner dachte ans Schlafen.

      „Wir wollen die ganze Nacht aufbleiben. Wir sind überhaupt nicht müde“, versicherten sie dem Doktor. Aber der bestand auf Schlaf, wenigstens ein paar Stunden. So fügten sich Marie und ihre Freundinnen, hüllten sich in warme Decken und suchten sich eine geschützte Ecke oben auf Deck. Dort lagen überall vermummte Gestalten, die unten keinen Platz mehr gefunden hatten. Der Doktor selbst gönnte sich keinen Schlaf, er bewachte seine Schäfchen. Immer wieder kam er auf seinem Rundgang vorbei, nur am Glühen seiner ständigen Zigarette auszumachen. Diese Leidenschaft war scheinbar sein einziger Fehler und die Mädchen machten ihre harmlosen Scherze über ihn. „Aus gutem Grund ist Juno rund, es glüht der Stengel zu jeder Stund“ dichteten sie.

      Es war lausig kalt. Dazu der Fahrtwind und die Schiffsgeräusche. Und es war neblig. Dafür gab es einen wunderschönen Sonnenaufgang. Nach dem Frühstück im Speiseraum spielte eine Musikkapelle und alle genossen die vorbeiziehende Landschaft. Die mächtige Ruine Aggstein, dann Dürnstein und Krems glitten vorüber. Während die anderen Gruppenführer zusammenhockten saß Dr. Weißflog immer bei seinen Schützlingen. Nur einmal wurde er ihnen untreu, als die anderen ihn mit einem Skatspiel lockten.

      In Linz war Zeit für eine kurze Stadtbesichtigung, dann brachte sie der Zug wieder nach Passau, wo sie in der Jugendherberge Schlaf suchten. Aber leider war alles besetzt. Wie die Sperlinge hockten sie jetzt auf der Bordsteinkante und hatten trotz der misslichen Lage einen Mordsspaß, bis der treu sorgende Doktor endlich ein Hotel gefunden hatte.

      Katzenjammer am nächsten Morgen, weil die schönen Tage in der Gemeinschaft vorbei waren. „Alles ist vergänglich, nur der Kuhschwanz, der bleibt länglich“. Der Humor blieb.

      „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“. Dumme Sprüche gab es zuhauf, um sich gegenseitig die schlechte Laune zu vertreiben. Auch Dr. Weißflog versuchte sein Bestes. „Nun steckt eure mummligen Gesichter in den Rucksack, sonst fliegt ihr alle miteinander in die Donau."

      Nach dem Kaffee beim „Stockbauer Gasthäusle“ wurden die Lebensgeister wieder wach und in freudiger Erwartung auf die Heimat bestieg man den Sonderzug. Im Abteil ging es wieder hoch her. Alle waren in patriotischer Stimmung. Was hatten sie in den 10 Tagen nicht alles erlebt. Deutsches Wesen und deutsche Art in deutschem Land.

      Unterwegs gab es einen größeren Aufenthalt und alle strömten hinaus in die Sonne. „Raus mit der Maus in die Frühlingsluft!“

      Der Doktor hatte sich mit seiner unvermeidlichen Zigarette an einen Zaun gelehnt und genoss mit geschlossenen Augen die warmen Strahlen. Heimlich wurde ein Bild geschossen. Als es ihm später gezeigt wurde, sagte er: „Kinder, das habt ihr wieder mal echt blasewitzerisch gemacht.“ Andere Klassen beneideten sie um ihren Lehrer, der so viel Verständnis für „seine Kinder“ hatte.

      I-2

      Marie hatte eine glückliche Jugend erlebt. Das Gartenhaus, im Park des Weinfabrikanten in Dresden-Blasewitz, glich eher einem kleinen Schlösschen und das Gelände lud zu allerhand Aktivitäten ein. Paul, ihr Vater, durfte hier frei wohnen und das ganze Grundstück nutzen. Er fungierte als eine Art Hausmeister ohne besondere Pflichten, da der Besitzer nur wenige Wochen des Sommers im Hauptschloss wohnte. Allerdings vermisste Marie hier anfangs Spielgefährten. Nur wenn die sechs Buben des Weinhändlers da waren, wurden im Park wilde Räuber- und Gendarm- oder Indianerspiele veranstaltet.

      Mit Puppen hatte sie nichts im Sinn. Sie besaß eine wunderschöne, in Babygröße, mit Porzellankopf, rollenden Augen, klappenden Augenlider und langen braunen Echthaaren, dazu viele prächtige Kleider. Die zog sie aber lieber ihrer Katze an, die sich alles gefallen ließ. Angezogen und mit Häubchen versehen lag sie unbeweglich auf dem Rücken, mit den Pfoten auf der Decke und wurde spazieren gefahren. Das war interessanter als eine leblose Puppe. Seit tausenden Jahren waren Katzen Begleiter der Menschen. Ohne Katze, das war doch gar nicht vorstellbar und der Mensch konnte froh sein, bei ihr wohnen