E. E. Kisch

E. E. Kisch – Der Mädchenhirt


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teuren alten Ring auf dem Finger hat, den fremden jungen Herrn, dessen erstaunlich feine Wäsche und Kleider auf dem Stuhle liegen, unverwandt angesehen, während er erwachte. Da er sie nun fragt und sie ihm antwortet, weilt ihr Sinnen anderswo.

      Den Blick fühlt Karl Duschnitz. Er erwidert ihn scheu, ängstlich und sieht ein junges Weib. Etwas möchte er sagen, irgend etwas sagen – das Gespräch stockt schon unheimlich lange. Mühselig zwingt er sich zu einem Satz, aber während er spricht, ist ihm, als ob sein Bewußtsein im Wasser wäre: »Wohin – wohin ist denn – wo ist denn Euer Mann?«

      »Der ist wieder zum Dampfer hingefahren. Auf mich wollte er nicht hören. Was kümmert sich der um mein Reden! Der kümmert sich gar nicht um mein Reden …«

      Nur etwas sprechen, irgend etwas fragen, sie sind so unheimlich, diese Gesprächspausen.

      »Ihr – habt auch Kinder?«

      »Nein, Kinder haben wir nicht. Mein Mann ist krank …« Die Frau sagt den Satz im Tonfall der Resignation. Dann aber schaut sie auf, als ob sie ihn als Argument aufgefaßt wissen wollte. Ermunternd.

      Duschnitz fühlt, wie sein fahles Gesicht jäh von Rot überströmt wird. Ein junges Weib. Eine derbe Nase, aber kein häßliches Gesicht. Gewiß nicht. Eher hübsch. Ja, hübsch. Plötzlich merkt er, und es scheint ihm, als träume er das, daß ihre Augen die seinen beobachten, daß sie erkennen möchte, wie die Prüfung ihres Gesichtes ausfallen werde. Ertappt gleitet sein Blick ab, tastet sich mühselig über die in eine blaugestreifte Kattunbluse eingezwängten Brüste, über starke Hüften. Eine dralle Person. Und er ist da allein in der Stube. Und nackt … Zitternd sucht er nach der Decke. Die Frau hat sich an den Bettrand gesetzt und atmet ein heißes Lächeln. »Musikkapelle spielen«, erinnert er sich unvermittelt. Seine Gedanken werden immer wirrer. Und er zieht die Frau an sich, zieht sie an sich.

      2

      Man kennt in Prag das Duschnitzsche Haus. Das große, rote Firmenschild des Selchers, der heute im Duschnitzschen Hause in der Rittergasse Laden und Werkstätte innehat, mag die prunkvolle Würde der Fassade stören, die durch Ruß, Staub und Witterung fast beinschwarz geworden ist – es bleibt doch eines der schönsten Gebäude der Stadt. Es hat nicht die höhnenden und einschüchternden Karyatiden mit Sklavengestalten, die die Balkone der Kleinseitner Adelspaläste auf ihren Nacken halten müssen, vielmehr ist hier der Torbogen von zwei unpersönlichen Eckpilastern flankiert, die durch ein Gesimse in der Mitte unterteilt sind und sich am oberen Ende in ein kapitälartiges Schneckengewinde einrollen. Portal, Fenster und Fassade sind überströmt von figuralen Zieraten und von architektonischen und Pflanzen-Ornamenten, die, in ausdrucksvollem, flachem, aber kräftig eingeschnittenem Relief behandelt, auf beiden Seiten der Fassade, an jedem Fenster und an jeder Hälfte des Tores ganz verschieden sind. Ein aus dem vollen schöpfender Steinmetz hat sich hier, zur Zeit, als niederländische Kupferstiche ihren Einfluß auf die Frührenaissance mächtig geltend zu machen begannen, im Auftrage eines reichen Bauherrn künstlerisch auszuleben versucht, während die Kunst des Architekten vornehmlich aus dem majestätischen Giebel und aus den Arkaden spricht, die im Hofe das erste Stockwerk mit kurzen, von Rustikabändern umwundenen Säulen einschließen.

      Auch die erbeingesessenen Prager, die tausendmal an dem Duschnitzschen Hause vorübergegangen sind und der herrlichen Barockhäuser mehr kennen, pflegen nie vorbeizueilen, ohne mit einem Blick den Skulpturen an der schwarzen Front ihre Reverenz zu beweisen.

      Alte Deutschprager, denen sich die in jeder kleineren Stadt wuchernde Anteilnahme, Neugierde und Tratschsucht im Laufe der Jahre schon zur Lust am Reminiszenzenerzählen gewandelt hat, wissen, wenn sie am Duschnitzschen Hause vorbeikommen, ihren jüngeren Begleitern vielerlei Historien. Sie berichten von einem der reichen Duschnitze, der einmal vor hundert Jahren in der Nacht durch Läuten an seiner Wohnungstür aus dem Schlafe geweckt wurde und sich, als er öffnete, dem Kaiser Franz gegenübersah, der eigens in der Postkutsche aus Wien nach Prag gekommen war, um ihn zur Bewilligung einer Staatsanleihe zu bewegen, sie erzählen von zwei Brüdern Duschnitz, die einander einmal auf dem Postamt begegnet waren, da ihnen beiden gleichzeitig – unabhängig voneinander – der Einfall gekommen war, einen auswärtigen Kommittenten dringend mit dem Abschluß eines Auftrages zu betrauen. Auch von dem letzten Sprossen dieses Altprager deutschen Patriziergeschlechts wissen sie, der schon bei Lebzeiten seiner Eltern durch und durch dekadent und sentimentalisch und ein romantischer Nichtstuer gewesen sei, so daß sein Vater, Roderich Duschnitz, die Hoffnung aufgeben mußte, jemals in Karl einen Chef des Bankhauses »D. Duschnitz« zu sehen, und sich zum Verkauf des Geschäftes an eine Bank genötigt sah; kurz nach dieser Transaktion sei der alte Roderich gestorben. Der aus der Art geschlagene Karl Duschnitz bewohne jetzt das Haus in der Rittergasse, ohne irgendeiner nützlichen Beschäftigung zu obliegen.

      Die jungen Leute, ehemalige Mitschüler und Studiengenossen des Karl Duschnitz, die dessen Vater in das Haus gezogen hatte, um dem melancholischen, grüblerischen Karl fröhliche Gesellschaft zu sein, hatten sich dieser Aufgabe nach allen Kräften zu entledigen gesucht, indem sie im gastfreundlichen Duschnitzschen Hause allnachmittäglich und allabendlich zu allerhand Spielen und Späßen und zum Abenteueraustausch zusammengekommen waren und sich selbst famos unterhalten hatten. Nach dem Tode des alten Roderich Duschnitz hatten sie allmählich sogar eine fröhliche Selbstherrschaft in dem Hause installiert, ohne sich irgendwie dadurch abschrecken zu lassen, daß alle Ausstrahlungen ihrer übermütigen Jugendkraft in ihrem jungen, von ihnen allen geliebten Gastfreund keinen Widerschein fanden, daß dieser seines ihm selbst verhaßten Hanges zur zermarternden Schwermut durchaus nicht ledig zu werden vermochte.

      Karl Duschnitz war gegen alle liebenswürdig, nett und gefällig gewesen, hatte ihr Bestreben voll anerkannt und sich auch, als er sich überzeugt hatte, daß dieses seinen Freunden kein Opfer sei, keinerlei Sorge mehr darüber gemacht, daß er ihnen Mühe bereite. Er hatte sich von keinem Spaß ausgeschlossen, zu dem sie ihn aufforderten, aber jeder im Freundeskreis hatte es selbst gefühlt, daß Karl allen diesen Vergnügungen innerlich fremd sei, ja sogar manchmal Abscheu davor empfinde.

      Nur bei Aktionen, bei denen Frauen im Spiele waren, hatte Karl Duschnitz mit seinem sanften, aber unüberwindbaren Widerstand jede Beteiligung abgelehnt. Gerade zu Unterhaltungen mit Frauen hatten ihn seine Freunde anfänglich, bevor sie die Unerschütterlichkeit dieser Weigerung erkannt hatten, besonders lebhaft zu überreden versucht, weil sie in ihm ein heftiges Interesse zu lesen vermeint hatten, wenn sie von ihren Abenteuern mit Damen und Dämchen erzählten. Dieses Interesse war auch wirklich vorhanden gewesen, aber eben die kritischen, parodierenden und im letzten Grund renommistischen Liebesmemoiren der Freunde stießen ihn selbst von der Betätigung in solchen Abenteuern ab und nährten seine aus Romanen und par-distance-Beobachtungen gewonnene Einsicht, daß alle diese Vergnügungen bei den Männern nur einem Sport des Erlangens und einem vergeblichen Mühen, den Sinnen Befriedigung zu schaffen, entsprangen, während bei den »besiegten« Frauen gleichfalls berechnende Gewinnsucht, vermengt mit Sinnlichkeit, das Motiv der Unterwerfung war – Ursachen, die in verlogener Weise dadurch kaschiert wurden, daß die Männer pro forma Zusicherungen dauernder Liebe äußern mußten, während die Frauen unaufgefordert ewige Treue schworen, Ehrbarkeit und gedankliche Tiefe heuchelten, nach dem Gewähren und beim Abschied schluchzten.

      Seine schlaflosen Nächte und seine würgenden Träume hatten dem Weibe gehört. Er hatte sich versprochen, daß seine vielbespöttelte, fast unnatürliche Unberührtheit durch ein Wunder gelohnt werden müsse, durch irgendein Wunder seelischer Hingabe, ungeheuchelter Liebe und vollster Unschuld, durch irgendein funkelnd weißes Wunder von blütenumkränzter Nacktheit, das alle Martern, alle Fesseln und alle Düsterkeit seines Gemütes von ihm nehmen, ihn befreien und zum Herrn über viele Frauen machen werde, was er lodernd ersehnte. Dafür hätte er mehr als allen seinen Reichtum gegeben, für den er sich ohnedies nichts kaufen konnte. Dieser wirre Glaube an das Wunder, das ihn von seiner fast psychopathischen Skepsis und Schüchternheit retten werde, war die einzige Hoffnung gewesen, die er sich nicht selbst zu zerstören gewagt hatte, um nicht in Verzweiflung seiner sonst für ihn wertlosen Existenz ein Ende zu machen.

      In dieser monomanen Hoffnung war Karl Duschnitz siebenundzwanzig Jahre alt geworden, als er mit seinen Freunden den Dampfer »Caput regni« bestieg, um den Pfingstsonntag irgendwo in einem Walde