Samantha Prentiss

Tödliche Wollust


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die bestellten Drinks.

      Chambers betrachtete die goldbraune Flüssigkeit in seinem Glas, die ihn freundlich anglitzerte, und leerte es in einem Zug. Wenig später begann Clairés Gesicht vor seinen Augen zu tanzen. Er fühlte, wie eine unbestimmte Übelkeit in ihm hochkroch. Vom Alkohol konnte es nicht kommen, denn er war diesbezüglich andere Mengen gewohnt. Dennoch kam es vom Whisky, vielmehr von dem, was man ihm beigemixt hatte, und was weder dorthin, noch in seinen Magen gehörte. Immer mehr sackte er in seinem Sessel zusammen. Er bekam noch mit, dass sie sich über ihn beugte und etwas sagte, verstand es aber nicht. Dabei dröhnte ihm ihre Stimme in den Ohren, dass er um die Haltbarkeit seiner Trommelfelle fürchtete. Er spürte nicht, dass sein Kopf auf den Tisch sackte, und auch nicht, dass sein Glas klirrend umkippte, über die Marmorplatte rollte und herunterfiel – dessen Aufprall der zentimeterdicke Teppich vollends verschluckte. Kristalle von leuchtender Farbenpracht erschienen vor seinen Augen. Er schrie.

      Plötzlich war der Kellner mit dem langen Hals wieder da und griff ihm unter die Achseln, während ein Kollege half und die Beine packte. Dann trugen sie den aufs Kreuz gelegten Killer zum Lift.

      Als es aufwärts ging, wurde Chambers schlecht. Er ahnte nicht, dass Clairé Beauvais diese Aktion gegen ein fürstliches Entgelt mit dem Kellner abgesprochen hatte.

      *

      Das Schlafzimmer, in dem Vinson Chambers wieder zu sich kam, war mit Velours und kostbaren Teppichen ausgelegt. An der Wand hing ein Ölgemälde von Helen Davison Bradley, das einen abgeschnittenen Schweinekopf zeigte. Vielleicht eine Anspielung auf die kahlköpfigen und schmerbäuchigen Spesenritter, die es sich sonst hier gemütlich machten, nachdem sie ihre hoffnungslos verfetteten Organismen etwas Bewegung und ihren nicht immer ganz astreinen Fantasien neue Nahrung verschafft hatten.

      Ein Wandschränkchen nach Art des Schreiners Chippendale war reichlich mit kostbaren Porzellanfiguren versehen. Und auch sonst hat Chambers nicht das Gefühl, bei armen Leuten gelandet zu sein. Die Fensterfront übers Eck, schräg über die Themse, bot mit ihren fünf Yards Glas einen wundervollen Ausblick auf Londons City. Hier ließ es sich aushalten.

      Chambers ließ sich auf das Bett zurückfallen und kniff die schmerzenden Augen zusammen. Seine tastende Hand berührte etwas Weiches, Warmes. Sein Interesse war geweckt und er ließ seine Hand weiterwandern. Auf einem Busen blieb sie liegen. Hoch angesetzte pralle Brüste mit neckischen Brustwarzen. Chambers schaute zur Seite, und seine Hand zuckte augenblicklich zurück.

      Clairé Beauvais sah im Tod ebenso schön und unnahbar aus wie im Leben. Ihr Mund war halb geschlossen, die Augen weit aufgerissen und leblos, starr zur Decke gerichtet. Da war kein Messereinstich, kein Einschussloch und auch kein Blut. Aber die hässlichen Würgemale an ihrem Hals ließen keinen Zweifel daran aufkommen, woran sie gestorben war.

      Chambers kroch rückwärts aus dem Bett. In seinem Kopf dröhnte es. Kalter Schweiß lief ihm über die Stirn. Die Wirkung der Droge, die man ihm verpasst hatte, hielt immer noch an. Mühsam schleppte er sich zum Bad.

      Chromblitzende Wohlstandssauberkeit empfing ihn, vom Boden bis zur Decke. Dazu kam ein riesiger Spiegel über dem Waschbecken. Die Hexenküche der modernen Frau, mit allen kosmetischen Hilfsmitteln, die ein weibliches Wesen braucht, um auch nach einer durchliebten Nacht noch halbwegs begehrenswert auszusehen.

      Chambers hielt seinen Kopf unter das kalte Wasser. Ihm war, als habe er einen heftigen Schlag ins Genick bekommen. Aber dann wurde es langsam besser. Er trocknete sich das Gesicht ab. Dabei musterte er sein pockennarbiges Konterfei im Spiegel. Schön war er sich eigentlich nie vorgekommen, aber was er nun sah, erschreckte ihn regelrecht. Er wirkte wie der schwarze Mann, den man unartigen Kindern als Schreckgespenst in ihre unschuldigen Träume suggerierte. Ringe unter den Augen, Mitternachtsblick, eingefallene Wangen und einen herben Zug um den Mund, der den Verdacht, dass er jemals über einen unanständigen Witz gelacht haben könnte, erst gar nicht aufkommen ließ.

      Er wankte ins Schlafzimmer zurück. Nirgends gab es etwas zu trinken. Zielsicher lenkte er seine tapsigen Schritte in die Küche. Im Kühlschrank fand er eine Flasche Gin. Den rührte er normalerweise nie an, nicht einmal, wenn er am Verdursten war – doch diesmal machte er eine Ausnahme.

      Während er aus der Flasche trank, blickte er aus dem Fenster. Er sah eine Eisenbahnlinie, Schiffe auf der Themse, Lagerplätze, Schuppen und Hinterhöfe. Das was man von einer Metropole wie London erwartete. Das brachte ihn wieder zu sich. Er setzte die Flasche ab und ließ sich auf den Hocker fallen. Verdammte Scheiße, dachte er bei sich und fühlte sich auch danach.

      Nach einer Weile stand er auf und schleppte sich ins Schlafzimmer zurück. Die nackte Frau lag tot auf dem Bett. Und dann fiel ihm alles wieder ein: der Kellner, der Whisky und die Fahrt im Lift. Nur die Stelle, an der er Clairé getötet hatte, fehlte ihm. Denn dass er den Mord begangen hatte, stand für ihn zweifelsfrei fest.

      Plötzlich ließ ihn ein Geräusch an der Tür herumwirbeln. Er wollte nach seiner Waffe greifen, aber sie befand sich nicht dort, wo sie hingehörte.

      »Wenn Sie Ihre Pistole suchen, die habe ich!«, bemerkte der Mann, der lässig am Türrahmen des Schlafzimmers lehnte und hielt sie ihm entgegen, wobei die Mündung direkt auf den Bauch des Killers deutete und der Zeigefinger auf dem Abzug lag.

      Auf Chambers machte es nicht den Eindruck als würde es sich um einen Zufall handeln.

      »Ich bin Detective Chief Inspector Whitehead. Hier ist mein Ausweis.« Er klappte ein Ledermäppchen auf, zeigte ihn ihm und steckte es anschließend wieder ein. »Ich verhafte Sie wegen Mordes! Alles, was Sie von nun an sagen, kann bei der Verhandlung gegen Sie verwendet werden. Selbstverständlich haben Sie das Recht, die Aussage zu verweigern.« Er gab den beiden Beamten, die hinter ihm auftauchten, ein Zeichen. »Nehmen Sie ihn fest!«

      Widerstandslos ließ es Chambers geschehen, dass man ihm Handschellen anlegte und abführte. Er machte einen völlig gebrochenen Eindruck. Der Gedanke, dass er quasi nur zum Privatvergnügen gemordet hatte, also ohne auch nur einen Penny daran zu verdienen, machte ihn fix und fertig. Zu seinen Geschäftsprinzipien hatte es stets gehört, Arbeit und Vergnügen peinlich genau voneinander zu trennen.

      *

      Wäre er auch nur eine Viertelminute länger im Zimmer geblieben, hätte es ihm vor Schreck vermutlich die Sprache verschlagen, denn die Tote räkelte sich plötzlich auf dem Bett. »Ich dachte schon, Sie kämen gar nicht mehr, Chief Inspector«, knurrte sie vorwurfsvoll.

      Wie gebannt starrte Whitehead auf Clairés wundervollen Busen, der keinerlei Stütze eines Büstenhalters bedurfte.

      Clairé griff sich an die Augen und nahm die Kontaktlinsen heraus, die sie eingesetzt hatte. Anschließend wischte sie sich die Würgemale vom Hals. »Sie sehen, was man mit maskenbildnerischem Geschick alles fertig bringen kann … Aber jetzt werde ich mir wohl besser etwas überziehen, sonst fallen Ihnen noch die Augen aus dem Kopf.« Sie lachte und griff nach dem Morgenmantel – sehr zu Whiteheads Enttäuschung, der den Anblick ihrer atemberaubenden Figur gern noch länger genossen hätte.

      ***

      Kapitel 4

      Die Sonne knallte unbarmherzig durch das weit geöffnete Fenster im vierunddreißigsten Stock des ›Carrara Towers‹, auch ›250 City Road‹ genannt, nähe des ›Regents Canal‹.

      Ragnar Lundquist wälzte sich unruhig auf seinem Bett hin und her. Vergeblich versuchte er ein halbwegs schattiges Plätzchen für seinen Kopf zu finden. Aber wo er ihn auch hinlegte, die Sonne war bereits da. Er stöhnte im Halbschlaf, leckte sich über seine trockenen Lippen, als hätte er Durst, und beschloss, langsam wach zu werden, bevor er endgültig in seinem eigenen Saft zu schmoren begann.

      Er rollte sich aus dem Bett, wankte bis zur Tür und verschwand im Badezimmer. Als ihn der eiskalte Wasserstrahl der Dusche traf, krümmte der nicht gerade alltägliche Kater des jungen Mannes in der Seelenkombüse zwischen Hinterkopf und Magen erschrocken den Rücken und jaulte laut auf, als hätte man ihm auf den