Valuta Tomas

Final Game


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die zeigen wie Neve im Bett liegt. Bilder die zeigen wie Neves Körper wegen dem Anfall unkontrolliert zuckt. Bilder die zeigen wie Neve von unzähligen Ärzten umzingelt ist, die ihr Leben retten wollen. Bilder auf denen Dinge zu sehen sind, die geschahen während Sam schlief. Alle haben geschlafen. Alle Hunde haben friedlich in ihren Betten geschlafen, während Neve den Tod ein weiteres Mal herausforderte.

      Bei dem Gedanken daran, verlassen Sam ihre Kräfte. Weinend sinkt sie auf der Treppe zusammen. Zitternd kauert sie auf den Stufen. Mit einem Mal wird ihr etwas bewusst. Seit fast drei Wochen sitzt sie täglich an Neves Bett und ging irgendwann, weil sie sich um die Kinder kümmern musste. Jeden Tag verabschiedete sie sich von ihrer Frau, empfindet dies nun allerdings als völlig wirkungslos. Sam ging jeden Tag mit dem Wissen nach Hause, dass Neve die kommende Nacht überleben würde und Sam sie am nächsten Tag wie gewohnt besuchen kann. Ihr ist es nie in den Sinn gekommen, dass das nicht passieren könnte. Dass Neves Körper dieser Prozedur nicht standhalten würde und einfach aufgab. Diese Tatsache kam für Sam nie in Frage. Neve ist stark. Sie ist unheimlich stark, etwas anderes gibt es für Sam einfach nicht.

      Dieser Vorfall zeigt ihr aber, dass jede bisherige Verabschiedung nur ein minimaler Hauch ihrer Gefühle war. Nie verabschiedete sie sich richtig von ihrer Frau. Immer war es auf ein morgiges Wiedersehen bezogen. Was ist aber, wenn es kein Morgen mehr gibt?

      Bei diesem Gedanken zittert Sam noch stärker. Sie war schon wieder egoistisch. Schon wieder hat sie nur an sich gedacht und nicht daran, was das alles für Neve bedeutet. Welche Kraft Neves Körper aufbringen muss. Hat er das die letzten Monate aber nicht schon ausgiebig genug getan? Hat er nicht genug gekämpft? War er etwa nicht stark?

      Auch wenn Sam versucht weinend und schniefend die Fassung wieder zu erlangen und sich sogar von den Stufen erhebt, kann sie nichts gegen die Tränen machen. Sie kommen unaufhörlich. Ihr Herz schmerzt bei jedem Gedanken an ihre Frau. Daran, wie sie Meilenweit entfernt im Krankenhaus liegt und um ihr Leben kämpft. Sam weiß, dass sie sich um die Kinder kümmern muss. Wenn es nach ihr gehen würde, säße sie schon längst in ihrem Wagen und würde ins Krankenhaus fahren, nur um Neve nahe zu sein, auch wenn sie nichts tun könnte. Sie weiß aber auch, dass sie zuhause zwei kleine Kinder hat, die ihre Mutter sehen wollen wenn sie aufwachen. Sam weiß, dass sie hier bleiben und für ihre Töchter da sein muss. Sie muss sich um sie kümmern und ihnen Sicherheit und Halt geben, auch wenn sie davon selbst nichts mehr aufweisen kann. Sie fühlt sich leer und ausgebrannt. Jegliche Kraft und Hoffnung hat sie verlassen. Die Nachricht, dass Neve erneut um ihr Leben kämpft und die Tatsache, dass sie diese Nachricht nicht verarbeiten kann, zeigt ihr, dass sie ganz und gar ausgelaugt ist. Dass keine Kraft mehr vorhanden ist, von der sie schöpfen könnte. Dennoch muss sie an Precious und Jean denken.

      Mit einem Blick zurück nach oben, wankt Sam in die Küche. Zitternd bereitet sie sich einen Kaffee zu, mit dem sie sich einige Zeit später auf die Couch setzt. Fast in Trance schaltet sie den Fernseher ein und sucht einen Radio-Sender. Ton reicht ihr, Bild wäre im Augenblick tatsächlich zu viel für sie. Sie würde reizüberflutet werden und damit kann sie jetzt grade nicht umgehen.

      Sam weiß, dass sie zu Neve will. Dass sie einfach nur zu ihrer Frau will. Sie weiß auch, dass es ihrem natürlichen Instinkt widerstrebt hier zuhause zu sitzen, anstatt bei ihrer Frau zu sein. Sie führt einen inneren Kampf mit sich aus, dem sie kaum etwas entgegenzusetzen hat. Ihr fehlt die nötige Kraft um sich auf eines der Gefühle zu konzentrieren. Ihr ist bewusst, dass ihr zuhause ihr in diesem Moment wie ein Gefängnis vorkommt. Dass sie hier raus will – dass sie tatsächlich nicht hier sein will. Aber sie hat zwei Kinder. Sie hat Neve versprochen, dass sie sich um sie kümmern wird. Neve hat in vielerlei Hinsicht an so vieles gedacht und vorausgeplant. Sie tat das alles im Sinne ihrer Familie. Sam hingegen kann nur an sich denken. Sie muss sich dazu zwingen, zuhause bei ihren Kindern zu bleiben. Jessica wird sich melden. Sobald sie eine Information aus dem Krankenhaus bekommen wird, ist Sam die Erste der sie davon erzählen wird. Nur wann das sein wird, weiß niemand.

      Alleine dieser Gedanke lässt Sam schwindelig werden. Um ihren Kreislauf aber einigermaßen aufrecht zu halten, trinkt sie einen großen Schluck Kaffee. Es fühlt sich für sie im Augenblick an, als wenn sie in einer Seifenblase sitzen würde, die mit einer kurzen Nachricht – mit wenigen Worten zerstört werden könnte. Nur ein Anruf, ein paar Worte und Sams Leben wäre für immer vernichtet.

      Kopfschüttelnd blickt sie zu dem Fernseher. Nein, Neve wird sie nicht alleine lassen, niemals. Sie wird kämpfen, auch wenn sie eigentlich gar keine Kraft mehr dazu hat. Sie kämpft, um zu ihren Kids und ihrer Frau zurückkehren zu können. Sam weiß das. Es gibt eigentlich gar keine andere Möglichkeit als diese. Neve wird kämpfen!

      ***

      Wie ein Tornado wirbelt Sam am Morgen um ihre eigene Achse. Die Schüssel mit Birnenstücken für Jean fällt ihr aus der Hand und zerschlägt auf den Küchenfließen.

      Mit einem einzigen Satz ist sie beim Tresen, reißt das Telefon aus der Halterung und schleudert diese mit einer einzigen Bewegung fast vom Tresen.

      »Ja?«

      »Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Sie ist stabil.« Kaum spricht Jessica diese Worte aus, laufen Sam Freudentränen über die Wangen.

      »Die Lungenentzündung war nicht so schlimm wie zuerst angenommen. Neves Körper hat die Entzündung früh genug angezeigt, so dass nichts Gravierenderes passieren konnte. Allerdings bekommt sie weitere Medikamente, um die Entzündung zu behandeln.« Sams Schweigen zeigt Jessica, dass ihr eine Tonnenschwere Last vom Herzen gefallen ist. Sam wüsste eh nicht, was sie im Augenblick sagen sollte. Ihr fehlen einfach die Worte.

      »Sam?«, fragt Jessica vorsichtshalber dennoch nach.

      »Wie geht es Laura?«, flüstert Sam kaum hörbar. Sie hört Jessica schlucken.

      »Sie ist fertig mit den Nerven. So habe ich sie in all den Jahren noch nie erlebt. Selbst du würdest sie nicht wiedererkennen.«

      »Wie geht es dir?« Sam hört ihre Freundin schmunzeln.

      »Danke, dass du fragst«, flüstert Jessica erfreut.

      »Mir«, sie räuspert sich »mir geht es soweit ganz gut. Das Denken fällt mir schwer und die Konzentration für die Kids fehlt mir, aber ich schaffe das schon. Wenn das alles vorbei ist, brauche ich definitiv Urlaub«, lacht Jessica schwerfällig.

      »Den spendiere ich dir dann«, lacht Sam ebenfalls.

      »Zu großzügig von dir.« Sam kann sich Jessicas grinsendes aber erschöpftes Gesicht richtig gut vorstellen. Was die Frau im Augenblick ertragen muss, ist der Wahnsinn. Sie muss in so viele Richtungen denken und gleichzeitig funktionieren. Sam ist mit sich selbst und den Kids ja schon überfordert. Wenn sie sich aber auch noch um Neve und ihre Freunde kümmern müsste, würde sie sich aus Selbstschutz irgendwo verkriechen.

      »Kann ich später kurz vorbeikommen bevor ich ins Krankenhaus fahre?«

      »Natürlich, das würde uns freuen. Sam, ich weiß, dass dir das nicht schmecken wird, aber fahre heute bitte nicht ins Krankenhaus.« Das erste Gefühl das in Sam aufsteigt, ist Wut. Sie spürt schon dieses Brodeln.

      »Neve hat eine wahnsinnig anstrengende Nacht hinter sich. Gib ihr bitte einen Tag Ruhe, Sam. Nur einen. Gib ihr und dir selbst etwas Ruhe. Morgen kannst du wieder hin. Bring die Kids später einfach mit und ich koche uns etwas, ja?« Jessica spricht so ruhig und einfühlsam, dass sich Sam fragt, wie sehr sie sich eigentlich unter Kontrolle haben muss, um nicht in Tränen auszubrechen und stattdessen an ihre Freunde zu denken. Wo nimmt Jessica nur die Kraft und Geduld her? Wie kann sie überhaupt noch klar denken? Ist es das was Neve in ihr sah, als sie die Patientenverfügung ausfüllte? Ist es das was Neve aus ihrer Freundin herauskitzeln wollte? Diese ruhige und besonnene Art? Dieses kontrollierte Denken und Handeln?

      »Du bist unglaublich«, flüstert Sam so leise, dass Jessica nach wenigen Sekunden »Was hast du gesagt?« nachfragt.

      »Ich komme später mit den Kids rum. Vielleicht kann ich dir beim kochen helfen. Braucht ihr noch etwas? Soll ich etwas mitbringen?«, lenkt Sam gekonnt ab.

      »Nein, danke. Ich