Samantha O. Collins

Engelslügen


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weißt du das?«, entgegnete Olivia erstaunt.

      »Da du noch nicht 18 bist, werde ich informiert, wenn du dem Unterricht fern bleibst«, erklärte sie ihrer Nichte.

      »Entschuldige, es kommt nicht wieder vor. Ich fühle mich nur nicht sonderlich fit in letzter Zeit«, bat sie reuevoll um Verzeihung.

      »Ach Kind, das ist bestimmt nur die Sorge darüber, wie die Zukunft aussehen wird. Lass dir eines gesagt sein. Du wirst deinen Weg schon finden und alles schaffen, was du dir vornimmst! Deine Mutter war immer Stolz auf dich und wäre es auch noch, genauso wie ich es auf dich bin meine Kleine! Der Herr wird dich auf all deinen Wegen beschützen. Und jetzt zeig mir ein strahlendes Lächeln!«, beruhigte sie ihre Nichte. Als eine Träne aus Olivias Auge hinunter auf ihre Wange rollte, zog ihre Tante sie zu sich heran und umarmte sie, woraufhin ein Lächeln über Olivias Lippen huschte. Zufrieden nickte Tante Heather und wand sich wieder ihrem Magazin zu, dass sie zuvor schon gelesen hatte. Sie liebte es, den Klatsch und Tratsch der Königshäuser der ganzen Welt zu lesen. Sie glaubte zwar nicht immer was darin stand, aber wie die »Reichen« lebten faszinierte sie. »Soviel Protz braucht niemand! Nichts würde mich dazu bringen so zu leben wie die!«, betonte sie stets.

      In ihrem Zimmer wartete bereits Gino auf sie. Am Morgen hatte sie vergessen das Fenster ganz zu schließen und ihr Freund konnte sich so leicht Zugang verschaffen. Ihrer Tante gefiel das überhaupt nicht und daher ließ sie eigens für ihn einen Wohnungsschlüssel nachmachen. »Du kannst die Tür benutzen!«, kommentierte sie die Schlüsselübergabe. Anfangs nutzte er ihn, um ihr zu zeigen, dass er ein braver Junge war, aber bald schon kam und ging er wie gewohnt durch Olivias Fenster.

      »Da bist du ja«, begrüßte er sie.

      »Falls Gino was essen möchte, es steht noch ein bisschen in der Küche!«, hörte sie ihre Tante Heather rufen.

      Woher wusste sie, dass Gino da war? »Er hat keinen Hunger!«, rief sie zurück, bevor Gino darauf antworten konnte. »Du ich bin total erledigt heute. Ich will mich einfach nur hinlegen«, wandte sie sich erschöpft an ihn. Sie hoffte, dass er gehen würde, da sie allein darüber nachdenken wollte, was dieser verrückte Tag zu bedeuten hatte. Gino strahlte sie an und für einen Moment vergaß sie die Ereignisse des Tages und dass sie lieber allein sein wollte. Sein rundes Gesicht und die breiten Schultern, taten ihr übriges. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen und doch wollte sie das nicht. Für sie war er mehr wie ein Bruder den sie nie hatte und ein Freund mit dem sie über Sachen sprechen konnte, über die sie mit sonst niemanden reden konnte.

      »Das hat nicht zufällig etwas damit zu tun?«, er zog sein Handy aus der Tasche und spielte ein Video ab.

      Darauf zu sehen, war gerade noch, wie Olivia Page nach hinten stieß. Auf dem Video sah es stärker aus, als es sich für sie angefühlt hatte. Irgendein Spaßvogel hatte auch typische Comicgeräusche, wie BANG, POW, BOOM und WUSCH dazu geschrieben. Sein Gesichtsausdruck wurde markanter und die weichen Konturen hoben sich zu härteren Linien ab. Seine Augenbrauen zog er hoch und sein Blick suchte nach Antworten.

      »Also wenn ich dich nicht kennen würde, könnte ich auf die Idee kommen, dass du Steroide nimmst. Was auch erklären würde, warum du so depressiv geworden bist«, klagte er sie an.

      »Steroide? Spinnst du? Sehe ich aus, als würde ich so was nehmen oder brauchen?« Zur Verdeutlichung, fuhr sie mit den Händen ihren schmächtigen Körper nach. Super, genau das hat mir jetzt noch gefehlt. Ganz toll! »Das hab ich jetzt echt nicht gehört, dass du auch nur ansatzweise denkst, ich könnte so etwas nehmen!«, fauchte sie ihn böse an.

      Gerade als Gino sich entschuldigen wollte, begann Olivias Hand wieder zu funkeln. Der helle Glanz reflektierte vom Spiegel neben ihrem Bett und von der Glasverzierten Deckenleuchte. Für einen kurzen Augenblick strahlte ihr Zimmer wie eine Discokugel.

      »Was zur Hölle …«, er deutete auf ihre Hand.

      »Gino! Ich dulde hier keine Flüche!«, hallte es aus der Küche. Tante Heather war eine überaus gottesfürchtige Frau, dennoch kam sie dem ausdrücklichen Wunsch im Testament ihrer Schwester nach und hatte Olivia nicht taufen lassen. Olivia war es recht so, mit Gott hatte sie nicht viel zu tun, hatte er ihr doch ihre Mutter genommen. Eines morgens bereitete ihre Mutter gerade das Frühstück, als sie kollabierte. Der sofort herbeigerufene Notarzt konnte jedoch nur noch ihren Tod feststellen. Als Todesursache gaben die Ärzte einen Herzfehler an. Ihre Tante Heather ließ Olivia gleich darauf untersuchen, ob es ihrem Herzen gut gehe. »Kräftig wie das eines Bären!«, diagnostizierte der Kinderarzt damals. Ihre Tante glaubte nicht so recht an die Gutachten der Autopsie. Sie sprach oft davon, dass Olivias Mutter an gebrochenem Herzen starb.

      Außerdem bekam sie so früher immer eine Freistunde, während die anderen Schüler ihrer Klasse die Bibel repetieren mussten. Die freie Zeit nutzte sie um Hausaufgaben zu machen. So hatte sie Nachmittags mehr Zeit für sich und ihre Recherchen für die Schülerzeitung.

       Langsam, in der Hoffnung, dass Funkeln würde genauso schnell verschwinden, wie es aufgetreten war, holte sie die Hand hervor, die sie beim Ruf ihrer Tante hinter ihrem Rücken versteckte.

      »Wie hast du das gemacht?«, fragte er völlig erstaunt.

      »Wie habe ich was gemacht?«, gab sie unschuldig zurück. Das Funkeln hatte tatsächlich aufgehört und ihre Hand sah völlig normal aus.

      »Ich bin doch nicht blöd, du hast da irgendwas gemacht! Komm schon, erst das mit Page jetzt deine Hand, du verschweigst mir etwas«, beharrte ihr bester Freund.

      Statt ihm eine Antwort zu geben, sah sie ihn nur mit großen Augen an.

      »Also gut. Versteh schon, du willst nicht mit mir darüber reden. Ich wünsch dir noch einen schönen Abend! Aber glaube nicht, dass ich das vergessen werde! Ich weiß was ich gesehen habe!« Er wandte sich enttäuscht von ihr ab und öffnete das Fenster, um ihr Zimmer wieder zu verlassen. Als er das erste Bein über die Brüstung schwang, hielt sie ihn am Arm fest.

      »Bitte warte«, bat sie Gino leise. »Das Funkeln ist heute einfach so passiert. Aber ich habe dir doch schon von meinen Träumen erzählt. Sie sind so realistisch. Und heute habe ich mich so über Page geärgert, keine Ahnung wie ich das fertiggebracht habe sie so fest zu stoßen«, Olivia machte eine Pause. »Ja und danach bin ich weggelaufen in die alte Villa, du weißt schon, die bei der Uni. Erst habe ich mich versteckt, und als ich mir sicher war, dass mir niemand gefolgt ist, habe ich das alte Haus genauer untersucht. Wusstest du, dass in dem Keller ein wahnsinnig großer mit Marmor verkleideter Saal ist?«, sie hoffte, er würde sich darauf einlassen und den Rest vergessen.

      »Natürlich weiß ich das nicht, woher auch? Und weiter!«, warf er kühl ein.

      »Dort habe ich etwas gesehen, beziehungsweise eigentlich nicht. Aber da war etwas unheimliches, es hat mich angesehen und mich verletzt«, sie zeigte ihre Wunde am Oberarm, die nach wie vor heftig brannte.

      »Okay, aber das erklärt das Funkeln noch nicht!«, bemerkte er sichtlich interessierter. Seine Gesichtszüge wurden allmählich weicher, als er merkte, dass sie ihm die Geschichte wirklich erzählen wollte.

      »Das hatte mich so wütend und ängstlich gemacht und plötzlich funkelte meine Hand. Ich hob sie an, und auf einmal ging ein Blitz oder was auch immer von meiner Hand direkt in die Wand. Ich schwöre dir, ich habe keine Ahnung, was da passiert ist. Ehrlich gesagt war ich mir nicht mal sicher, dass es überhaupt geschehen war, bis es jetzt wieder passierte.«

      »Was hattest du da überhaupt zu suchen? Soweit ich weiß, soll die alte Villa nächstes Jahr wegen Einsturzgefährdung abgerissen werden. So stand es jedenfalls in der Zeitung. Und ein Schandfleck für die Gegend ist die Ruine auch! Irgendwie auch gruselig, wenn du mich fragst!«

      »Da verstecke ich mich wie schon gesagt immer, doch diesmal zog mich irgendwas in den Keller, es war wie mit den Träumen so eine Ahnung! Verstehst du?«, rechtfertigte sie ihre Leichtsinnigkeit.

      »Sag mal, siehst du nie Horrorfilme? Huch ein komisches Geräusch, ich sollte mal nachsehen. Vielleicht ist es ja nur eine Katze, die versucht Schränke nach Wertsachen zu durchsuchen. Mensch, die