Samantha O. Collins

Engelslügen


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sollte mal probieren, ob ich einen Laserblick habe. Sie musste lachen, obwohl ihr die Tränen in den Augen standen. Mit einem hatte er aber vollkommen recht, ihr Leben, wie sie es kannte, war ganz offensichtlich vorbei.

      Das Stroh pikste sie in den Po und Rücken, fluchend stand sie auf und sah sich die verschiedensten Symbole an der Wand an. Wie bei dem Symbol für Wasser erkannte sie instinktiv ein weiteres Zeichen, eine Rune, die ihr das Wort Portal vor ihr inneres Auge brannte.

      Wieder fuhr sie es mit ihrem Finger nach, und als sie die letzte Linie zog, begann die Rune zu glühen. Klackend löste sich eine Verriegelung an der gegenüberliegenden Wand. Ein Oval hob sich langsam vom Fels ab und bildete in seinem inneren einen Spiegel. Vorsichtig trat sie darauf zu.

      »Bleib!«, knurrte Manakel.

      Erschrocken fuhr sie zusammen und drehte sich zu ihm um. Er wirkte müde und verbraucht, die Jahrhunderte mussten ihm übel mitgespielt haben.

      »Komm, lass uns reden«, bat er sie mit sanfter Stimme und führte sie zu dem großen Raum mit dem Stein in der Mitte zurück.

      Der Stein glühte nun golden, als sie sich davor gegenüber voneinander hinsetzten.

      »Hier iss, so etwas esst ihr Menschen doch oder?«, vermutete Manakel, als er ihr eine Tüte Chips reichte. »Nimm dir auch eine Decke, falls dir kalt ist. Ich habe das Essen und die Decken für dich hierher gebracht«, erklärte er. Dankend nahm Olivia die Kartoffelchips und mampfte sie genüsslich.

      »Ist zwar nicht sonderlich gesund und nahrhaft, aber ich danke dir!«, nuschelte sie mit vollem Mund.

      Sie sprachen eine ganze Zeit lang und immer wieder sah sie Bilder seiner Erzählungen auf dem golden leuchtenden Stein schweben. Sie waren so detailreich und plastisch, dass sie immer wieder den Drang unterdrücken musste hineinzugreifen. Abbildungen von Engeln und Menschen waren zu sehen und wie aus ihren Kindern Halbwesen wurden. Immer wenn eine Frau das Kind eines Engels austrug, wurde aus dem Kind ein Nephilim. Halb Mensch und halb Engel.

      »Warum werden die Nephilim von allen gejagt?«, brannte sie darauf zu erfahren.

      »Du bist auch eine vergiss das nicht! Die Nephilim sind zu einem Teil menschlich und zu einem anderen Teil Engel oder Dämon. Obwohl die Dämonen auch gefallene Engel sind. Nun, uns ist es verboten mit Menschen Kinder zu zeugen und zur Strafe werden die Kinder getötet. Trotzdem schaffen es immer wieder welche, zu entkommen. Wie du, wenn du auf mich hörst! Deine Flügel müssen sich noch ausbilden, sie wurden mit einem Bannzauber verborgen. Ein mächtiger Zauber, aber du hast sie vielleicht sogar schon gespürt. Ein kribbeln oder jucken im Rücken, dürften die ersten Anzeichen dafür sein«, erzählte er. Nickend bestätigte sie, da sie schon öfter diesen Juckreiz auf ihrem Rücken verspürte.

      Flügel, na klar. Ich mit meiner Höhenangst werde mich in die Lüfte erheben, kicherte sie in Gedanken. Das ihr tatsächlich Flügel wachsen sollten, glaubte sie nicht.

      »Dein Vater wollte dem Himmel abschwören und sterblich sein. Einen Bannzauber, der deine Nephilim Kräfte unterdrücken sollte, hatte er schon sprechen lassen. Zu seinem letzten Schritt kam er nicht mehr. Er wollte das Blutritual durchführen, dass ihn von seinen Flügeln befreien und ihm Sterblichkeit schenken sollte«, fuhr er fort.

      »Woher kanntet ihr euch? Und warum hilfst du mir?«, wollte sie wissen.

      Der Engel seufzte und starrte zum sandigen Boden. Sie konnte spüren, dass ihm die Geschichte nahe ging. Obwohl er ihr anfangs berichtet hatte, wie gefühlskalt die Heerscharen des Himmels sein konnten. Sie entschied sich, ihm die Frage später erneut zu stellen, und es für den Moment dabei bewenden zu lassen. Vergessen wollte sie ihre Frage auf keinen Fall. Ihr anfangs vorgespieltes Vertrauen baute sich zu echtem aus. Die Dinge die er erzählte, schienen wahr zu sein. Für eine simple Lüge, war sein Wissen um sie und die Geschichten um ihre Eltern zu detailreich.

      Ihr Blick glitt von den Tüten Chips, zum goldig glimmenden Stein und auf einem der real wirkenden Bilder sah sie ihre Tante Heather. »Ist das so was wie ein Videotelefon?«

      Manakel besann sich wieder und sagte: »Man kann mit seiner Hilfe die Vergangenheit eines jeden Wesens sehen, das sich ihm öffnet. Und mit einem zusätzlichen Stein könnte man auch einen Ort überwachen.«

      Freudestrahlend starrte sie ihn mit offenem Mund an. Kapiert er denn nicht?, überlegte sie und verdrehte die Augen.

      »Ja ich werde einen dort hinterlegen, aber sie sind selten, deshalb kann ich nicht jeden deiner Freunde überwachen!«, stellte er klar.

      Zufrieden führte sie das Gespräch mit ihm fort, bis sie müde wurde und auf eine der Decken fiel, die neben den Knabbersachen lagen. Ihre Träume waren endlich wieder keine schlimmen. Nichts deutete auf einen brennenden Baum oder menschliche Schädel hin, stattdessen träumte sie von ihrer Mutter.

      Durch ein scharrendes Geräusch wachte sie auf. Sie sah sich nach dem Engel um und fand ihn ein paar Meter weiter neben sich. Mit seinem Fuß scharrte er auf dem felsigen Boden. Erst als sie genauer hinsah, bemerkte sie, dass es kein normaler Fuß war, den er hatte, es waren statt Zehen Krallen. Hatte er die vorher schon? Räuspernd machte sie auf sich aufmerksam. Manakel drehte sich um, ließ seine Hose über sein Bein gleiten und entschuldigte sich bei ihr, dass er sie geweckt hatte. Er kam zu ihr und sie bemerkte zu spät, dass sie noch immer auf seine nun in Stoff verhüllten Beine starrte.

      »Entschuldige bitte, es muss dich irritieren. Das ist eine Nebenwirkung, wenn man aus dem Kreis der Erlauchten ausscheidet.« Kurz hob er ein Hosenbein an, dass sein behaartes Bein und die klingenartigen Krallen zeigte. »Wenn wir verbannt werden, entstellt man uns, damit die Menschen sich vor uns fürchten. Zu meinem Glück, traf es mich nur an den Beinen, anderen wachsen Hörner«, offenbarte er lächelnd. »Jetzt solltest du wieder schlafen, morgen werden wir zu einem Schamanen gehen, der dir bei deinen Flügeln helfen wird!«, fügte er an.

      Sie schüttelte unmerklich den Kopf, an die Geschichte mit den Flügeln glaubte sie nach wie vor nicht. Das ihr Vater ein Engel war, dagegen schon, schließlich sprach sie soeben mit einem.

      5

      Verbunden

      Kühl fühlte sich die Salbe an, die ein Medizinmann Olivia auf den Rücken rieb. Wie man sich einen Indianerhäuptling vorstellte, führte der Schamane ein Ritual auf. Dabei trug er einen wahnsinnig ausladenden Federschmuck. Mit einem rasselnden Stab, tanzte er um sie herum und murmelte Beschwörungsformeln. Die Creme auf ihrem Rücken zog schnell und deutlich spürbar in ihr Fleisch ein und entließ eine Hitzewelle, die sie bis in die Füße spüren konnte. Schmerz durchzuckte sie, und zwang sie kurz in die Knie, als der Bann von ihrem Körper glitt. Pochend reckten sich zwei Flügel von ihrem Rücken.

      Ach du Scheiße. Ist das wahr? Ich glaube es ja nicht!

      »Wie Prachtvoll!« Manakel stellte fest, dass ihre besonders waren, da sie nicht nur silbrig wie bei allen Nephilim, oder pechschwarz wie bei den zu Dämonen degradierten gefallenen Engeln waren. Sondern ihre waren silbern leuchtend mit einer feinen Verästelung von goldenen Schlieren, als hätte jemand feinste Goldfäden über ihr ausgekippt. Manakel wusste um das Abblassen der Helligkeit seiner Schwingen. Je länger ein Engel vom Himmel verbannt war, um so dunkler wurden dessen Flügel.

      Olivia konnte sie spüren wie einen Fremdkörper auf der Haut. Sie bat um einen Spiegel, doch darin konnte sie sie nicht erkennen. Nur wenn sie ihren Kopf nach hinten hielt, erspähte sie einen Teil der Schwingen erkennen. Fragend schaute sie zu Manakel.

      »Menschen können nicht sehen, was wir sind! Und ein gewöhnlicher Spiegel zeigt nur das, was Menschen sehen. Einige besitzen die Gabe, uns als das zu sehen, was wir wirklich sind«, erklärte er ihr sanft und liebevoll.

      Enttäuscht breitete sie die Schwingen aus und versuchte sich in die Luft zu erheben.

      »Warte nicht so schnell, du musst dich erst an sie gewöhnen und mit ihnen üben! Andere Nephilim haben den Vorteil, dass sie sie schon früher ausprobieren können, du musst das erst nachholen«, unterband er ihren ersten Flugversuch.