Samantha O. Collins

Engelslügen


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      »Nicht ganz das, was ich erwartet habe, aber gut, Mission erfolgreich«, löste er sich aus seiner Erstarrung. »Wie hast du das gemacht?«, legte er nach.

      Der Zorn kroch langsam wieder aus ihr heraus, als sie seinen anerkennenden Blick registrierte. »Was gemacht? Kannst du das etwa nicht?« Gabriel wechselte seinen Blick von der Asche zu ihr.

      »Ähm nicht direkt. Ich muss zumindest einen Blitz direkt, darauf zu schleudern. Du hast es quasi in meiner Hand verbrennen lassen. Eigentlich dachte ich, du weichst dem Stab nur aus«, sprach er mit weit aufgerissenen Augen. In seinen leuchtend grünen Augen erkannte sie den zu Staub zerfallenen Stab und bemerkte seine Verwunderung. Es entging ihr nicht, dass er so etwas noch nie gesehen hatte.

      Gabriel verschwand kurz darauf und kam mit einem neuen Stab zurück. »Mach das noch mal!«, forderte er sie auf.

      Wieder konzentrierte sie sich auf den Stab, nichts tat sich. Gabriel wartete eine gute Minute lang und ließ ihn auf ihren Kopf niedersausen. Diesmal glühte ihre Hand nicht und dennoch bemerkte sie die leichte Druckveränderung der Luft und wich im letzten Moment, bevor er sie treffen konnte, aus. Dumpf schlug er um Haaresbreite neben ihrem Körper auf dem sandigen Fels auf. Noch während der Stab vom Aufschlag schwingend in der Luft tanzte, zog sie ihr rechtes Bein an, um es einen Sekundenbruchteil später gegen die Mitte des Stocks zu schlagen. Klirrend landete der Stab auf der Felswand und fiel zu Boden.

      Gabriel gratulierte ihr und forderte sie auf, die Übung ein paar weitere Male zu wiederholen. Das Training ging jeweils mit demselben Ergebnis zu Ende. Zufrieden musterte Gabriel seine Schülerin.

      »Aus dir kann ja doch noch was werden!«, rang er sich ein Kompliment ab.

      Sie trainierten weitere Blindübungen, wie Umkreisen des Gegners und ihn genau zu lokalisieren. Oder mit verbundenen Augen den Raum abtasten. Am besten beherrschte sie die Schildübungen. Mit Kraft der Gedanken und ihren Blitzen schuf sie nahezu undurchdringliche Schilde. Traf etwas darauf, prallte es knisternd ab.

      Gegen Abend kehrte Manakel, mit einem großen Sack auf dem Rücken, zurück. Da hat aber jemand schlechte Laune.

      Grimmig sah er zu ihr, schnappte sich den Stab, der am glimmenden Stein lag, und schlug ihr mit voller Wucht auf die Kniescheibe. Kreischend schlug Olivia auf dem sandigen Boden auf, ein spitzer Stein bohrte sich in ihren Rücken, doch das bemerkte sie kaum. Der Schmerz der zerschmetterten Kniescheibe schwoll immer weiter an.

      Gabriel lief dazu und starrte fassungslos den wild gewordenen Engel an.

      Blitze formten sich in ihren Händen. Aus ihrer rechten Hand schoss ein grell blauer Blitz direkt in Manakels linke Schulter. Ruckartig schleuderte er zurück und bildete einen Schild um sich. Der Blitz aus Olivias linker Hand zerbarst daran wie Eis auf Beton.

      »Was hast du getan?«, schrie der junge Nephilim.

      »Du dummes Kind!«, schrie der Engel zu Olivia. »Dein Freund ist ein Angemon, die Brut aus Licht und Schatten.«

      Er warf das Bündel hart auf den Boden, aus dem Sack erklang ein stöhnendes Geräusch.

      Was ist da drin?

      Der Schmerz in ihrem Bein raubte ihr fast die Besinnung. Manakel bäumte sich vor ihr auf und lud einen Blitz in seine Hand. Gleichzeitig streckten Olivia und Gabriel ihre Fäuste entgegen und stießen den Engel mit einem gewaltigen gebündelten Blitz zu Boden. Orientierungslos schaute Manakel die beiden an. Sein Blick war kurz wieder klar und friedlich und doch begann er, langsam wieder finster zu werden.

      »Schnell!«, rief Gabriel.

      Instinktiv hob sie beide Hände und schoss grünliche Funken auf Manakel. Gabriel tat es ihr gleich und so verstärkte sich ihr Schildregen über dem Engel, der nun darin gefangen war.

      Hastig legte Gabriel seine Hand auf ihr Knie und sprach Worte, einer längst vergangenen Zivilisation. Der Schmerz ließ nach und die zersplitterten Knochenstücke fügten sich wieder zusammen. Es wirkte auf sie, als würden Maden unter ihrer Haut kriechen. Zumindest war die Heilung schmerzlos.

      »Was ist nur in ihn gefahren?«, fragte sie ihn.

      »Ich glaube er ist vergiftet worden. Du erinnerst dich an den Sandgeist?« Olivia nickte zur Bestätigung. »Ich denke, der Geist hat ihm im Kampf ein Gift verabreicht, dass ihn Wahnvorstellungen haben lässt«, erklärte er.

      Leidgeplagt ließ sie ihren Blick schweifen und entdeckte das Bündel, das leicht zuckend am Boden lag. »Was ist da drin?«

      Gabriel öffnete den Sack und Olivias Herz hörte auf zu schlagen. Vor ihr lag blutüberströmt und übel zugerichtet Gino. Schwer atmend und mit schwachem Puls öffnete er die Augen.

      »Oliv …«, wisperte er.

      Was in aller Welt hat er dir angetan?, formte sich die Fassungslosigkeit in ihren Gedanken.

      »Tu was!«, schnauzte sie voller Angst Gabriel an.

      Wieder sprach und sang er in alten Sprachen, doch im Gegensatz zu ihr heilten seine Wunden noch nicht. Enttäuscht sah sie zu Gabriel auf.

      »Er ist ein Mensch, da hilft der Zauber zwar auch, aber es dauert länger, bis er wirkt«, rechtfertigte er sich.

      »Kannst du ihm auch helfen?«, sie deutete auf Manakel.

      »Ich kann es versuchen, aber es wird ihn nicht heilen. Er braucht den Glanz des Lichtes und den gibt es bekannterweise nur in der Engelswelt. Doch sobald er sich dort blicken lässt, werden sie ihn vernichten«, erklärte er bedrückt.

      Vor dem Engel kniete er nieder wie ein Mönch beim Beten. Murmelnd kamen die geheimnisvollen Worte über seine Lippen. Das Ritual dauerte viel länger als bei Olivia und Gino. Völlig erschöpft brach Gabriel zusammen, die Finsternis in Manakels Augen wurde schwächer und auch er verfiel wie der Nephilim in einen tiefen Schlaf. Es war das erste Mal überhaupt, dass Olivia den Engel wirklich schlafen gesehen hatte.

      »Oliv wo sind wir hier? Und was ist passiert?«, waren Ginos erste Worte, als er viele Stunden später erwachte. Seine Wunden waren zu einem großen Teil verheilt, doch es würde noch einen vollen Tag dauern, bis er wieder vollständig genesen war.

      »Woran kannst du dich erinnern?«, schaute sie ihn sorgenvoll an.

      »An den da …«, er zeigte mit dem Finger auf Manakel. »… er war bei dir zu Hause. Als er mich durch das Fenster gesehen hat, ist er durchgedreht und hat angefangen, auf mich einzuprügeln. Der Typ ist vollkommen gestört. Wer ist das und wo sind wir hier?«

      Behutsam erzählte sie ihm, was die letzten Tage alles passiert war, auch die Dinge, die sie ihm schon gesagt hatte. Ungläubig schaute er sie an.

      »Du glaubst mir nicht?«, spottete sie.

      »Ich seh jedenfalls keine Engel oder Flügel hier.«

      Olivia erinnerte sich daran, was Manakel ihr sagte, als er davon sprach, dass Menschen ihre wahre Gestalt nie sehen könnten. Aber er sagte auch, dass wenn sie es wirklich will, einem Menschen kurz ihre Flügel zeigen könne. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich.

      Flügel zeigt euch, sprach sie gedanklich.

      »Wow sie sind so …«, er rang nach den richtigen Worten.

      »So wunderschön?«, beendete sie seinen Satz, auch wenn sie selbst die volle Pracht noch nicht gesehen hatte.

      Erschöpft schlief Gino wieder ein. Gerade rechtzeitig, um nicht zu bemerken, dass Manakel erwacht war. Die Augen des einstigen Engels waren ausdruckslos und seine Gesichtszüge wirkten resigniert. Die Finsternis in seinem Blick war Reumütigkeit gewichen. Er sah nicht gut aus, selbst seine Flügel strahlten kein bisschen mehr. Sie hingen dunkelgrau an seinem Rücken herunter.

       Gewöhnlich dauerte es viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte, bis die Flügel der verstoßenen Engel pechschwarz wurden. Doch durch das Gift des Sandgeistes geschah dies nun innerhalb weniger Stunden.

      »Du musst ihn zurückbringen. Und dich von mir fernhalten!«, hallten