Samantha O. Collins

Engelslügen


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verlor langsam das Bewusstsein. Sie war zu erschöpft um dagegen anzukämpfen und der Schreck drängte das Blut aus ihrem Kopf. Ihr Gesicht landete im weichen Gras, sie konnte den frischen Geruch von Frühreif riechen. Sie fühlte die feuchte Kühle, die vom Morgentau ausging.

      Langsam schob sich der orangerot leuchtende Schein der Sonne, von Osten kommend, über den Himmel und verdrängte die Dunkelheit, um einen neuen Tag zu begrüßen. Schemenhaft nahm sie, wie durch einen Schleier verhüllt wahr, wie der Engel dessen Namen sie nicht kannte, sie auf seinen starken Armen empor hob. Sie spürte eine leichte Brise an ihrer Wange, merkte, wie sie federleicht wurde, und war sich nicht mehr sicher, ob sie das alles nicht einfach nur träumte.

      Wenn es ein Traum war, so empfand sie ungewöhnlich viel. Ist es normal, dass man in Träumen denken kann?, überlegte sie. Die Gedanken zogen an ihr vorbei, ohne dass sie einen greifen und festhalten konnte.

      Sie fühlte sich frei, obwohl sie ahnte, dass dies nicht nur ein Traum sein konnte. Fühlt sich so der Tod an?, schoss es ihr durch den Kopf. So leicht. So angenehm und so belanglos. So frei? Sie überlegte, dass ihre Vermutung stimmen musste, warum sonst sollte sie denn Engel sehen können? Hatte sie wirklich einen Engel gesehen? Oder war es Teil eines Traums, der ein Leben vorspielte? Es war ihr egal, sie schloss die Augen und sah nichts mehr außer Schwärze.

      4

      Manakel

      Wasser das auf ihre Stirn tropfte, weckte sie. Sie brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass sie nicht zu Hause in ihrem kuschelig warmen Bett aufgewacht war. Nur wo war sie und was war geschehen? Schleichend kamen die Erinnerungen zurück, als sie den Raum näher untersuchte. Von der Decke tropfte Wasser an mehreren Stellen herunter. Die Wände sahen wie blanker dunkler Fels aus und auch der Boden war sandig wie in einer Höhle. Das Bett war eher ein Strohballen, der lieblos auf dem Boden verteilt und mit einer Decke verhüllt wurde. Kleine diamantglänzende Steine an der Decke und in den Wänden sorgten für ein diffuses schwaches Licht. Wovon sie angestrahlt wurden, oder ob sie von selbst leuchteten, konnte sie nicht erkennen.

      Olivia geriet in Panik, da sie keinen Ausgang sehen konnte. Hoffnungsvoll räumte sie die dürftige Schlafstelle beiseite, in dem Glauben, darunter könnte sich eine Falltür befinden. Doch auch unter dem Stroh war nichts außer Sand und Stein.

      An einer Wand konnte sie verschiedene Zeichen und Formen erkennen. Instinktiv fuhr sie mit ihrem Zeigefinger die ägyptische Hieroglyphe für Wasser nach. Als sie die letzte Welle des Zeichens nachgefahren hatte, zischte die Wand und aus dem rohen Fels, wurde eine Mauer aus Wasser. Vorsichtig streckte sie ihre Hand hindurch. Sie bemerkte, dass der wässrige Vorhang nicht sehr dick war. Dahinter ging es offenbar weiter, denn sie konnte kein Hindernis ertasten. Unsicher überlegte sie, warum sie die Hieroglyphe als die Bedeutung für Wasser erkannte, das letztlich auch die Tür darstellte. Vorsichtig schlüpfte sie hindurch.

      Von ihrer kleinen Zelle aus gelangte sie in einen schmalen Gang, der an einen größeren Raum grenzte. Leise und behutsam schlich sie ihn entlang. Die Höhle war riesig und in deren Mitte, kniete der Engel mit angezogenen Flügeln vor einem runden Stein. Neben ihm lagen ein paar Decken und Tüten mit Chips und Knabbereien.

      »Guten morgen Olivia«, bemerkte der Engel ihre Anwesenheit.

      »Was …«, weiter kam sie nicht, da der Engel wieder zu sprechen begann.

      »Mein Name ist Manakel, ich bin, wie ich bereits sagte, ein Freund deines Vaters. Die Kraft in dir ist stark, wie ich sehe!«, sprach er ruhig, fast wie ein Vater.

      »Sie kannten meinen Vater«, forschte sie nach.

      »Dazu kommen wir später. Wie hast du aus dem Raum gefunden?«, fragte er und sie konnte ehrliches Interesse in seiner Frage hören.

      »Warum sollte ich ihnen das sagen? Ich vertraue ihnen nicht!«, gab sie entschieden zurück.

      »So aber deinem Freund dem Taugenichts vertraust du so blind? Er wollte dich ausliefern, wusstest du das?«

      Kurz überlegte sie. Schließlich hatte er sie nicht umgebracht. Gabriel sagte, dass Engel nach ihrem Leben trachten würden. Da sie nicht tot war, und er außerdem vorgab, ihren Vater zu kennen, entschied sie sich, ihm zumindest ein wenig Vertrauen vorzuspielen.

      »Er ist nicht mein Freund, ich habe ihn wie dich erst gestern kennengelernt. Oder heute? Welchen Tag haben wir denn?«, fragte sie verwirrt.

      »Dann mein Kind hast du einen schlechten Umgang. Heute ist dein Geburtstag. Alles Gute zu deinem zwanzigsten Jahrestag. So sagt man es bei den Menschen doch oder?«, grinste er.

      »Oh dann hast du definitiv die Falsche erwischt, denn ich werde heute 18 nicht 20!«, konterte sie selbstzufrieden.

      Tief blickte er ihr in die Augen. Durch das dunkle Ambiente, dass nur durch die glimmenden Steine aufgehellt wurde, meinte sie eine leichte Regung in der sonst eisernen Maske seines Gesichtes zu sehen. Doch ehe sie sich versah, verschwand sie wieder und er schaute sie ausdruckslos an. Durch das diffuse Licht schien es so, als würden seine lockigen Haare von selbst leuchten und die Schatten ließen die Konturen seines Brustpanzers markanter erscheinen.

      »Tochter Jabamiahs, leibliches Kind von Christine Jacob und aufgewachsen bei Heather Jacob. Glaube mir, ich weiß wen ich vor mir habe!«, raunte er. Sein Mund bewegte sich dabei kaum, nur seine Augen begannen zu glühen.

      Unheimlich kam ihr das vor und sie sehnte sich zurück in ihr trautes Heim bei ihrer Tante, die immer so offen und herzlich war. »Ich muss nach Hause! Meine Tante sorgt sich sicher schon«, formulierte sie ihren Gedanken aus.

      »Nach Hause?«, er lachte. »Da wirst du jetzt eine ganze Weile nicht mehr hin können. Dafür kannst du deinem Freund danken! Seinetwegen weiß jetzt die halbe Unterwelt und wenigstens genauso viele Engel, wo das genau ist!«, spottete er.

      »Aber was ist mit meiner Tante? Und mit Gino?«, seufzte sie. »Und was hast du mit Gabriel getan? Warum glaubst du, dass er mir etwas antun wollte?«, verwirrt und immer noch misstrauisch schaute sie ihn direkt an.

      Wieder fing er an zu lachen, es war ein kaltes herablassendes Lachen, so als würde ein kleines Kind eine furchtbar blöde Frage stellen. Sie spürte wie der Zorn und die Wut in ihr hochkochte, am liebsten würde sie diesem Engel eine mit ihrem blauen Blitz verpassen. Ironischerweise begann ihre Hand zu funkeln und sie begriff, dass Wut und Anspannung der Auslöser dafür waren.

      Wie komme ich hier raus?, überlegte sie.

      Ohne mich gar nicht!, hallte die Stimme des Engels in ihrem Kopf. Und wenn du jetzt gehst, wirst du sterben mein Kind! Du bist dir noch immer nicht im Klaren, dass dein altes Leben aufgehört hat zu existieren. Du solltest schnell lernen, wenn dir etwas an ihm liegt!, hörte sie ihn ohne das er laut etwas zu ihr gesagt hätte.

      »Ok ich verliere den Verstand, ganz eindeutig«, hörte sie sich selbst laut murmeln.

      Manakel sah sie erneut finster an und hob seinen Kopf. »Benimm dich nicht wie ein Balg! Ich gab deinem Vater ein Versprechen und daran werde ich mich halten! Mein Name bedeutet: Der alle Dinge bewahrt und erhält. Ich werde mich um deine Tante und deinen Menschenfreund kümmern und nun geh dich ausruhen! Du hast morgen einiges vor dir!«, befahl er.

      Ohne ein weiteres Wort der Erklärung, wie er ihrer Tante und Gino helfen wollte oder was sie denn am nächsten Tag zu erwarten hätte, drehte er sich um und starrte auf seinen Stein. Er hob lediglich seine Hand und winkte ihr als Zeichen, dass sie sich entfernen dürfe.

      Trotzig hob sie ihren Arm und entließ den Blitz, der sich in ihrer Hand formte auf ihn. Zischend sprang er von ihrem Finger direkt auf Manakel zu. Sie konnte das Knistern, das er auf seinem Weg durch den Raum verursachte, wie in Zeitlupe hören. Der Blitz wurde kurz vor dem Engel von einer unsichtbaren Barriere adsorbiert und sein Schutzschild flackerte kurz auf. Manakel tat so, als hätte er von ihrem törichten Versuch, ihm zu schaden nichts mitbekommen.

      Zurück in dem Raum, aus dem sie gekommen war, setzte sie sich auf den kargen Boden und rekapitulierte