Samantha O. Collins

Engelslügen


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fragte sie schließlich, als sie einige Minuten lang schweigend neben ihm gesessen hatte.

      »Weil ich kein Krieger bin! Mein Name bedeutet, der alle Dinge bewahrt und erhält. Ich kann mich zwar verteidigen und einen Nephilim auch leicht besiegen, trotzdem bin ich nicht im Kampf gebildet, da es meiner Natur widerstrebt zu kämpfen«, sagte er sanft.

      Wie aufs Stichwort fegte eine starke Windböe an ihnen vorbei. Sofort sprang Manakel verteidigungsbereit auf und rief nach Gabriel. Ein Bein nach vorn ausgestreckt und das andere in Beuge gehalten hielt er sein Katana vor sich.

      Gabriel tat es ihm gleich, auch er hatte sein Schwert gezogen. Es war nicht so strahlend schön wie das Engelsschwert, dennoch war die Klinge beeindruckend. Das Schwert war ein Säbel, dass zum Klingenende hin immer mehr anschwoll und in einer sichelförmigen Spitze mündete. Der Griff war reich mit bunten Steinen verziert. Gabriel erweckte den Eindruck eines persischen Kriegers aus dem Morgenland.

      »Ins Zelt! Schnell!«, befahl Manakel.

      Olivia löste sich nur langsam aus ihrer Erstarrung, in die sie gefallen war, als sie fasziniert den beiden dabei zusah, wie sie ihre Kampfhaltung einnahmen. Der herumfliegende Sand bahnte sich seinen Weg unter ihre Kleidung und in ihre Augen. Es scheuerte bei jedem Schritt, den sie auf das Zelt zu ging. Wie Feuer brannte der Sand in ihren Augen.

      Aus dem Zelt heraus lugte sie mit einem Auge auf das Geschehen. Ihre Augen tränten vom Sand und sie rieb sie sich, um so viel wie möglich mitzubekommen. Sie konnte den Engel und den Nephilim sehen. Rücken an Rücken beugten sie sich zum Sturm auf ihren Gegner bereit. Doch von dem war noch nichts zu sehen. Sand wurde aufgewirbelt und verwandelte das ganze Szenario in einen Wüstensturm.

      Aus dem aufgewühlten Sand formte sich eine Gestalt, an der Seite ein Schwert glitzernd. Zischend schnell schoss es um die beiden herum, an Manakels Arm konnte sie eine Schnittwunde erkennen, aus der Blut lief. Doch der Engel rührte sich nicht, hoch konzentriert versuchte er die Gestalt im Gestöber auszumachen. Ein weiterer Schnitt zerfetzte ihm sein rechtes Hosenbein, gleichzeitig schnellte sein Schwert vor und glitt durch den Wind. Gabriel ließ sein Schwert ebenfalls durch die Luft sausen, die Gestalt wurde langsamer und kurz darauf ließ der Sandsturm nach.

      Ihre Beschützer blieben angespannt in Position. Vom Angreifer fehlte jede Spur. Manakel und Gabriel schüttelten sich den Sand aus den Haaren.

      »Ein Sandgeist. Kopfgeldjäger dunkler Mächte«, erklärte Manakel, als er Olivias fragenden Blick auf sich ruhen bemerkte.

      Olivia zog ihre Augenbrauen noch weiter nach oben.

      »Du bist keine normale Nephilim. Du bist etwas Besonderes, und das wissen leider immer mehr. Nicht nur die Engel wollen dich, sondern auch die, die gegen sie kämpfen und das müssen nicht automatisch die Guten sein. Noch wissen sie aber nicht wer du bist. Und das heißt, dir bleibt nicht mehr viel Zeit«, fuhr Manakel fort.

      »Zeit wofür?«, warf sie ein.

      »Zeit dich auf den Kampf vorzubereiten! Wir müssen deinen Vater befreien!«, flüsterte er.

      »Er lebt?«, kreischte sie. Kann das wahr sein? Warum hat er mir das nicht gleich gesagt? Das kann unmöglich wahr sein! »Wo ist mein Vater? Warum hast du das nicht früher gesagt?«, keifte sie.

      Der Engel schien zu überlegen, ob er ihr antworten sollte. »Ja er lebt! Aber lass uns in der Höhle weiter reden! Man weiß hier nie, wer zuhört«, beendete er das Gespräch flüsternd und ließ Sand durch seine Hände rieseln.

      Sie setzten ihre Reise zur Höhle am Rand der Wüste fort. Dies bedeutete einen Umweg, doch Manakel hielt es aufgrund der Begegnung mit dem Sandgeist für zu gefährlich, um sie direkt weiter zu durchqueren. Gabriel wand ein, warum sie Olivia nicht zwischen sich nehmen würden und einfach dort hinfliegen könnten. »Training«, kommentierte das der Engel einsilbig und schritt voran. Ihr kam das eher einer Bestrafung gleich, als das sie den Marsch als Training empfand.

      Zu Olivias Erleichterung fanden sich am Rand der endlos scheinenden Wüste, häufiger schattige Plätze. Wie Stalagmiten einer Tropfsteinhöhle, ragten Felsen in die Höhe und boten Rastsuchenden einen Platz zum Ausruhen. Olivia geriet an ihre Grenzen, so sehr raubte die Sonne und der Marsch durch die Wüste, ihre Kräfte. Sie war sich sicher, wenn sie nicht bald aus der sengenden Sonne herauskommen würde, dass sie an Hautkrebs sterben müsste.

      Bilder ihrer Tante Heather und von Gino huschten immer häufiger vor ihr inneres Auge. Mit jedem weiteren Schritt durch den knirschenden Sand wünschte sie sich mehr, dass sie aufwachen würde, und alles wieder so war, wie noch vor wenigen Tagen. Allmählich kam es ihr vor, als wäre ihr altes Leben nur noch ein Hauch einer Erinnerung aus längst vergangenen Tagen. Oder wie ein Traum, den man am nächsten Morgen für unglaublich realistisch hielt, man aber wusste, dass es nur ein Traum war.

      Die Kraft der Sonne ließ nach und sie erreichten die Zwielichtregion, in der Manakels geheime Zuflucht lag. Das Licht wechselte vom gleißenden Schein zu einer Abenddämmerung eines Sommertages. Sie konnten das Gebirge, in welchem die Höhle lag, bereits sehen. Schnee lag auf den Gipfeln und glitzerte von der schrägstehenden Sonne orangegold.

      »In vier Stunden sind wir da«, verkündete Manakel.

      Völlig erschöpft erreichten sie einige Stunden später die Höhle. Selbst der Engel schien es nicht gewohnt zu sein, solange auf den Beinen zu stehen. Seit den Stalagmiten fiel ihr schon auf, dass er langsamer wurde. Sie glaubte, dass er sich nur ihrer Geschwindigkeit anpassen wollte. Nun aber sah sie ihm seine Erschöpfung deutlich an. Um den glimmenden Stein herum legten sich alle nieder und machten, bis auf Manakel, die Augen zu.

      Doch bevor Olivia einschlief, stand Manakel auf und trat zu ihr herüber. »Bist du noch wach?«

      Olivia schlug die Augen auf und sah ihn nickend an.

      »Es ist so, nur dein Vater kann dich lehren, neue Zeichen zu erschaffen! Du hast die Gabe die Zeichen, Symbole und Wörter in allen Sprachen und Schriften der Menschenwelt zu finden, die magische Kräfte besitzen. Und vor allem auch zu verstehen, was sie bedeuten. In dir steckt aber noch viel mehr, wenn du soweit bist, wirst du vielleicht sogar neue Magie erschaffen können!

      Und das mein Kind wollen beide Seiten des Krieges! Wir müssen in den neunten Höllenkreis, dort wird er festgehalten. Bewacht von Dämonen, die mit dem Himmel kooperieren, im Austausch für Erlösung«,

       flüsterte er.

      6

      Gift

      Früh begann das Training mit Gabriel. Still und reglos saß sie im Schneidersitz neben dem glimmenden Stein.

      »Aua«, rief sie aus. Gabriel versetzte ihr zum wiederholten Male, mit einem Holzstab einen Hieb auf den Kopf.

      »Konzentrier dich, du musst spüren, wann ich zum Schlag aushole!«, wies er sie an.

      Auf ihrem Kopf bildete sich bereits eine kleine Beule die ihr Kopfschmerzen bereitete.

      »Au verdammt«, schrie sie.

      »Ich glaube es nicht, jetzt hast du mich dabei sogar angesehen und nicht reagiert«, stieß er entnervt hervor.

      »Wo ist Manakel?«, wunderte sie sich.

      »Unterwegs. Er kommt später wieder und wir beide sollen trainieren. Was du aber offensichtlich nicht zu tun gedenkst«, stellte er fest.

      »Doch, aber das ist albern. Wie soll es mir helfen einem Stock auszuweichen, den ich nicht mal sehe?«, entgegnete sie.

      »Die größten Gefahren lauern dort, wo man sie nicht sehen kann!«, konterte Gabriel und hob den Stab erneut.

      Drei weitere Male sauste der Stock auf ihren Kopf hinab, bis sie von dem immer wiederkehrenden Schmerz so zornig wurde, dass ihre Hand zu glühen begann.

      Sie hob die Hand über ihren Kopf in genau dem Moment, als sie beinahe ein viertes Mal getroffen worden wäre. Mitten in der Bewegung blieb Gabriel stehen und konnte den Stab nicht länger halten,