dem Umschlag befanden sich Fotos, Nacht-Aufnahmen von, wie es den Anschein machte, irgendwelchen Übergabeaktionen.
Verschiedene Fahrzeuge waren auf den Fotos zu sehen. Die
Personen darauf nicht sehr deutlich oder durch Schattenwurf großer Bogenlaternen, die an altem Mauerwerk in vielleicht fünf Metern Höhe angebracht waren, unkenntlich. Aber wenigstens deutlich lesbar die Kennzeichen der Fahrzeuge. Die Szenen auf den Bildern ähnelten sich: immer gab irgendeiner irgendeinem ein weißes Paket, nicht größer als vielleicht dreißig oder vierzig Zentimeter und vielleicht zwanzig Zentimeter hoch. Auf einigen Bildern umarmten sich die Personen und bis auf eine Ausnahme waren nur Männer abgelichtet.
Der Hintergrund waren große Sandsteinquader irgendeines älteren Gebäudes, ein großer Torbogen mit gotischem Spitzbogen, ein einseitig geöffnetes zweiflügeliges Tor von leicht dreieinhalb Metern Höhe mit schweren Angeln, von denen die zweite von unten vom rechten Torflügel aus der Waagerechten verrutscht war und leicht nach unten geneigt. Die Angeln waren markant in nach außen auslaufende Bourbonen-Lilien-Doppelbogen geschmiedet.
Auf der Rückseite der Fotos waren jeweils Datum, Uhrzeit und Kfz-Kennzeichen vermerkt. Es waren dreizehn Fotos.
Mertens war sich sicher, dass die Kollegen von der Spurensicherung auch noch fünftens und sechstens finden würden. Man musste auch Arbeitsspeicher und Festplatte des Computers abfragen. Fest stand, dass hier etwas Ungewöhnliches am laufen war, entweder handelte es sich bei D. H. Wong um einen Erpresser, um einen privaten Schnüffler oder um einen verdeckten Ermittler. Die Sache entwickelte sich brisanter, als Mertens noch bei Übernahme des Hilfe-Ersuchens am Morgen gemutmaßt hatte.
Das musste sich sein Kollege aus Osnabrück selber anschauen, hier war etwas zu vermasseln, wenn man nicht in die richtige Richtung ermittelte und warum sollte Mertens dafür geradestehen.
Sein zweiter Anruf galt der Nummer in Osnabrück, die oben in
rot auf dem graubraunen Aktendeckel prangte, “sofort zu verständigen” stand dahinter vermerkt.
Wendehals war gleich selber ‘dran: „Bitte nichts weiter unternehmen, ich komme gleich selber 'rüber zu euch”, sprudelte er hastig hervor, „kann ein paar Stunden dauern bei dem Verkehr, könnt ihr mir ein Zimmer reservieren, die Nacht werde ich wohl ‘dranhängen müssen und vielen Dank, Herr Kollege, saubere Arbeit!”
Kapitel 3
Der Erzähler unterbrach, nahm einen großen Schluck des inzwischen kalt gewordenen Kaffees und schaute sein Gegenüber erwartungsvoll an: „Na, mein Lieber, was meinst Du, was dahinter steckt?”
„Sehr eigenartig”, gab der zur Antwort, „da bin ich nun aber mal richtig gespannt, ich tippe auf Rauschgiftmafia in großem Stil
und Du sagst, das beruht alles auf Wahrheit?”
„Ich habe die Ermittlungen zum Teil selber vorgenommen, wie Du bemerkt hast und im übrigen mich über den Fortgang dieses Falles ständig auf dem laufenden halten lassen; aber weiter im Text”, mit diesen Worten nahm der Vorlesende sein Manuskript wieder auf und fuhr fort:
Tatsächlich fand Kommissar Wendehals, der am frühen Nachmittag in Groß-Einmaleins eintraf, auch noch einen fünften und einen sechsten und schließlich einen siebten Hinweis:
den Erkennungsdienst hatte man erst einmal zurückgepfiffen, weil Wendehals sich einen eigenen unverfälschten Eindruck verschaffen wollte. Das war den Kollegen ganz recht, denn eine
Einbruchsserie der vergangenen Nacht hatte allen mehr Arbeit beschert als man sich gewünscht hatte.
Mertens, eher untersetzt und zu Fettansatz neigend, vielleicht Einssiebzig groß, aber durchaus nicht schwächlich oder weich,
mit einem runden Kopf auf den Schultern und pfiffigen wachsamen Augen über der knolligen roten Nase, begrüßte den Kollegen aus Osnabrück mit einem kräftigen Händedruck, den Wendehals erwiderte. Gegen Wendehals freilich wirkte Mertens eher klein und unsportlich, gegen diesen Vierschröter von Einsachtundachtzig und dazu passenden Schultern, einem gesunden Quadratschädel und unter dem bereits schütter werdenden Haar und unter dichten buschigen Augenbrauen ein paar tiefdunkle beinahe stechende Augen, denen nichts zu entgehen schien. Eine fast zart wirkende kleine Nase und ein verspielt wirkender, leicht geschwungener Mund schienen ein Missklang in dem Arrangement des übrigen Gesichtes und doch war es gerade dieser Kontrast mit dem alles einrahmenden Zweiwochenbart, wohl gepflegt und auf eine Länge von circa fünf Millimetern gestutzt, der dem Ganzen eine interessante Ausstrahlung gab.
Sympathisch und umgänglich, aber knallhart in der Profession, urteilte Mertens, und unnachsichtig in der Aufdeckung dunkler Geheimnisse.
Das fünfte Indiz waren drei achtstellige Telefonnummern mit der Vorwahl 00852 für Hongkong. Diese Nummern waren nicht nur irgendwo vermerkt, sondern seltsamerweise im nicht herstellerbedingt aufklappbaren Stiel einer Zahnbürste, die unbenutzt und gelangweilt in einem Zahnputzglas lehnte, was jedoch normalerweise und allein noch kein Grund gewesen wäre, hier nach irgendwelchen Informationen zu suchen, es sei denn,
es handelte sich dabei um eine ausgesprochene Kinderzahnbürste. Eine Kinderzahnbürste hier in dieser Wohnung
schien Kommissar Wendehals irgendwie unpassend, deshalb hatte er sie in die Hand genommen, eigentlich nur so, und dabei, wer weiß warum auch immer, war sie ihm entglitten und auf den Fliesenboden des Badezimmers gefallen.
Ein bisschen Glück gehörte eben auch dazu.
Und den sechsten Hinweis entdeckten Wendehals und Mertens in dem banalsten Versteck, das nicht einmal mehr Kinder benutzen: beim Einschalten der Deckenbeleuchtung im Wohnzimmer, nachdem es bereits 23:00 Uhr geworden war und die Schreibtischleuchte trotz des mondhellen Sommerabends einfach nicht mehr genug hergab: es war lediglich ein dunkler störender Schatten zwischen den widerspiegelnden Kristallen des billigen Kaufhauslüsters. Vielleicht war gerade das zu dieser Jahreszeit, in der erst sehr spät das Licht eingeschaltet wurde, das Geniale an dem Versteck, jedenfalls hatten andere es nicht gefunden, weil sie wahrscheinlich sowieso nicht das Licht eingeschaltet hatten, wenn sie schon, aber davon ging Wendehals eher nicht aus, in der Dunkelheit hier nach etwas gesucht hatten.
Einen ähnlichen Fall hatte der Osnabrücker Kommissar schon einmal vor etwa drei Jahren, bei dem die Wohnung eines zu Identifizierenden so gründlich durchkämmt worden war, dass sogar die Küchenabfälle, der Inhalt von Kosmetik- und Papierabfalleimern in Plastiktüten geschüttet und später im einzelnen durchsucht worden waren. Auch damals hatte die Wohnung beinahe unbewohnt ausgesehen, wie für den neuen Mieter nach Endreinigung des Vormieters vorbereitet.
Klar, dass die intensive persönliche Note in so einer möbliert angemieteten Wohnung fehlte, aber dennoch, alles war zu ordentlich, zu un-persönlich.
Der selbe Eindruck hier:
Wong war starker Raucher, wo also waren Aschenbecher, Kippen und Zigarettenschachteln, Feuerzeuge und andere Utensilien?
Nichts davon war da.
Und dann dieses Versteck in dem Lüster:
eine kleine schwarze Filmdose, in der Filme aufbewahrt wurden, die noch nicht belichtet waren. Die Dose war mit Tesaband oberhalb der Halterung einer fehlenden Glühbirne fixiert worden.
Wendehals fand eine Trittleiter neben dem Kühlschrank in der Küche und schnitt mit seinem Taschenmesser das Klebeband an der Filmdose durch. Vorsichtig öffnete er den hellgrauen Kunststoffdeckel.
Der Inhalt war eher banal, auf den ersten Blick: ein weißgraues Pulver, mit dem die Dose vollständig gefüllt war, darin eingebettet fand sich ein kleines Glasröhrchen mit einer milchigtrüben, offenbar eingetrockneten Substanz, wie aus den Trockenrändern, die oberhalb der Substanz am Glas hängengeblieben waren, geschlossen werden konnte; die Laboranalyse würde später den Beweis erbringen, dass es sich tatsächlich ursprünglich um eine dickzähe Flüssigkeit gehandelt hatte.
Am Rande steckte ein kleiner Zettel, der