Reinhard Heilmann

Wenn Alpträume wahr werden ...


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machen.“ Dabei ist Berthold, wie alle anderen, bis auf Karl, nur ein kleiner Kurier, der nichts anderes macht, als Anweisungen zu befolgen und Aufträge auszuführen.

      Dass Berthold im nächsten Moment durch einen dunklen Maserati überholt wird, an dessen Steuer ein glatt-rasierter adretter Mittdreißiger im Geschäftsanzug sitzt, fällt Berthold ebensowenig auf, wie er im Rückspiegel gesehen hatte, dass dieser Wagen aus eben dem Feldweg in die Umgehungsstraße einbog, aus dem Berthold vor wenigen Momenten selber gekommen war.

      *

      Diese Begebenheiten, jedenfalls die geplanten und abgesprochenen, wiederholten sich jetzt zum dritten Mal in diesem Jahr, so wie geschildert oder so ähnlich, jeweils im Abstand von etwa immer ziemlich genau vier Wochen. Das war durch die ‘Produktion’ begründet, die hinter allem stand, die Organisation, die durch den notwendigen Nachschub bestimmt wurde.

      Insgesamt waren seit dem ersten dieser ominösen Transporte mittlerweile vier Jahre vergangen und streng limitiert pro Jahr nicht mehr als zehn solcher Kuriersendungen. Jeder Kurier wurde maximal drei mal eingesetzt, was er selbstverständlich nicht wusste, ebenso nicht die, die die Ware weitertransportierten. Damit war ausgeschlossen, dass diese Helfershelfer Einblick bis in das letzte Glied der Kette bekamen, denn selbst die ‘Endabnehmer’ waren noch nicht die eigentlichen ‘Verbraucher’.

      Kapitel 5

      Als Hauptmann Chiang an diesem Morgen den Hörer auflegte, war ihm ganz übel. Er war kreideweiß geworden. Er musste erst einmal verdauen, was er soeben gehört hatte. Doch es schien keinen Zweifel zu geben ... Wong war geschnappt und liquidiert worden!

      Wenn die herausgefunden hatten, wer Wong war, dann war es nur ein kleiner Schritt zu ihm selber und für die Brüder Kwang in Shanghai waren Entfernungen oder Grenzen keine Hindernisse, eher Herausforderungen. Er musste schnellstens herausfinden, wie gefährdet er war und musste notfalls untertauchen und die Ermittlungen abgeben, im Dienste der Sache. Wenn hier irgendetwas schief lief, war das gesamte Projekt gefährdet und die Ausmaße, die das haben würde, waren nicht einmal mit kühnster Phantasie auszumalen.

      “Ich muss herausfinden, wer in Deutschland an dem Fall arbeitet“,

      war sein nächster Gedanke; Chiang griff zum Hörer und wählte die Nummer eines Freundes in Tübingen, eines Kollegen, den er bei einem Symposion über Verbrechensbekämpfung mit Schwerpunkt organisierte Banden vor zwei Jahren in Singapur kennengelernt hatte. Der Tübinger Kollege und er lagen auf einer Wellenlänge und hatten so manchen gemeinsamen Abend damals nicht nur mit Milch verbracht. Hirzfeld würde ihm weiterhelfen können.

      Tobias Hirzfeld fiel nicht aus seinem Bett, als das dort abgelegte Handtelefon auf dem Nachtschrank klingelte; stattdessen stieß er erschreckt Nachttischlampe, Wecker und Wasserflasche um

      und alles landete mit lautem Geschepper auf dem nackten Parkettboden. Es war drei Uhr nachts.

      „Das kann doch nicht wahr sein!” grummelte Rebecca Hirzfeld in

      der anderen Betthälfte und drehte sich demonstrativ und entrüstet auf die andere Seite.

      „Wenn da jetzt keine gute Erklärung folgt, lasse ich Sie morgen zur Fahndung ausschreiben”, empörte sich Hirzfeld in das nur handtellergroße Kommunikationsgerät und nieste kräftig, wie zur Bestätigung. Aber dann, einen Moment später, freudiges Erkennen und Erwachen, “Mensch Steven, dass Du auch mal wieder von Dir hören lässt? Sag mal wie spät habt ihr’s jetzt, warte mal, elf Uhr glaube ich, richtig?” - „Tut mir furchtbar leid”, entschuldigte sich Steven C. Chiang bei seinem Freund, „es geht möglicherweise auf Leben und Tod und ich stecke mittendrin als Zielscheibe. Ich brauche Deine Hilfe! Äh, ja, Du hast recht, es ist jetzt gerade eine Minute nach elf Uhr vormittags!”

      Chiang schilderte in groben Zügen und mit wenigen Sätzen das Wesentliche.

      „Lass mir ein bisschen Zeit”, meinte Hirzfeld versöhnlich, „ich werde die Kollegen nicht vor sieben Uhr erreichen können, vielleicht eher später; lass mir Deine Nummer da, oder besser noch: schick mir ein Fax, am besten mit allen notwendigen Daten; sobald die Leute hier ansprechbar sind, bin ich dran für Dich. Du hast doch meine Faxnummer, oder?” - „Mach ich, klar, hab’ ich die Nummer, und ich bitte nochmals vielmals um Entschuldigung, bis später dann!”

      Die Leitung war wieder still.

      *

      Als die Kommissare Wendehals und Mertens das Büro im Erdgeschoss der Polizeiwache Zwo betraten, hing ein vierseitiges Schreiben im Empfangs-Auswurf des Faxgerätes. Absender des

      Anschreibens:

      Dr. Tobias Hirzfeld, Kriminaldirektor des Polizeipräsidiums Tübingen, Leiter SOKO BANDE. Die übrigen Fax-Seiten waren neutralisiert worden, die chronologisch aufgeführten Daten und Fakten ließen weder Absender, noch Kennung erkennen.

      Aber ein Stichwort oben auf Seite zwei kam den beiden bekannt vor:

      ein gewisser WONG sei am 31. März des gleichen Jahres mit verdecktem Ermittlungsauftrag nach Deutschland gereist.

      Zielobjekt der Ermittlungen war eine gewisse A-Sekte!

      „Das ist unser Mann”, konstatierte Wendehals prompt, „jetzt wird’s interessant! Was hat denn die SOKO BANDE in Tübingen mit dem Ganzen zu tun? Ja, sind denn hier alle verrückt geworden, und kein ‚Schwein‘ informiert uns, jeder kocht hier wohl sein eigenes Süppchen, wie kann man denn da ordentlich arbeiten und Ergebnisse präsentieren? Eh' ich hier auch nur noch irgendeinen Handschlag tue, will ich jetzt mal nachhaltig die Zuständigkeiten klären. Am Ende kommt da noch irgend so ein Heini vom LKA und steckt sich die Lorbeeren von unseren Ermittlungsergebnissen an die Mütze!”

      Ähnlich stinksauer war natürlich auch Mertens: „Ich meine, dass Ihr uns hinzugezogen habt, war doch klar, schließlich ist hier die Wohnung des Ermordeten und die Amtshilfe in Pirmasens war auch klar, denn dorthin führte schließlich eine Spur oder besser von dort her, aber Tübingen, was ist denn das jetzt wieder? Wir sollten den Kollegen umgehend anrufen, da bin ich ganz Ihrer Meinung, sonst nehm’ ich nämlich mal schlicht meinen Resturlaub von siebenundzwanzig Tagen und die können mich dann mal ... telefonisch auf den Balearen erreichen!”

      „Da wir noch ein paar Stunden warten müssen, schlage ich vor, komplettieren wir unsere Chronologie, wenigstens für uns. Denn irgendwie interessiert mich dieser Fall schon, alles so nebulös und verworren, geradezu mystisch, da lacht richtig mein Kriminaler-herz und, immerhin möglich: vielleicht gibt es ja für den Tübinger Eingriff irgendeine ganz einfache plausible Erklärung!? Rumsitzen ist sowieso nicht meine Sache, also können wir auch was tun!” - „Nicht ohne eine ordentliche Kanne Kaffee”, entgegnete Mertens und ging ins Nebenbüro, aus dem die nächsten Geräusche so etwas wie Wasserlaufen, Deckelscheppern, Löffelklappern und schäumendes Rauschen und Sprudeln waren und Mertens einen Moment danach mit zwei Kaffeepötten, eher kleinen "Nachthäfen", zurückkam. Mit den Worten: „Milch, Zucker, Gebäck und Kaffee kommen dann gleich”, knallte er die Tassen auf den Tisch, zog seine Lederjacke aus, krempelte die Ärmel zweimal um und stellte sich an den überdimensionalen Notizblock, der auf einem Dreibein in einer Klemmschiene befestigt war und etwa die Ausmaße einer halben Tür hatte. Das Dreibein stand neben einer großen schulmäßig aussehenden Tafel. Mertens blätterte das oberste Blatt nach hinten zurück und begann mit der Überschrift in dicken Buchstaben mit rotem Filzschreiber in zwölf Millimetern Breite:

      D a n i e l H e r r m a n n W o n g

      „Also, was wissen wir, welche Fakten kennen wir bis heute, einmal abgesehen von dem, was in dem Fax da steht?”

      „Gut”, antwortete Kommissar Wendehals, brauchte nicht erst die Ärmel hochzukrempeln, da er kurzärmelig trug und sortierte seine Notizen.

      „Ich meine, wir sollten die Morde vorher mit einbeziehen, ich habe so ein Gefühl, als wenn das alles nicht nur zufällige Zusammenhänge sind, das heißt wir müssten als erstes Mord No. Eins aufführen, der war,