Ludwig Hasler

Jung & Alt


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wenn wir es wieder mal besser wissen wollen. Wird die Luft dicker zwischen den Generationen?

      Oder bilden die gar keine homogene Gruppen? Verlaufen die Trennlinien eher vertikal? Es gibt ja Schnarchnasen und Engagierte in allen Generationen – so wie es in jedem Alter Charmante und Kotzbrocken gibt, Engagierte und Motzer. Hast du im September die Besetzung des Bundesplatzes beobachtet? Die lief unter der Marke »Klimajugend«. Doch so ergraut, wie manche da aussahen, wird man erst mit 70. Und die Cleverness, mit der das organisiert wurde, lernt man definitiv nicht im Gymi, dazu brauchte es ein paar Abgebrühte mindestens aus der Y-Gruppe. »Klimajugend« gleich Generation Z? Wo waren in Bern Lehrlinge? Am Arbeiten, klar. Spricht alles nicht gegen die Klimajugend. Gegen Generationen-Pauschalen schon.

      Und doch. Warum ticke ich so oft synchron mit Gleichaltrigen? Hat uns die Zeit, in der wir aufwuchsen, quasi programmiert? Menschen halten sich an das, was sie kennen. Was kennen wir Alten? Wir sind in den Nachkriegsjahren aufgewachsen, da war alles eher knapp, also packten wir fleißig an, wirtschafteten sparsam, hielten unseren Triebhaushalt in Grenzen. Es sollte ja aufwärtsgehen, es sollte uns zügig besser gehen. Haben wir geschafft. Wir haben den sagenhaften Wohlstand erarbeitet. Die Genugtuung darüber verbindet uns. Auch Selbstgerechtigkeit? Möglich, manchmal.

      Jedenfalls erwarten wir – zumindest insgeheim – von euch Jungen: Dankbarkeit, logisch. Und was kriegen wir? Vorwürfe. Für euch ist Wohlstand geschenkt, also könnt ihr ihn unbefangen kritisch betrachten – und erblickt dann seine Kehrseiten, mit denen ihr euch künftig herumschlagen müsst: Klima, zerstörte Natur, Müllberge. Das sind zwei unterschiedliche Positionen: Für uns ist die Welt, die ihr übernehmt, stets auch unser Lebenswerk. Für euch eine Art Erbschaft. Die gehört – wie ein geerbtes Haus – gründlich entrümpelt. Nur dass wir halt auch noch drin sind.

      Schluss mit Monolog, Samantha. Ich hol mal eine Flasche Rotwein – gespannt, wie du das Haus siehst, wie du uns alte Mitbewohner erlebst.

       Ludwig

       Ihr macht euch die falschen Sorgen

       #2 Lieber Ludwig

      Du hast in deinem letzten Brief die Metapher des Hauses benutzt. Die Alten und Jungen als eine Art Wohngemeinschaft. Ein spannendes Thema, denn beim Wohnen zeigen sich deutliche Generationenunterschiede. Lass uns unbedingt darüber schreiben. Aber nicht jetzt. Denn zuerst will ich auf eine deiner Fragen eingehen. Wie ich euch Alten erlebe.

      Ich habe das Gefühl, dass die Alten konstant besorgt sind. Aber einfach wegen den falschen Sachen. Die alten Menschen, die ich gut kenne, das sind meine Großeltern und einige Verwandte und Bekannte. Die jedenfalls machen sich allerhand Sorgen. Darüber, dass ich alleine nach Zürich gehe zum Beispiel. Dass ich keine Festanstellung habe und dass ich immer noch zur Schule muss. Und darüber, dass ich kein Fleisch esse und deshalb ganz bestimmt zu wenig Proteine bekomme und man das auch sieht, weil ich ganz blass bin.

      Und genau diese Sorgen verstehe ich nicht. Denn die Alten müssten ja wissen, dass das alles nicht so wild ist. Das schließe ich aus ihren Geschichten, die sie erzählen. Sie sagen, sie mussten früher kilometerweit zur Schule laufen in Schuhen mit Holzböden. Und im Winter mussten sie sogar noch eine Stunde früher los und eine Schaufel mitnehmen, um den Weg zu pfaden. Sie erzählen auch, dass sie immer gearbeitet haben, dass sie nie Ferien hatten und dass der Samstag auch ein Werktag war. Und dass sie nichts als Rösti gegessen haben. Zum Zmorge Rösti, zum Zmittag Rösti, zum Znacht Rösti. Immer nur Rösti mit Rösti, gebraten in Schweineschmalz. Tönt nicht so spaßig. Und trotzdem sind sie alt geworden.

      Das alles erzählen sie und bedauern mich, weil ich meinen Karton mit dem Velo zur Sammelstelle fahren muss. Und weil ich so viel arbeite. Und sie befürchten, dass ich wegen meiner vegetarischen Ernährung Mangelerscheinungen bekomme.

      Ich mache mir auch Sorgen. Aber ganz andere. Weil die Alten so viel Auto fahren und reisen und Fleisch essen und Häuser haben und Zeug kaufen. Genau aus diesen Sorgen heraus kommt mein Verhalten. Und das wiederum bereitet den Alten Sorgen. Ein endloser Sorgenstrudel.

      Was sagst du zu diesen Sorgen? Hast du selber welche? Kannst du den Widerspruch erklären, selbst ein Leben voller Arbeit und Entbehrung gehabt zu haben und trotzdem die Jungen zu bedauern? Und was soll eigentlich das mit dem Wein? In deinem letzten Brief hast du von einer Flasche Rotwein geschrieben. Das ist auch so was, was ich nicht verstehe. Ich habe den Eindruck, je älter die Menschen werden, desto mehr interessieren sie sich für Wein. Ich habe da eine Theorie. Aber ich frage lieber dich: Was ist mit dem Wein?

       Samantha

       Ist denn dieses Alter nüchtern zu ertragen?

       #3 Liebe Samantha

      Was das mit dem Wein soll? Na ja, ich wollte anstoßen auf unser Gespräch. Typisch alt, findest du. Je älter, umso interessierter an Wein. Seit du es sagst, fällt mir auf: Wo ich bin, ist auch Wein, in der Küche, im Restaurant, als Geschenk. Auch in Romanen, die ich lese, werden Flaschen geleert, gern hinein in die Verzweiflung.

      Ist das die Spur? Das Alter als zunehmendes Verzweiflungsdrama? Es sei »nichts für Weicheier«, sagte Marianne Faithfull, eine regelrechte Verlustgeschichte. Bei mir begann es beim Gehör, die übrigen Sinne geben auch schon nach, Vitalkräfte sowieso. Dafür kriegen wir die Seelenruhe? Ja? Glückwunsch! Manche aber fragen sich: Ist das nüchtern zu ertragen? Zu körperlichen Ausfällen kommen oft soziale, am Ende die Tristesse der Vereinsamung. In Statistiken schlagen Depression und Alkoholismus ab 65 aus, besonders verbreitet das »Pegel-Trinken«, das macht nicht betrunken, bloß leicht betäubt, aber konstant, wirkt wie ein Schleier vor der eigenen Realität. Ist bei mir nicht so weit.

      Wozu brauchen manche Jugendliche ihr Bier? Zum Durstlöschen? Welchen Durst? Den nach mehr Leben, nach Rausch, Entgrenzung? Das wäre ein Thema, Samantha: Wie brechen wir – Junge, Alte – aus dem Alltag aus? Später mal.

      Das mit dem Wein läuft wohl harmloser. Oft als soziales Ritual. Wer zusammen trinkt, beißt sich nicht. Brachte ich darum eine Flasche mit zum Gespräch? Zur Auflockerung der Unterschiede? Ich bin nicht so unkompliziert aufgewachsen. Und ihr Jungen tickt manchmal schon auffällig anders. Entspannter, scheint mir, irgendwie freier, auch ohne Wein. Vermutlich weckt genau diese Freiheit bei manchen Alten die Sorgen, die dich befremden. Ich höre sie auch. Als eine Enkelin ein Jahr durch Europa tourte, im VW-Bus, mit allerlei Gelegenheitsjobs beschäftigt, da ging es gleich los mit der Sorgenmacherei: Passt sie auch auf? Isst sie ordentlich? Kann sie sich das überhaupt leisten? Verspielt sie den Anschluss im Beruf? Gratis mitgeliefert: unser Besserwissen. Wir Alten haben es ja geschafft, wir haben das Leben bestanden. Ergo wissen wir, wie man es macht. Und nun sehen wir, ihr macht manches anders. Also Stirnrunzeln – hmm, wenn das bloß nicht schiefgeht!

      Es sind die falschen Sorgen, da stimme ich dir zu. Die richtigen jedoch – Sorgen über den Zustand der Welt – wären halt lästig. Am Zustand der Welt sind wir Alten direkt beteiligt, jedenfalls mehr als ihr. Und da dieser Zustand, gelinde gesagt, durchzogen aussieht, steht unser Besserwissen auf wackligen Füßen. Brauchen wir etwa darum Wein? Doch wenn ihr unsere Agenda der Sorgen nun auswechselt, könnten wir aufatmen: Mit Glück, junge Leute!

      Aber spielen wir Alten in eurem Stück überhaupt noch eine Rolle?

       Ludwig

       Wer gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, bucht eine Weinreise

       #4 Lieber Ludwig

      Um es gleich am Anfang zu sagen, gegen anstoßen hab ich nichts. Auch nicht gegen Wein. Aber ich bin bekennende Nicht-Wein-Kennerin. Denn wenig langweilt mich mehr, als Leute, die sich mit Wein auskennen.

      Damit meine ich nicht Winzerinnen und Winzer, sondern die Menschen, die über Wein sprechen. Wer länger als 20 Minuten über