Ludwig Hasler

Jung & Alt


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Das Gleiche will ich auch tun. So wie ich das erlebe, haben Konsum und Status für ältere Menschen einen höheren Stellenwert. Und beide Bedürfnisse lassen sich durch Wein befriedigen.

      Beginnen wir beim banalen: Den Wein kann man konsumieren. Und ich sag, wie’s ist, manches ist mit einem gepflegten Räuschlein einfach erträglicher.

      Dann ist auch schon das Kaufen des Weins ein Happening. Weinhändler, Weingut, Weinmesse, Weinschiff. Und wenn man wirklich gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, dann macht man eine Weinreise. Rheinhessisches Hügelland, Piemont, Toskana, Südafrika.

      Es wird sogar noch besser: Man kauft sich nicht nur Wein, sondern man kann auch seinem Wein gleich noch Sachen kaufen. Weingläser, Dekantierkaraffe, Weinthermometer oder einen Weinklimaschrank. Mit eingebautem Sichtfenster und beleuchtetem Innenraum, damit man den ganzen Tag seine wohltemperierten Weinflaschen anschauen kann.

      Wein ist eben auch Statussymbol. Man definiert sich über Wein, zeigt, dass man Geschmack hat. Das ist für Leute wie mich recht nützlich. Anhand der Art, wie jemand über Wein spricht, kann ich die Person recht zuverlässig einer soziokulturellen Klasse zuordnen.

      Ich weiß genau, was das für Leute sind, die sagen, für einen gelungenen Abend brauchen sie ein gutes Glas Wein und ein feines Stück Fleisch. Sie heißen Monika und Christian, sind länger verheiratet als nicht und haben sich auch sonst nichts mehr zu sagen. Darum der Wein, über irgendwas muss man ja sprechen. Und sonst ist man immerhin betrunken, das macht ja auch vieles leichter.

      Insofern sind wir uns wohl einig: Wein gehört ab einem gewissen Alter dazu, taugt wunderbar zur Ersatzhandlung. Weil es lästig wäre, sich mit seinen wirklichen Problemen zu konfrontieren.

      Du fragst, wozu wir Jungen unser Bier brauchen. Ja, Durst nach mehr hätten wir schon. Doch im Moment haben wir andere Probleme. Die Pandemie zieht wieder an, und verstärkt ein Lebensgefühl, dass viele von uns ohnehin schon kennen. Wir haben keinen Plan, wie wir durch das Heute kommen, und wissen gleichzeitig, dass das Morgen erst das ist, was richtig zäh wird.

      Vielleicht war ich deshalb etwas zynisch mit der ganzen Weingeschichte. Du siehst mir das nach, ja?

      Wie ist das bei dir? Wird dein Leben auch grad wieder enger, erlebst du auch ein unangenehmes Déjà-vu?

       Samantha

       Ja, komplett Verheiratetsein kann anspruchsvoll werden

       #5 Liebe Samantha

      Jetzt kommst du aber zur Sache. »Wer länger als 20 Minuten über Wein sprechen kann, hat einfach keinen Sex mehr.« Ich konnte nie länger als zwei Minuten über Wein reden, kann also nicht mitreden.

      Dafür hier: »Sie heißen Monika und Christian, sind länger verheiratet als nicht und haben sich auch sonst nichts mehr zu sagen.« Ja, was sollte sich ein Paar nach 30 oder 50 Jahren unaufhörlich zu sagen haben? Wie das Wetter morgen wird? Wie das Hüftgelenk sich heute anfühlt? Wo sie am Sonntag hinwollen? Bloß, jetzt geht es nirgends wohin. Corona wird zum Härtetest älterer Paare.

      Ich kenne welche, die wirken verliebt wie am ersten Tage. Spezies rara. Und manche, die sich freundschaftlich das Leben erleichtern, gar steigern. In Hotels sehe ich die verzweifelt Tapferen beim Morgenessen, es gibt nichts zu erzählen, zu lachen schon gar nicht, sie schweigen in sich hinein, sehen aneinander vorbei. Harte Kost.

      Ich bin selber verheiratet. Oft solo unterwegs. Wie meine Frau, übrigens. Wir merkten früh: Treten wir stets als Paar auf, haben wir weniger vom Leben, werden seltener angesprochen, können nicht einmal flunkern, wir sind, was wir sind, genauer: was wir waren. Also machen wir nie komplett auf verheiratet, es gibt auch mehr zu erzählen. Um 1900, als die Leute im Durchschnitt 46 wurden, war die Ehe keine Hexerei. Bei 30 Rentnerjahren wird sie anspruchsvoll.

      Zumal im Alter immer weniger passiert, egal, wie aktiv wir drauf sind: Immer häufiger wiederholt sich, was wir erleben. Nun ja, kennen wir, kaum der Rede wert. Wie anders die jungen Jahre, wo alles neu ist, voller Erwartung, Angst und Hoffnung, wo jeder Abend das Leben umstürzen kann. So ein Sommer mit 16 dehnt sich zur halben Ewigkeit, ein Jahr mit 76 kann fast eindrucksfrei verstreichen. Ein Zeitforscher klärte mich mal auf: Ich könne glatt 90 werden – und hätte doch mit 20 meine Lebensmitte überschritten. Huch. Wir werden also stets älter, doch in die Länge gerät nur die Phase, die – mangels Neuigkeiten – im Hui vorbeirauscht? Wie reagieren? Neue Pubertät, neues Glück, neue Ehe? Oder die Zeit heiter dahinfließen lassen, erleichtert, nicht mehr zu allem etwas sagen zu müssen?

      Für dich ferne Zukunft. Wie packst du sie an? Laut Umfragen (aktuell: Berner Generationenhaus) seid ihr Jungen skeptisch gegen monogame Ambitionen, offen für sogenannt polyamorische Varianten. In der Praxis scheinen die Partnervorlieben dann erstaunlich stabil: Aschenputtel schnappt sich den Prinzen. Sie ist jung und schön, er ist reich und arriviert, das passt zusammen. So las ich es grad in »Psychological Science«, Forscher aus 45 Ländern bilanzieren da geltende Partnervorlieben.

      Unverschämte Frage: Prinz in Sicht, Samantha?

       Ludwig

       Vater, Mutter, Kind: Könnt ihr Alten euch nichts anderes vorstellen?

       #6 Lieber Ludwig

      Was freue ich mich, dass du Partnerschaft und Ehe anschneidest. Ich finde es sehr interessant, wie sich diese Themen in den letzten zwei Generationen entwickelt haben.

      Früher war das ja ganz einfach. Ein Mann und eine Frau haben geheiratet, Kinder gekriegt, fertig. Irgendwie auch einleuchtend. Sozialer Druck und Kirche waren stark, Verhütung schwierig. Und es gab auch einfach keine schlauen Optionen. Vor allem für die Frauen.

      Berufstätig sein und eigenes Geld verdienen war zwar möglich, aber schwierig. Für viele Frauen aus deiner Generation war es eine Realität, dass für sie keine Ausbildung vorgesehen war.

      Und da sind wir auch schon bei der Studie, die du erwähnt hast. Dass junge Frauen alte reiche Männer mögen und umgekehrt. Diese Studie ist mir auch begegnet, und ich habe mich sehr darüber geärgert. Weil die Ergebnisse verkürzt dargestellt werden und weil wieder einmal mehr die Evolutionstheorie genötigt wird, um sexistische Strukturen zu verargumentieren. Dabei ist die Evolution hier das völlig falsche Gerät.

      Vielmehr müsste man die Ergebnisse der Studie in Kontext setzen. Eine wichtige Information in diesem Zusammenhang wäre etwa, dass es weltweit einfach viel mehr reiche Männer als Frauen gibt. Männer sind durchschnittlich sogar doppelt so reich wie Frauen, das belegen unzählige Studien. Nicht nur haben die Männer mehr Geld, sondern auch mehr Macht. Von 193 Staaten sind nur bei gerade mal 15 Frauen an der Spitze. Weiter werden Frauen von klein auf nach Äußerlichkeiten beurteilt, erotisches Kapital wird ihnen als Ressource zugeschrieben. Die junge schöne Frau als Statussymbol.

      Frauen haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie Männer, werden schon ganz anders sozialisiert. Und hier liegt doch der Hase im Pfeffer! Vor diesem Hintergrund müssten wir solche Studien anschauen. Aber das wäre halt auch ungemütlich. Denn es hieße, dass wir anerkennen, dass wir in einer strukturell ungleichen Gesellschaft leben. Und es hieße auch, dass vor allem die Männer über ihre Privilegien nachdenken und sich ihrer bewusst werden müssten.

      Hm, lieber nicht. Lieber mal wieder mit der Evolutionstheorie anschwirren. Mammut, Höhle, Beeren, war halt schon immer so, kann man nichts machen.

      So, fertig Studienpamphlet. Zum Schluss will ich dir noch in zwei Punkten recht geben. Erstens stimme ich völlig zu, dass wir Jungen in Beziehungsformen freier sind, als ihr es wart. Und darüber bin ich sehr froh.

      Und mit noch was hast du völlig recht: Ob ein Prinz in Aussicht ist, das ist tatsächlich eine unverschämte Frage. Darum gebe ich sie zurück und frage: Wieso Prinz? Wieso nicht Prinzessin? Ist die Kernfamilie aus Vater, Mutter, Kind das Einzige, was ihr Alten euch vorstellen könnt? Hättest du diese Frage