Ludwig Hasler

Jung & Alt


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       Sind denn nicht wir Alten die Eheveredler?

       #7 Liebe Samantha

      Meine Frage, ob bei dir ein Prinz in Sicht sei, kommt bei dir mäßig lustig an. Sie war ironisch gestellt, dennoch hast du recht, sie verrät auch, wie der Absender tickt. Wieso nicht Prinzessin?, gibst du zurück und hältst mich in Sachen Ehe und Partnerschaft wohl für vernagelt, fixiert auf Hetero. Jedenfalls schiebst du die Frage nach, ob die Kernfamilie aus Vater, Mutter, Kind das Einzige sei, was wir Alten uns vorstellen können.

      Also vorstellen konnten wir uns immer allerlei. Schon meine Mutter stellte sich ihr Leben ganz anders vor. Sie träumte vom eigenen Schneider-Atelier. Stattdessen kriegte sie sechs Kinder, einen Haushalt ohne Heizung, Waschmaschine, Warmwasser. Eine Ausbildung hatten ihre Eltern verwehrt. Was blieb? Mann und Kinder. Anders war real nicht zu existieren, es kam mit der Zeit sogar recht gut heraus – wenngleich komplett gegen ihre Vorstellung.

      So ging es vielen auch meiner Generation. Das Leben war kein Wunschkonzert. Selbstverwirklichung stand weit unten im Programm, wir hatten genug zu tun, im Leben Fuß zu fassen, ökonomisch zu bestehen. Institutionen wie die Ehe dienten als Stützen, sie schützten vor unstetem Wandel, Ruin, Elend. Scheidungen leisteten sich vielleicht Reiche. Alleinerziehen lag ökonomisch nicht drin. Die Kirche gab den Segen, Regie führte die Ökonomie.

      Und doch – was haben wir seither die Ehe entschlackt! Eigentlich müssten alle, denen die traditionelle Kernfamilie Erstickungsgefühle auslöst, uns Alten um den Hals fallen. Wir zogen ihr die Zwangsjacken aus, lösten sie aus ihrer existenziellen Notwendigkeit, entkoppelten sie nach und nach von sozialen und moralischen Konventionen. Ehe und Kirche – vorbei. Ehe und Mitgift – war einmal. Ehe und Männervorrechte – Schluss jetzt. Ehe und Kinder – nach Wunsch. Ehe und lebenslange Monogamie – überholt. Ehe und Sex – fakultativ. Gerade fällt die letzte Verbindung: Ehe und heterogene Geschlechter.

      Auch wenn die »Ehe für alle« kaum unser dringendstes Anliegen ist: Die historische Rolle als Eheveredler gehört uns. Nach und nach entkalkten wir sie, bis heute bleibt, was die meisten erstreben: das Glück einer dauerhaften Beziehung – frei von konventionellen Anpassungshürden. Wie lebt ihr Jungen mit der Freiheit? Macht sie auch Druck? Ich lese: »Bindungskrise«. Erzeugt Freiheit Erwartungsdruck? Ein 28-Jähriger erzählt, er habe ungezählte Beziehungen hinter sich, dito Trennungen, jedesmal ein Schlag fürs Ego, verletztes Selbstwertgefühl, Beziehungsüberdruss. Hatte ich es am Ende leichter? Beziehungen waren für mich mehr Schicksal als Absicht und Plan. Mit dem Schicksal muss man zusammenarbeiten, klar, aber man braucht auch etwas Glück.

      Wie es im wirklichen Leben läuft, das wirst du mir sagen.

       Ludwig

       Warum backen alte Männer keine Kuchen?

       #8 Lieber Ludwig

      Du sagst, die Rolle der Eheveredler gehört deiner Generation. Da stimme ich zu. Gleichzeitig muss ich aber auch widersprechen.

      Die Eheveredelung, wie du es nennst, ist den Frauen deiner Generation zuzuschreiben. Denn die Männer hatten gar keinen Anreiz, etwas zu ändern.

      Als Mann muss es sogar ziemlich cool gewesen sein, in einer klassischen Kernfamilie zu leben. Man war per Gesetz das Oberhaupt der Familie und konnte mehr oder weniger tun, was einem passte.

      Die Frauen durften nicht so viel. Nur schon das mit dem Wählen und Stimmen war ja ein fürchterlicher Krampf. Appenzell Innerhoden musste gar vom Bundesgericht zum Frauenstimmrecht gezwungen werden. Letzte Woche hat sich das gejährt, es sind seither erst dreißig Jahre vergangen. Jesses.

      Zurück zu den Frauen deiner Generation. Sie waren streitlustig und hartnäckig, haben damit viel erreicht. Dennoch scheint sich etwas über all die Jahre nicht geändert zu haben. In der Vorweihnachtszeit wird das besonders deutlich. Backen ist offenbar noch immer Frauensache. Warum eigentlich? Ich habe mich schon mit einigen älteren Männern darüber unterhalten. Viele von ihnen haben tatsächlich in ihrem ganzen Leben noch nie einen Kuchen gebacken.

      Ich für meinen Teil bin im Moment sehr damit beschäftigt, Guetzlizutaten zu besorgen. Nicht für mich, sondern für die Großmutter. Wegen der Pandemie darf sie nicht aus dem Haus, trotzdem will die Guetzliversorgung sichergestellt werden.

      Ich werde also entsandt, um Unmengen an Zutaten herbeizuschaffen. Vor allem Butter. Das bringe ich dann der Großmutter, die daheim im Reduit gegen die Pandemie anguetzlet. Und damit ist sie offenbar nicht allein.

      Der Butterbedarf ist in der Schweiz derart gestiegen, dass sogar die Importkontingente erhöht werden mussten. Schon im Frühsommer alarmierte die Branchenorganisation Milch, dass es im Hinblick auf das nationale Guetzlibacken ein größeres Lager brauche. Der Bundesrat reagiert prompt, es dürfen zusätzliche 2000 Tonnen importiert werden.

      Ganz ehrlich, was wollen wir mit so viel Butter? Ich hab mal eine Milchbüechlirechnung gemacht. Geht man von einem durchschnittlichen Kalorienbedarf aus, kann man mit 2000 Tonnen Butter fast acht Millionen Leute einen Tag lang durchfüttern. Das ist fast die ganze Schweiz! Und die 2000 Tonnen, das ist ja nicht mal der Gesamtbedarf. Laut dem Schweizer Bauern beträgt der jedes Jahr 43.000 Tonnen. Wer soll das alles essen?

      Item. Der Bundesrat wird schon wissen, was er tut. Oder so.

      Zum Schluss noch eine Frage, du ahnst es schon: Wie hast du’s mit dem Backen? Hast du schon je einen Kuchen gebacken? Warum backen alte Männer nicht?

       Samantha

       Ist nicht ganz gebacken, wer nicht selber backt?

       #9 Liebe Samantha

      Ertappt! Es geht auf meine 77. Weihnachten zu – und noch nie habe ich selber gebacken, keinen Kuchen, keine Guetzli, nichts. Massenhaft gegessen, klar. Da bin ich ein Fossil, nie wollte mir in den Kopf, was es bringen soll, wenn alle alles machen. Ich mag Arbeitsteilung. Macht jede und jeder, was sie richtig gut können, profitieren alle gegenseitig. Was ich richtig gut kann? Den Christbaum herrichten. Mache ich seit Jahrzehnten, stundenlang hänge ich ihn voll mit Kugeln, Glocken, Barockengeln, Robotern, Kerzen, bis er seine geheimnisvollen Geschichten erzählt.

      Also ja: Backen = Frauensache, in meiner Generation sicher. Mit Backen lässt sich spielend assoziieren: Küche, Ofen, Wärme, Weizen, Hefe, Butter, Ei – quasi die Backstube des Lebens, traditionell typisch weiblich. Typisch für alte Männer dagegen: durch den Wald stiefeln, Tannenbaum fällen, Reh erlegen – und den Rest als Familienoberhaupt herumsitzen. Du stellst dir vor, das wäre für uns »cool« gewesen, so cool, dass wir null Anreiz verspürten, die Ehe, also die Machtverhältnisse zu modernisieren.

      Hat etwas. Nur: Wer zu cool drauf, ist bald weg vom Fenster. Das »Oberhaupt« geriet in die sogenannte »Dialektik von Herr und Knecht«: Der Herr regiert, der Knecht schuftet. Ist praktisch für den Herrn, mühsam für den Knecht. Die Mühe aber lohnt sich, langfristig beherrscht der Knecht all die Techniken, die das Leben braucht und liebt. Der Herr beherrscht nur den Knecht – und auch ihn stets weniger; da er selber nichts kann, wird er komplett abhängig vom Können des Knechts. Am Ende kippt das Verhältnis – es bestimmt der Knecht, der Herr wird pensioniert, bestenfalls.

      Kippt auch das Verhältnis zwischen Mann und Frau? Weil der Mann zu cool war, nicht backen wollte? Heute backen Buben, aber reicht das? Die Frau hat Vorsprung, sagen Hirnforscher: Das Corpus callosum, der kleine feine Steg zwischen den beiden Hemisphären unseres Hirns, sei bei Frauen auffällig dicker. Das heißt leitfähiger, es läuft mehr hin und her, zwischen rationalen und emotionalen Kräften, zwischen Analyse und Inspiration, zwischen Geradeaus und Abschweifung.

      Kurz: Frauen switchen besser. Im 21. Jahrhundert matchentscheidend. Da wird alles derart komplex, dass cooler Verstand nicht mehr hinreicht, jetzt