Jochen Duderstadt

Schuld und Bühne


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auf die Assekuranz (er sagte wirklich Assekuranz) schimpfen statt auf die Oberlandesgerichte, usw. Ich hatte ihn dann lachend unterbrochen, um das Missverständnis aufzuklären. Er fing sich überraschend schnell und sagte tatsächlich, ich müsste doch auch zugeben, dass 50.000 € Schmerzensgeld bei so einer kleinen Titte eindeutig zu viel wär, und ich spürte, wie mir die Wutflamme durch die Brust schoss, nicht nur, weil die Mandantin mir erzählt hatte, dass sie Haltungsschäden bekommen hätte, weil rechts das geringe Gegengewicht fehlte, und ich hörte mich sagen: "Na ja, wenn Sie Ihren Schniedelwutz in die Heißmangel gekriegt hätten, würden Sie sicherlich nicht meinen, dass 50.000 € zu viel sind."

      Einen Moment war es ganz still in der Leitung. Dann sagte der Minuskavalier, er habe keine Verlassung gegeben, ordinär zu werden. "Doch", korrigierte ich ihn, "wenn Sie die Höhe des Schmerzensgeldes von der Größe der amputierten Brust abhängig machen, sind Sie auf dem Niveau von RTL II mit seinem Tittenwiegecontest." Er musste nicht nachfragen, was das ist, er hatte die Sendung mit Sicherheit gesehen.

      Nun, unter diesem T-Shirt hier wär nicht viel zu wiegen gewesen. Die linke Brust orientierte sich ungefähr an der Küstenkordillere, die rechte an der den peruanischen Anden. Die sind zwar doppelt so hoch, aber die Brüste einer Frau sind ja auch nicht immer symmetrisch. Das südliche Amazonastiefland war allerdings ein bisschen zu breit geraten.

      In diese versunkenen topographisch-anatomischen Betrachten hinein platzte der Wechsel in der Modulation der Stimmführung der Mandanten: "Entschuldigung, ich erzähl Ihnen hier, wie meine Ehe den Bach runter gegangen ist, aber ich habe die ganze Zeit das Gefühl, dass Sie mir auf die Brüste starren."

      "Und starren Sie nicht dauernd auf meine Titten, Mister ...", murmelte Günter Trobitius mechanisch und kaum hörbar.

      "... sonst hau ich Ihnen die Scheiße aus den Knochen", ergänzte die Mandantin.

      Günter Trobitius fiel die Kinnlade herunter. "Sie haben Bukowski gelesen?"

      

      "Ach wissen Sie, ich habe Anglistik studiert, und nach 200 Seiten Jane Austen brauch ich immer dringend so etwas wie Big Bart. Wer immer nur ungezuckerten grünen Tee trinkt, muss auch mal einen rauchigen Whiskey hinterherschicken."

      

      "Umgekehrt ist mir das nie so gegangen", gestand Günter Trobitius, "aber zurück zu meinen angeblich lüsternen Blicken, denn darauf wollten Sie ja wohl hinaus. Ich muss schon sagen, Sie machen mir Spaß. Sie erscheinen hier mit einer Landkarte und wundern sich, dass ich mich dran festgucke."

      

       "Landkarte?"

      

       "Na, Ihr T-Shirt."

      

      Sie lachte befreit.

       "Ach du Schreck. Entschuldigung. Das Ding ist grässlich, aber ich musste es heute Mittag meiner Tochter zuliebe tragen. Sie ist gestern aus Bahia zurückgekommen, da war sie 9 Monate lang Au-Pair. Sie hat mir das Ding mitgebracht, und ich hatte vorhin keine Zeit mehr, mich umzuziehen."

      

       "Salvador."

      

       "Bitte?"

      

       "Salvador heißt die Stadt. Sie ist die Hauptstadt des Bundesstaates Bahia. Schauen sie mal, ich schätze, es steht sogar drauf, müsste direkt in der Falte unter ihrer linken Brust sein."

      

      Sie hob Ihre linke Brust mit der linken Hand etwas an, was, wie Rechtsanwalt Günter Trobitius fand, durchaus anmutig aussah.

       "Wenn ich das von oben richtig lese ... stimmt. Ich hoffe, dass Sie bei der Unterhaltsermittlung genau so pingelig sind."

      

       "Keine Sorge. Ich hab schon bisher gut zugehört. Bin zwar männlichen Geschlechts, aber für so viel Multitasking reicht es noch, dass ich alles Rechtsrelevante herausfiltern kann, obwohl Sie hier in Begleitung der südamerikanischen Ostküste zu mir gekommen sind. Wissen Sie, ich habe eine besondere mentale Beziehung zu Brasilien, und gucke dann natürlich unwillkürlich, ob das Wichtigste drauf ist."

      

       "Ach so, dann tun Sie sich keinen Zwang an. Ich unterbreche kurz, bis Sie mit Ihrem, äh, visuellen Kontrollgang fertig sind."

      

       "Danke, geht schnell. Ich kann Sie auch gern beteiligen."

      

       "Herr Rechtsanwalt, ich habe gerade andere Probleme und Interessen, aber wenn´s sein muss ..."

      Sie wirkte mittlerweile eher amüsiert als genervt.

      

       "Gut. Salvador hatten wir schon. Au, Porto Seguro fehlt."

      

       "Na und?"

      

       "Na, an der Stelle ist Brasilien entdeckt worden."

      

       "Hochinteressant. Ich bin sicher, dass Sie auf den Tag genau wissen, wann."

      

       "Klar, 21. April 1500. Rio ist drauf, São Paulo auch, Belo Horizonte fehlt."

      

       "Belori was?"

      

       "Be-lo-ri-song-tschi. Millionenstadt immerhin. Kennt jeder Fußballfan. Viele Brasilianer, die in der Bundesliga spielen, kommen von einem der dortigen Spitzenclubs, Atletico Mineiro und Cruzeiro."

      

       "Bitte, nicht das noch. Außerdem: Wenn Beo Dingsda nicht auf der Karte ist, liegt´s vielleicht daran, dass nur die Küstenstädte drauf sind, hm?"

       "Kann nicht sein. Manaus und São Paulo sind ja auch drauf."

      

       "Skandalös. Am besten, ich flieg morgen nach Brasilien und tausch es um."

      Rechtsanwalt Trobitius war entzückt von ihrem sarkastischen Lächeln.

      

       "Glänzende Idee. Vorher lassen Sie mich bitte noch ... Moment, bin auch gleich durch. Florianopolis fehlt, Porto Alegre ist drauf, sehr schön, da ist Brasilien auch schon zuende. Montevideo, Buenos Aires, Rosario hätte noch reingepasst, Schade, da ist jetzt ihr Gürtel."

      

       "Was vermissen Sie denn noch?"

      

       "Ushuaia."

      

       "Wo ist das denn?"

      

      Rechtsanwalt Günter Trobitius schaute seiner Mandantin ungerührt in den Schritt und sagte "Feuerland".

      Wie konnte mir das wieder passieren? fragte er sich mit der Nervosität dessen, der zu weit gegangen ist. Ich hätt ja auch tierra del fuego sagen können, das hätt sie nicht verstanden