"Also wirklich" beginnt, seh ich sie nicht wieder. Wenn sie lacht und bleibt, werd ich mich für sie im Scheidungsprozess zerreißen.
Seine Mandantin lachte sehr laut, und es klang, wie Rechtsanwalt Trobitius fand, ein bisschen nach seinen weiblichen Auszubildenden, wenn sie zu viel billigen Sekt getrunken hatten. Ihr Lachen brach abrupt ab, so wie es bei vielen kopfgesteuerten Frauen geschieht, die registrieren müssen, dass sie unter ihrem Niveau gelacht haben. Sie stand auf und sagte:
"Also wirklich, ich bin nicht hergekommen, um mir hier Ihre Anzüglichkeiten anzuhören. Irgendwann reicht es. Es gibt noch andere gute Anwälte."
Grußlos wandte sie sich zum Gehen.
Murat
Günter Lux war sich natürlich darüber im Klaren, dass die beiden in der Jugendkammer sitzenden Männer der Vertreterin der Jugendgerichtshilfe nur deshalb so geduldig und nach seinem Eindruck sogar begierig zuhörten, weil sie schön war, ungeschminkt schön. Sie hatte haselnussbraune Locken und einen Mund, der Phantasien weckte, die nicht in den Gerichtssaal gehören.
In der russischen Literatur, so fiel ihm ein, ist in solchen Fällen von einer mühelosen Schönheit die Rede. Ihm und den anderen Männern fiel es schwer, den Blick von ihr abzuwenden, was auch daran lag, dass der Gerichtssaal keine Attraktivitätsalternative bot, an der die Blicke, auch seine eigenen, hätten andocken können.
Der Angeklagte Murat Ibrahimović, den er als Pflichtverteidiger vertrat, war ein rothaarig-struppiger und ungeachtet seines jugendlichen Alters schon bedenklich zahnarmer Bosnier. Die Staatsanwältin hatte, soweit man das sehen konnte, ihr Haare überall da, wo sie nicht hingehören, in Sonderheit auf den Zähnen, und die beiden Richter sahen so aus, wie Männer zwischen Mitte 40 und Mitte 50 eben aussehen. Die einzige Frau auf der Richterbank, eine Fleischereifachverkäuferin, die es unter die Laienrichter verschlagen hatte und die während der gesamten Verhandlung verständnislos dreinschaute, war auf eine unwabbelige Weise dick, hatte dünne blonde Haare und einen Teint, dem man ansah, dass sie das Schweinefleisch billiger bekam.
Selbst der Angeklagte würde sich allenfalls das Gericht des Vorsitzenden merken können, und das auch nur dann, wenn er seine Berufung verwerfen würde.
Auch der Vorsitzende schaute die Kleine, die seine Tochter hätte sein können, aufmerksam und mit anfänglichem Wohlgefallen an. Zweierlei fiel ihm sofort auf: Die junge Dame war dem Angeklagten an Jahren, aber nicht an Verschlagenheit ebenbürtig und erzählte, auch das merkte er nach dem ersten Satz, einen derartigen Stuss, dass er und die beiden Nichtprofis, vielleicht mit Ausnahme der Schöffin, Mühe haben würden, nachsichtig zu bleiben. Die Staatsanwältin, der der Widerstreit zwischen Großhirn und limbischem System in dieser Situation fremd war - sie kannte diesen Konflikt nur als Alt-Sängerin im Kirchenchor, wo die Bachsche Gänsehautmusik mit stumpfsinnigen Texten kollidierte -, betrachtete sie dagegen aus Augen, mit denen man ohne weiteres hätte Nägel einschlagen können. Castor und Pollux, ihre beiden risikolos geliebten Afghanen, kamen ihr in den Sinn, vor etwa 10 Jahren gestartet als Konvergenzhunde, damals, als sie noch schlank und im Gesicht weniger verhärtet war. Mittlerweile waren die Tiere zu Komplementärhunden mutiert, immer noch schön, schlank und schnell, mit langen braunen Haaren und glänzenden schwarzen Augen. Castor und Pollux, so erkannte sie jäh, hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit der Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, aber sie redeten keinen Scheiß.
Die Kleine war immer noch bei der Vorgeschichte, d.h. bei der von Murat schlampig geschönten Biographie:
"Also, er war ja nun Asylbewerber, und sonst hätten sie ihn auch zurückgeschickt in die Hölle da, also im nahen Osten, und er hätte noch viel eher untertauchen müssen, also nicht erst nach diesen Schlägereigeschichten, die die Polizei ihm da anhängen wollte - also ganz klar: die anderen haben angefangen, das glaub ich ihm, weil ..."
"Hören Sie mal, Frau Weber", unterbrach die Staatsanwältin mit scheppernder Stimme, "Sie brauchen dem Herrn Verteidiger hier nicht die Arbeit abzunehmen, erst recht nicht, wenn es um Ermittlungsverfahren geht, die längst eingestellt sind."
"Fahren Sie bitte fort", sagte der Kammervorsitzende verbindlich, "und zwar möglichst ohne zu plädieren."
"Ja, also der Murat war ja nicht nur so genannter Deserteur, sondern die waren auch, das hat er mir mal so richtig voll ehrlich gesagt, also die waren auch hinter ihm her wegen so ner Aktion gegen Zivilisten, also der Murat ist nämlich eigentlich Bosnier, und in Mostar, da musste er dann auch mal ein paar Handgranaten in einen Kindergarten reinwerfen, wo sich die Serben verschanzt hatten, ich mein, er konnt ja nicht wissen, dass da noch ..."
"Halt", rief Günter Lux dazwischen. "Das geht so nicht. Wir verhandeln hier über angebliche Einbrüche in Gartenlauben. Da brauchen wir weder Gräuelpropaganda noch die Selbstbezichtigungen eines Traumatisierten."
Der Richter streifte den Verteidiger mit einem dankbaren Lächeln und sagte:
"Frau Weber, noch einmal, bei allem Respekt vor Ihrem Engagement: Sie sollten die Heldentaten des Angeklagten im Krieg vielleicht weglassen. Ich glaube nicht, dass Sie ihm damit einen Gefallen tun, und darauf kommt es ihnen ja schließlich an, wie uns allen hier nicht entgangen ist."
"Ja also o.k., ich wollt nur sagen, im Krieg verliert man ja auch manchmal den Überblick. Bei diesem Wahnsinnsstress und so. Na ja, und dabei hat er sich dann, hat er mir erzählt, noch ganz plötzlich in die Kindergärtnerin verliebt, und die fand ihn wohl auch nett, und, na ja, das haben sie ihm jedenfalls als Ver ..."
Günter Lux wurde erstmals laut: "Frau Weber, auf die Erörterung der Vorstrafen kommen wir später, und seien Sie bitte so freundlich, alle strafrechtlich relevanten Vorgänge wegzulassen, die sich vor der Ankunft des Angeklagten in Deutschland ereignet haben."
Der Schöffe, ein Deutschlehrer an der Realschule, räusperte sich und sagte mit müder Stimme:
"Wir sollten den Ausgangspunkt nicht aus den Augen verlieren. Hier geht es in erster Linie um die Frage, ob der Angeklagte oder, wie Frau Weber sich auszudrücken beliebt, der Murat, als Heranwachsender einfach noch unreif ist oder eine jugendtypische Verfehlung, oder meinethalben, Frau Staatsanwältin, eine ganze Serie davon, begangen hat. Deshalb würden wir uns freuen, wenn Sie, Frau Weber, sich auf Ausführungen beschränken könnten, die uns die Beantwortung dieser Frage erleichtern."
Seine Stimme hatte für ihn selbst eine Art Weckruffunktion. Er blickte die junge Frau jetzt munter und sogar ein wenig kokett an.
Die Angesprochene schaute keineswegs irritiert, sondern eher etwas angewidert in Richtung Berufungskammer.
"Ich mein, wir leben hier im tiefsten Frieden und haben gut lachen. Ich möcht nur sagen, also es gibt da auch welche in unserer Friedensgruppe, die haben dem Murat jede Solidarität verweigert. Diese Heuchler. Dabei erzählen die zum Beispiel frauenfeindliche Witze und waren noch nie im Krieg."
Die Staatsanwältin schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und sagte schneidend:
"Junge Frau, ich brauche sicherlich nicht auszuführen, dass auch ich kein Freund von frauenfeindlichen Witzen bin, obwohl Ihr Auftreten hier durchaus geeignet ist, die Verbreitung von Blondinenwitzen zu fördern, ..."
"Bitte, Frau Staatsanwältin, keine Schärfen", unterbrach der Vorsitzende. Zeitgleich rief die Bespöttelte: