Charles Cubon

Teich-Gelüste


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die alte Stern hat mich nur total fertig gemacht, weil die Rechnung nicht stimmte«, antwortete Jan.

      »So, wie doll hab’ ich sie denn heute beschissen«, fragte er breit grinsend.

      »Wie beschissen? Du hast dich um 5 Mark zu ihren Gunsten verrechnet!«

      »Ach was, Papier ist geduldig, das habe ich doch vorher schon draufgehauen. Ich wollte nur, dass du die mal in Hochform erlebst. Was die für ein gemeiner Drachen sein kann! Ich meine, so als zukünftige Schwiegermutter, hahaaa!« Lachend stiegen sie in den alten Kastenwagen, mit aufheulendem Motor und dicken Abgaswolken rasten sie davon.

      Jak de Misserè lag laut schnarchend auf dem ausgeleierten Sofa und hielt genüsslich seinen Mittagsschlaf. Leise legte Jan das Schuldenbuch zurück auf den Tisch und verschloss die Tür. Für sein Vorhaben hatte er sich aus dem Büchlein seines Alten einige Zahlenkolonnen abgeschrieben, von denen er glaubte, dass er sie heute benötigte.

      Angesichts seiner Gedanken, die ihm seit einiger Zeit durch den Kopf gingen, klopfte er sich beruhigt auf die Brusttasche, hinter der sein Duplikat steckte. Vor Tagen hatte er es exakt in gleicher Ausführung besorgt. Mühevoll ahmte er die krakelige Schrift des Alten nach. Ganz besonders penibel auf dem Etikett der Titelseite. Wer wußte, wozu es noch nützlich sein würde. Er packte einige Plastiktüten zusammen und sprang mit vollem Schwung auf sein Sportrad.

      Das scharfe Rad staubte er von einem Kumpel des Gymnasiums ab. Jan tauschte es gegen ein paar Flaschen Schnaps ein, die er aus dem Laden seines Alten klaute. Sein Tauschhandelspartner hatte von seinen wohlhabenden Eltern zu Weihnachten ein neues, noch schnelleres Rad bekommen. Von diesem Handel hatte Jan seinen Eltern natürlich nichts erzählt, sie dachten, er hätte sich im Stadtgeschäft eines Freundes ein paar Mark dazu verdient. Unternehmungslustig drückte er sich in den Sattel und trat in die Pedale. Mit hoher Geschwindigkeit strampelte er auf dem Rennrad durch die Weiten der eiskalten, von Rauhreif überzogenen Elbmarsch. Immer geradeaus in Richtung Westen, wo die Aale, die er abholen sollte, auf ihn warteten.

      Nach einer guten Stunde hatte er die Ortschaft erreicht. Jan überlegte sich, wo er sein auffälliges Rad abstellen könnte. Er erinnerte sich an den großen Taxusbusch hinter dem Haus und beschloss, es dort später zu verstecken. Zielsicher eilte er zu Frau Bergers Haustür und klingelte stürmisch. Sein Rennrad hatte er für den Moment, mitten auf dem schmalen Weg des Vorgartens abgestellt. Lautlos öffnete sich die Tür.

      »Hallo! Du bist also der Jan«, begrüßte sie ihn in freundlichem Ton. »Der ganze Stolz des Vaters!« Interessiert musterte sie ihn von Kopf bis Fuß und fügte mit sanfter, lieblicher Stimme charmant hinzu: »Ich habe schon 20 Pfund geräucherten Aal im Kühlschrank liegen. So muss ich nicht mehr hinaus in den eiskalten Hofschauer.«

      »Hallo! Liebe Frau Berger!«, antwortete er freundlich und meinte verlegen: »Ich bin von der langen Fahrt durchgefroren, darf ich mich an Ihrem Ofen ein wenig aufwärmen?« Hoffnungsvollen Blickes reichte er ihr die Tüte und sagte: »Schönen Gruß vom Alten, ehh, alten Herrn«, verbesserte er sich schnell.

      »Die Flasche Rum in der Tüte ist für einen heißen Grog gedacht.« Verblüfft betrachtete sie ihn und stellte fest, dass er ausgesprochen gut aussah, verdammt männlich für seine 16 Jahre, kräftig gebaut mit breiten Schultern, starken Lenden und einem strammen Hintern. Sein kräftiges kantiges Gesicht rief alte Erinnerungen an ihren Mann wach und sie lächelte ihm einladend zu.

      »Entschuldige Jan! Komm schnell in die warme Stube und wärm’ dich auf.«

      »Vielen Dank, Frau Berger!«, antwortete Jan aufgeregt. Er überlegte kurz und sagte ohne ihre Antwort abzuwarten: »Ich stelle noch schnell mein Rad auf den Hof, damit es nicht abhanden kommt, denn es war verdammt teuer, das gute Stück, und ist in einigen Kreisen sehr begehrt.«

      »Ja, mach nur!«, rief sie ihm entzückt hinterher.

      Als er zurück zur Haustür kam war die Tür einen kleinen Spalt breit geöffnet. Neugierig lauschte er den Geräuschen und vernahm ihre eiligen Schritte, die auf die Tür zu strebten. Mit ihrer warmherzigen Stimme forderte sie ihn auf: »Komm herein!« Schwungvoll öffnete sich die Haustür und mit einer galanten Geste zeigte sie zur Stubentür.

      »Dort brennt der Kachelofen und es ist schön mollig warm. Geh schon mal vor, ich mache uns noch einen heißen Tee. Damit du schnell wieder auftaust.« Jan setzte sich an den feurig, böllernden Ofen und hielt seine steifgefrorenen Hände dicht an die wärmenden Kacheln.

      »Na, Jan, geht’s dir schon etwas besser?«, fragte sie mütterlich besorgt.

      »Brrr, da draußen ist eine kalte Luft, der eisige Wind geht einem durch Mark und Bein«, antwortete er und schüttelte seinen Oberkörper. Der schrille Pfiff der Wasserkessels unterbrach die kurze Unterhaltung. Sie eilte in die Küche und Jan lauschte den Geräuschen des aufgießenden Wassers. In ihren Gedanken versunken kam sie zurück und meinte ganz förmlich: »Ich habe uns den Tee aufgegossen, der muss noch kurz ziehen. Übrigens, wie geht’s deinem Vater? Als er letzte Woche hier war, ging es ihm nicht besonders gut, er sah schlecht aus, so blass und fühlte sich so kraftlos.«

      »Ja, ja, dem geht’s schon wieder besser, er hatte viel Ärger am Hals. Aber ich glaube, er hat sich wieder ganz gut davon erholt.«

      »Das klingt ja vielversprechend. Schön, das freut mich für ihn«, rief sie Jan zu, als sie zur Küche ging, um den Tee zu holen.

      »Dieser alte geile Bock«, dachte er sich, »wenn der nicht die ganzen Weiber der Gegend durchvögeln würde, hätte er wohl auch keine Probleme und würde sich viel besser um seine Geschäfte kümmern; und ich mich um die Schule«.

      »Zum Glück muss ich heute nicht noch irgendwo hin«, hörte er ihre Stimme durch die offene Zimmertür. Als sie mit dem Tablett, zwei Tassen und dem heißen Tee erschien, fragte Jan forschend: »Ihr Mann, ist der etwa bei diesem Wetter zum Fischen draußen?«

      »Ach, Jan, mein Mann«, antwortete sie leicht verlegen »der ist immer auf dem Kutter, ob es blitzt, donnert oder schneit. Er hält das hier am warmen Ofen nicht lange aus. Ich sehe ihn kaum, er ist fast immer auf dem Wasser. Ich glaube, der ist inzwischen mit seinen Fischen oder Aalen verheiratet.«

      Jan fasste sich ein Herz, nahm seinen ganzen Mut zusammen und erwiderte: »So eine wunderschöne Frau, lässt man doch nicht allein zu Hause sitzen.« Verwundert und leicht errötet schaute sie ihm tief in die Augen.

      »Danke, Jan! So ein lieb gemeintes Kompliment habe ich schon ewig nicht mehr gehört und schon gar nicht aus den Lippen eines so hübschen jungen Mannes. Es ist wunderschön, wenn man als reife Frau, von einem so blutjungen Mann noch beachtet und bewundert wird.«

      Es wurde Jan bei der Unterhaltung, die er sich eher als kleinen Erpressungsversuch vorgestellt hatte, ganz heiß. Ihm lief bei seinen Gedanken ein eiskalter Schauer über den Rücken. Leicht zitternd saß er ihr gegenüber und starrte sie mit unsicherem Lächeln an.

      »Ist es dir noch kalt?«, fragte sie besorgt. Erschrocken fügte sie hinzu: »Soll ich noch einige Stücke Holz nachlegen?«

      »Nein, nein, nicht nötig«, beruhigte er sie.

      »So ein heißer, steifer Old Grog wäre eigentlich das richtige Getränk bei diesem Wetter. Damit sich auch schnell wieder neue Kräfte für meinen Rückweg sammeln.« Entzückt sprang sie aus ihrem Sessel und antwortete: »Das ist eine sehr gute Idee! Einen heißen Old Grog? Den habe ich schon ewig nicht mehr getrunken. Daran kann ich mich nur noch schwach erinnern und in so junger Gesellschaft wird er besonders gut schmecken«, schwärmte sie und seufzte. »Es ist alles schon so lange her.«

      Mit einem sehnsüchtigen Blick verschlang sie seine jugendliche, frische Ausstrahlung, als sie an ihre Jugendzeit dachte.

      »Kann ich Ihnen etwas helfen?«, fragte Jan hilfsbereit.

      »Ja, komm doch mit, in die Küche, ich weiß überhaupt nicht so genau, wie ein echter steifer Old Grog zubereitet wird.«

      »Kein Problem! Ich kenne mich gut damit aus, in der letzten Woche haben wir 500 Gläser auf dem zugefrorenen See an der Elbe verkauft. Dort war ein kleiner Wettbewerb. Eislaufen,