von ihm selbst zu verlangen, daß er abreist. Ich fühle, daß das schwer zu machen ist; da ihm aber, wie mir scheint, etwas daran liegt, mir zu beweisen, daß er in Wirklichkeit mehr Ehrenhaftigkeit besitzt, als man in ihm vermutet, so gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß es mir gelingt. Es ist mir sogar ganz recht, ihm das selbst zu sagen und so eine Gelegenheit zu haben, zu sehen, ob die anständigen Frauen, wie er immer behauptete, sich wirklich nie über ihn zu beklagen Grund hatten und haben werden.
Wenn er, wie ich es wünsche, geht, so wird das auch wirklich nur Rücksicht für mich sein; denn ich weiß, daß er die bestimmte Absicht hatte, den größten Teil des Herbstes hier zu verbringen. Lehnt er ab und bleibt er, so ist es für mich immer noch Zeit, selbst abzureisen, und ich verspreche Ihnen das.
Das ist, glaube ich, alles, gnädige Frau, was Ihre Freundschaft von mir verlangt hat, und ich beeile mich, dem zu entsprechen und Ihnen zu beweisen, daß ich trotz der »Wärme«, mit der ich Herrn von Valmont verteidigt habe, doch nicht weniger geneigt bin, die Ratschläge meiner Freundin nicht nur anzuhören, sondern auch zu befolgen.
Auf Schloß . . ., den 25. August 17..
Achtunddreissigster Brief
Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont.
Gerade bekomme ich Ihr großes Briefpaket, mein lieber Vicomte. Wenn das Datum stimmt, hätte ich es vierundzwanzig Stunden früher erhalten müssen, aber so oder so – nähme ich mir die Zeit, es zu lesen, so bliebe mir keine, darauf zu antworten. Ich bestätige Ihnen daher bloß den Empfang und sprechen wir von was anderem. Nicht als ob ich Ihnen von mir nichts zu erzählen hätte. Der schöne Herbst läßt fast keine Menschenseele in Paris, und so bin ich seit einem Monate von einer Solidität – zum Umkommen: jeder andere als mein Chevalier wäre meiner Beständigkeit schon müde. Da ich also untätig sein muß, amüsiere ich mich mit der kleinen Volanges – und von ihr will ich Ihnen erzählen.
Sie haben mehr verloren als Sie ahnen, daß Sie sich dieses Kindes nicht annehmen wollen! Die Kleine ist nämlich wirklich entzückend, hat weder Charakter noch »Grundsätze« – danach können Sie sich denken, wie angenehm und nett ihre Gesellschaft ist. Gefühl? Nein, das wird nie ihr Fall sein, aber Sinne, ja, die hat sie und wie lebhafte! Ohne Geist und ohne Raffinement hat sie doch so eine Art natürlicher Falschheit, wenn man so sagen kann, die mich manchmal erstaunt, und mit der sie um so mehr Erfolg haben wird, als ihr Gesicht das Bild der Unerfahrenheit und Naivität ist. Sie ist sehr verliebter Natur, und ich amüsiere mich manches Mal darüber; ihr kleines Köpfchen erhitzt sich mit einer unglaublichen Leichtigkeit und sie ist dann um so reizender, weil sie nichts, aber gar nichts von all dem weiß, was sie so gern wissen möchte. Es überkommt sie da eine Ungeduld, die sehr amüsant ist; sie lacht, sie ärgert sich, sie weint und dann bittet sie mich mit einer wirklich verführerischen Aufrichtigkeit um meine Belehrung. Ich bin wirklich beinahe eifersüchtig auf den, dem dieses Vergnügen aufbehalten ist.
Habe ich Ihnen schon gesagt, daß ich seit vier oder fünf Tagen die Ehre ihres Vertrauens genieße? Sie erraten wohl, daß ich zuerst die strenge Frau markierte, aber als ich bemerkte, daß sie mich mit ihren unvernünftigen Gründen überzeugt zu haben glaubte, tat ich, als nähme ich sie für vernünftige, und sie ist natürlich überzeugt, daß sie diesen Erfolg ihrer Beredsamkeit verdankt. – Diese Vorsicht war nötig, um mich nicht zu kompromittieren. Ich erlaubte ihr also zu schreiben und zu sagen »ich liebe«, und verschaffte ihr am selben Tage ein natürlich »zufälliges« Tête-à-Tête mit ihrem Danceny. Aber der ist noch so blöde, daß er nicht einmal einen Kuß bekam. Doch macht er schöne Verse! Mein Gott, wie sind doch die geistreichen Leute dumm! Und der da ist es in einer Weise, die mich noch in Verlegenheit bringen wird; denn ihn kann ich doch nicht führen, schon seinetwegen nicht!
Jetzt wären Sie mir sehr von Nutzen. Sie sind mit Danceny gut genug befreundet, um sein Vertrauen zu gewinnen, und wenn Sie dieses einmal haben, könnten Sie ihn etwas auf die Beine bringen. Treiben Sie doch Ihre Nonne ein bißchen zur Eile; denn ich will nicht, daß Gercourt davon verschont bleibt; übrigens sprach ich gestern von ihm zu der Kleinen, und habe ihn ihr so gut beschrieben, daß sie ihn nicht mehr hassen könnte, wenn sie schon zehn Jahre seine Frau wäre. Ich habe ihr aber doch auch sehr viel von der ehelichen Treue gepredigt; nichts kommt meiner Strenge in diesem Punkte gleich. So sorge ich auf einer Seite um den guten Ruf meiner Tugend, den ein zu viel Eingehen auf die Liebesangelegenheiten der Kleinen zerstören könnte, und mehre auf der anderen Seite den Haß, mit dem ich ihren künftigen Mann beglücken will. Und dann hoffe ich ihr damit begreiflich zu machen, daß es ihr nur während ihrer kurzen Mädchenzeit erlaubt ist, von der Liebe Gebrauch zu machen, und so wird sie sich schneller entschließen, nichts von dieser kostbaren Zeit zu verlieren.
Adieu, Vicomte. Ich will jetzt Toilette machen und dabei Ihren Briefband lesen.
Paris, den 27. August 17..
Cécile Volanges an Sophie Carnay.
Ich bin traurig und unruhig, meine liebe Sophie. Und ich habe fast die ganze Nacht geweint. Nicht als ob ich im Augenblick nicht sehr glücklich wäre, aber ich seh' es voraus, es wird nicht dauern.
Gestern war ich mit Frau von Merteuil in der Oper. Wir sprachen viel von meiner Heirat, und ich hörte nichts Gutes darüber. Es ist der Graf von Gercourt, den ich heiraten soll, und zwar im Oktober. Er ist reich, vornehm und Oberst in einem Husarenregiment. – Bis dahin ist alles ganz gut. Aber zuerst einmal ist er alt. Denk Dir, er ist mindestens sechsunddreißig! Und dann, sagt Frau von Merteuil, ist er ein Sauertopf und streng, und daß sie fürchtet, ich würde nicht glücklich mit ihm sein. Ich habe es ganz deutlich gemerkt, daß sie das ganz sicher weiß und daß sie es mir nur nicht sagen wollte, um mich nicht zu betrüben. Sie hat mich fast den ganzen Abend darüber unterhalten, was für Pflichten die Frauen gegenüber ihren Männern hätten, und dann gibt sie zu, daß Herr von Gercourt gar nicht liebenswürdig ist und sagt, ich müßte ihn dennoch lieben. Hat sie mir aber nicht auch gesagt, daß ich, einmal verheiratet, den Chevalier von Danceny nicht mehr lieben dürfte? Als ob das möglich wäre! Aber ich versichere Dir, ich werde ihn immer lieben. Siehst Du, eher würde ich mich gar nicht verheiraten. Soll sich dieser Herr von Gercourt einrichten wie er will, ich habe ihn nicht gerufen. Er ist jetzt in Korsika, und das ist sehr weit weg von hier, und ich möchte, er soll zehn Jahre dort bleiben. Wenn ich nicht Angst hätte, ins Kloster zurück zu müssen, so würde ich Mama sagen, daß ich diesen Mann nicht mag; aber das Kloster wäre doch noch schlimmer. Du siehst, ich bin in einer schrecklichen Verlegenheit. Ich fühle, daß ich Herrn von Danceny noch nie so geliebt habe wie jetzt, und wenn ich bedenke, daß mir nur noch ein Monat bleibt, das zu sein, was ich jetzt bin, so kommen mir immer gleich die Tränen in die Augen. Mein einziger Trost ist die Freundschaft mit Frau von Merteuil. Sie hat so ein gutes Herz, und sie fühlt all meinen Kummer mit mir, und sie ist so lieb, daß, wenn ich bei ihr bin, ich fast gar nicht mehr an die schreckliche Sache denke. Dann ist sie mir auch sehr nützlich, denn das wenige, das ich weiß, verdanke ich nur ihr und sie ist so gut, daß ich ihr alles sage, was ich denke, ohne mich zu schämen. Wenn sie findet, daß etwas nicht recht ist, zankt sie mich auch mal, aber das tut sie so lieb, und dann küsse ich sie so von Herzen, bis sie nicht mehr bös ist. Sie kann ich wenigstens lieben soviel ich Lust habe, ohne daß dabei was Schlimmes ist und das macht mir viel Freude. Wir sind jedoch übereingekommen, daß wir vor den Leuten uns nicht so zeigen, wie wir uns lieben, besonders nicht vor Mama, damit sie wegen Danceny nichts denkt. Ich versichere Dir, wenn ich immer so leben könnte wie jetzt, würde ich sehr glücklich sein. Nur dieser ekelhafte Herr von Gercourt ...
Aber ich mag Dir nicht mehr darüber schreiben, denn ich würde wieder traurig werden. Statt dessen werde ich lieber an den Chevalier Danceny schreiben und ihm nur von meiner Liebe erzählen und nichts von meinem Kummer sagen, denn ich will ihn nicht traurig machen.
Adieu, meine liebe Freundin. Du siehst wohl, daß Du Unrecht hattest, Dich zu beklagen, und daß ich, auch noch so beschäftigt, wie Du sagst, doch immer so viel Zeit übrig habe, Dich zu lieben und Dir zu schreiben.
Paris, den