Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.
Das ist für meine grausame Schöne noch zu wenig, nicht auf meine Briefe zu antworten und sie nicht anzunehmen – sie will mir ihren Anblick entziehen, sie verlangt, daß ich abreise. Worüber Sie aber staunen werden: ich unterwerfe mich und reise. Sie werden mir Unrecht geben. Doch ich habe geglaubt, die Gelegenheit, mir etwas befehlen zu lassen, nicht besser nützen zu können, denn ich bin davon überzeugt, daß der, der befiehlt, sich verpflichtet; und dann ist diese scheinbare Macht, die wir den Frauen so gerne geben, eine der Fallen, denen sie am schwersten entgehen. Und noch eins: die Geschicklichkeit, mit der sie ein Alleinsein mit mir vermied, brachte mich in eine ganz gefährliche Situation, aus der ich um jeden Preis herausmußte: ich war immer um sie ohne die Möglichkeit, sie mit meiner Liebe zu beschäftigen, und so war die Gefahr nahe, daß sie sich schließlich daran gewöhnte, mich zu sehen und ohne Erregung zu sehen. Und das ist, wie Sie gut wissen, eine Situation, aus der herauszukommen sehr schwer ist.
Übrigens können Sie sich denken, daß ich mich nicht bedingungslos gefügt habe. Ich hatte sogar die Vorsicht, eine Bedingung zu stellen, die unmöglich zu erfüllen ist, um einerseits immer Herr zu bleiben, mein Wort zu halten oder zu brechen, und dann auch, um einen Verkehr – mündlich oder schriftlich – in dem Augenblick einleiten zu können, wo meine Schöne zufriedener mit mir ist und das Bedürfnis hat, daß ich zufriedener mit ihr wäre. Zu all dem noch dies, daß ich sehr ungeschickt wäre, wenn ich keine Mittel fände, eine Entschädigung für das Aufgeben dieser meiner Bedingung zu bekommen, so unhaltbar sie auch ist.
Nachdem ich Ihnen in dieser langen Einleitung meine Gründe auseinandergesetzt habe, erzähle ich Ihnen die Geschichte dieser zwei letzten Tage. Als Belege dienen die Briefe meiner Dame und meine Antwort darauf. Es wird wenige Historiker geben, die so exakt sind wie ich, nicht wahr?
Sie erinnern sich der Wirkung meines Briefes aus Dijon. Der Rest des Tages war recht bewegt. Die schöne Frau erschien erst zum Diner wieder und kündigte eine schwere Migräne an, – ein Vorwand, um eine dieser heftigen Stimmungskrisen zu maskieren, die Frauen haben können. Ihr Gesicht war wirklich merkwürdig verändert; der sanfte Ausdruck, den Sie an ihr kennen, bekam eine Nuance Trotz, was eine ganz neue Schönheit aus ihr machte. Ich will mir diese Entdeckung für den späteren Gebrauch merken und manchmal die sanfte Geliebte von dieser seltsam trotzigen ablösen lassen.
Ich sah einen trüben Nachmittag voraus, vor dessen Langeweile ich mich damit rettete, daß ich Briefe schreiben zu müssen vorgab und mich auf mein Zimmer zurückzog. Ich kam gegen sechs Uhr in den Salon zurück. Frau von Rosemonde schlug eine Spazierfahrt vor, was angenommen wurde. Aber gerade da wir in den Wagen steigen wollten, bekam meine angebliche Kranke höchst boshaft einen neuen Kopfschmerzanfall – vielleicht auch um sich an meinem »Briefschreiben« zu rächen – und ließ mich erbarmungslos ein Tête-à-Tête mit meiner alten Tante genießen. Ich weiß nicht, ob die Verwünschungen, die ich gegen diesen weiblichen Satan ausstieß, erhört wurden, aber bei unserer Rückkehr fanden wir ihn zu Bett.
Am nächsten Tage war ihre natürliche Sanftmut wieder da, und ich glaubte, mir wäre verziehen. Das Frühstück war kaum zu Ende, als diese nun wieder so sanfte Frau sich ruhig-gleichgültig erhob und in den Park ging; ich folgte natürlich, wie Sie sich denken können. »Woher diese Lust spazieren zu gehen?« fragte ich. – »Ich habe heute morgen viel geschrieben.« sagte sie, »und mein Kopf ist etwas müde.« – »Bin ich nicht so glücklich,« erwiderte ich, »mir die Ursache dieser Müdigkeit geben zu dürfen?« – »Ich habe Ihnen wohl geschrieben, aber ich weiß noch nicht, ob ich Ihnen den Brief geben soll. Er enthält eine Bitte, und Sie haben mich nicht daran gewöhnt, von einer Bitte Erfüllung zu hoffen.« – »Ich schwöre, wenn es mir möglich ist ...« – »Nichts ist leichter« – unterbricht sie mich – »und trotzdem Sie sie aus Gerechtigkeit erfüllen sollten, werde ich es als eine Gnade ansehen.« Sie gab mir ihren Brief; ich nahm ihn, und nahm auch ihre Hand, die sie ohne Unwillen und mit mehr Verlegenheit als Eile zurückzog. »Die Hitze ist doch stärker als ich dachte,« sagte sie, »wir müssen ins Haus zurück.« – Und sie nahm den Weg zum Schloß. Umsonst waren alle Versuche, sie zur Verlängerung des Spazierganges zu bewegen, und ich mußte mich daran erinnern, daß man uns sehen könnte, um nicht mehr als Worte aufzuwenden. Sie kehrte um und sprach kein Wort; und mir war klar, daß sie mit diesem Spaziergang keinen anderen Zweck hatte, als mir ihren Brief zu geben. Sie ging in ihre Zimmer und ich in die meinen, um die Epistel zu lesen, die ich Ihnen ebenfalls zu lesen rate, wie auch meine Antwort, bevor ich weiter erzähle.
Frau von Tourvel an den Vicomte von Valmont.
Es kommt mir vor, Vicomte, als ob Sie mit Ihrem Benehmen Tag für Tag nur die Gründe meiner Klagen über Sie vermehren wollten. Hartnäckig sind Sie darauf aus, mir von Ihrer Liebe zu sprechen, was ich weder hören will noch darf. Sie treiben Mißbrauch mit meinem Vertrauen oder meiner Schüchternheit und scheuen sich nicht, mir Ihre Briefe zukommen zu lassen und das auf eine wenig delikate Weise, wie ich wohl sagen kann. Den letzten Brief schickten Sie mir, ohne im mindesten die Wirkung einer Überraschung zu befürchten, die mich hätte arg bloßstellen können. Alles das gäbe mir wohl Anlaß genug, Ihnen die stärksten und verdientesten Vorwürfe zu machen. Doch ich will statt all dem nur eine Bitte an Sie stellen, und wenn Sie mir ihre Erfüllung zusagen, dann soll alles vergessen sein.
Sie selbst haben mir gesagt, daß ich für alles, was ich Sie bitte, keinen abschlägigen Bescheid zu fürchten brauche, und trotzdem dieser Zusage mit der Ihnen eigenen Inkonsequenz die einzige Ablehnung folgte, die Sie mir geben konnten, so will ich doch glauben, daß Sie heute ebenso formell Ihr Wort halten werden, wie Sie es mir vor einigen Tagen gegeben haben.
Ich wünsche also, daß Sie die Güte haben, abzureisen, den Ort zu verlassen, wo Ihr längeres Verweilen mich nur noch mehr dem Gerede der Welt aussetzen könnte, die ja immer schnell dabei ist, von anderen schlecht zu denken, und die Sie nur allzu sehr daran gewöhnt haben, sich jene Frauen ganz besonders anzusehen, die Sie mit Ihrer Gesellschaft auszeichnen.
Meine Freunde haben mich schon lange vor der Gefahr gewarnt, aber ich habe diese Warnung ignoriert, ja sogar die schlimme Meinung bekämpft, solange Ihr Betragen mir gegenüber mich in dem Glauben ließ, daß Sie mich nicht in die große Zahl jener Frauen einschließen, die alle Ursache hatten, sich über Sie zu beklagen. Heute, wo Sie mich so wie jene behandeln und wo ich das nicht länger ignorieren kann, heute bin ich es der Welt, meinen Freunden und mir selbst schuldig, einem notwendigen Entschluß zu folgen. Ich könnte noch dies bemerken, daß Sie durch eine Weigerung nichts gewinnen würden, da ich entschlossen bin, selbst zu reisen, wenn Sie darauf bestehen, zu bleiben. Aber ich will die Verpflichtung, die ich Ihnen für Ihre Gefälligkeit schuldig sein werde, nicht verkleinern, und so sage ich Ihnen, daß es mir momentan nicht angenehm wäre, abzureisen. Beweisen Sie mir also, wessen Sie mich so oft versicherten: daß anständige Frauen sich nie über Sie zu beklagen haben, oder beweisen Sie mir wenigstens, daß Sie es wieder gut zu machen wissen, wenn Sie ihnen Unrecht getan haben.
Habe ich es noch nötig, meine Bitte zu rechtfertigen? Es würde dazu genügen, Ihnen zu sagen, daß Sie eben Ihr Leben so verbrachten, daß diese meine Bitte nötig ist, und daß es nicht meine Schuld ist, wenn ich sie stelle. Aber wir wollen uns nicht an Dinge erinnern, die ich vergessen will und die mich zur Strenge zwingen würden und dies in einem Augenblick, wo ich Ihnen Gelegenheit gebe, sich meine Dankbarkeit zu verdienen. Adieu. Und was Sie tun, wird mir sagen, mit welchen Gefühlen ich für das Leben sein werde Ihre ergebene von T.
Schloß . . .,25. August 17..
Vicomte