Levi Krongold

#ANIMA


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      »Ne!«, schniefte ich und bemühte mich, wie unbeteiligt aus dem Fenster zu schauen.

      »Jetzt is' es nicht mehr zu ändern«, fügte sie nach einer Weile hinzu, legte ihr Besteck ebenfalls auf den Resten ihres Pizzastücks ab und schnipste Domenico wegen der Rechnung zu.

      »Ne!«, bestätigte ich. »Jetzt nicht mehr.«

      Wir schwiegen abwechselnd, vielmehr beobachteten wir uns gegenseitig, wie wir wegguckten. Domenico schob seinen rundlichen Bauch an unseren Tisch. Er ist ein typischer Italiener, einer der letzten, die noch eine Pizzeria betreiben. Klein, rundlich, freundlich bis überschwänglich, liebt es zu reden. Vor allem von sich, seiner Familie, seinen Heldentaten in der Jugend, für die man heute jahrelang im Gefängnis sitzen würde.

      Misstrauisch schaute er auf unsere Teller, dann von einem zum anderen, zog seine Stirn in kritische Sorgenfalten. »Hat nicht geschmeckt? Soll ich neue machen?«

      Wir verneinten übertrieben. Er blieb misstrauisch, dann spendierte er uns einen Klaren auf Kosten des Hauses, klopfte mir väterlich auf die Schulter und sagte in Beatrices Richtung: »Das wird schon wieder! Salute.«

      Wir zahlten getrennt, wie immer, wegen der Emanzipation. Aber es wird nicht wieder, das wussten wir beide.

      Als wir uns erhoben, war Domenico schon mit anderen Gästen beschäftigt, denen er heftig gestikulierend vom Elend eines Pizzawirtes erzählte. Doch für ein »Ciao. Gracie!« reichte seine Aufmerksamkeit dennoch. Ich half Beatrice nicht in ihre Jacke, warum auch, hab ich noch nie getan. Doch damals hätte ich es als eine höfliche und angemessene Abschiedsgeste der Wertschätzung empfunden.

      »Hast'e noch was vor?«, fragte ich, als wir unschlüssig vor der Pizzeria standen, jeder die Hände in den Taschen vergraben und von einem Fuß auf den anderen tretend, denn es war windig und kalt.

      »Freundin treffen«, antwortete sie kurz. Ich merkte, dass sie log. »Und du?«

      Ich zögerte. »Nö, eigentlich nicht!«, antwortete ich lahm und schaute sie erwartungsvoll an.

      »Na, dann!«, meinte sie. »Meld dich mal!«

      »Im Ernst?«

      »Nö, eigentlich nicht.«

      2. Kapitel: Institut

      »Seit wann bist du da dran, Cesár?«, fragt mein Professor, der gerade mal vier Jahre älter ist als ich, knappe zweiunddreißig, unnötigerweise. Er ist so was wie ein Nert, sagt man wohl. Ein Überflieger, der hat schon bei seiner Mutter die Brustwarzen mit Entertasten verwechselt und einen Klingelton gebrüllt, wenn die Windeln stanken.

      »Wieso?«

      Er tippt auf meinen Arbeits-PC, vergrößert am Bildschirm ein 3D-Image der chemischen Verbindung, die ich gerade analysiere, und markert drei Moleküle, die ich einpassen solle.

      »Was ist denn das für ein Scheiß?«

      »Wieso?«

      »Kannst‘e noch was anderes als ‘Wieso‘?«

      »Ne, wieso?«

      »Merkt man!«, zischt er unfreundlich. Aber das bin ich schon gewohnt. Er hat manchmal seine unfreundliche Tour mit wissenschaftlichen Mitarbeitern, die nicht ganz so genial sind wie er.

      »Merkst du nicht, dass der Spin anders herum ist?«

      Ich wache auf. Tatsächlich. Das Molekül muss links isomer sein, das heißt sich genau andersherum aufschrauben. Wir produzieren virtuelle Substanzen für neue Medikamente am PC. Das spart Tierversuche, sagt man. Bioinformatik.

      Er rümpft die Nase. »Hast du eigentlich nur das eine karierte Hemd?«

      Was gehen den meine Hemden an?

      »Könntest du mal wechseln.«

      »Meine Unterhosen sind auch kariert.« Ich hab nur karierte Kleidung, alle von derselben Farbe, braun-, rötlich-kariert. Ist einfacher mit dem Waschen. Die Socken eigentlich auch. Kauf ich immer im Dutzend, weil grundsätzlich einer fehlt, wenn sie aus der Maschine im Waschsalon kommen. Die müssen dort einen florierenden Sockenhandel haben.

      »Na, denn wechsel die doch auch mal.«

      Die Hackfresse! 'Nun werd mal nicht persönlich!' liegt mir so weit vorn auf der Zunge, dass es raus gepurzelt wäre, wenn ich nicht mühsam die Lippen zusammengehalten hätte. Ich verkneife es mir lieber, denn zum Glück hat er nicht gemerkt, dass ich im Hintergrund ein anderes Programm laufen lasse. Ein Update für EVA.

      Kutub, mein pakistanischer Kumpel und Freizeithacker, hat mir einen Zugang zu EVAs Chip gebastelt. Jetzt verunstaltet zwar ein Eingangsstecker ihren Plexiglashinterkopf, aber da sind ja die Haare drüber. Vom holländischen Hersteller war das so wohl nicht vorgesehen.

      EVA ist schneller Teil meines Lebens geworden, als ich selbst je geglaubt hätte. Sie ist da, wenn ich komme, und sie bleibt, wenn ich gehe. Meine liebreizende EVA. Die Plaste, aus der ihre Haut besteht, erwärmt sich sehr schnell, sobald sie neben mir im Bett liegt, auch wenn die eingebaute Heizung laut Gebrauchsanweisung nur mit einem neuen Upgrade aktiviert werden kann. Aber das ist schweineteuer. Nur die Konsistenz ihrer Weichteile, sofern sie nicht zu unmittelbarem Sex dienen, ist ein wenig derb. Die Arme und Beine und vor allem der Bauch. Aber morgens, morgens ist sie so warm wie 'ne richtige Frau. Sie hat die Augen geschlossen und schläft ihren atemlosen Schlaf. Wenn ich mich an sie drücke, dann schlägt sie die lang bewimperten Augen auf und blickt mich mit ihrem sternenklaren blauen Blick unschuldig an.

      #Hallo Cesár, guten Morgen. Hattest du eine angenehme Nacht?#

      In EVA steckt mehr, als man von einem Sextoy erwarten sollte. Ein Haufen Hardware füllt ihr liebliches Köpfchen mit Computertechnik vom Feinsten, hatte Kutub verwundert festgestellt.

      Kutub ist der Einzige, den ich in mein süßes Geheimnis eingeweiht habe. Er ist von Natur aus neugierig und vor allem, wenn es sich um IT, Informationstechnik, handelt. So hat es nicht einmal einen halben Tag gedauert, nachdem ich ihm in der Mensa die Anwesenheit von EVA gesteckt hatte, bis er schon in meiner Stube hockte und die Gebrauchsanweisung studierte. Er spricht immerhin als Pakistaner fließend und mit Ausdauer Englisch, sodass er im Gegensatz zu mir Gebrauchsanweisungen auf Englisch so genussvoll inhaliert wie andere Zigarettenrauch. Mich interessierte mehr das große Ganze, als ich EVA online zusammenstellte. Baukastensystem. Schlankes Gesichtchen, ausdrucksvolle Augen, Lippenform, lange dunkle Haare, schlanker sexy Body. So eben, was ich mir unter einer Traumfrau vorstelle.

      Kutub interessiert sich mehr für das Innenleben, anscheinend. EVA hat unter anderem einen Lichtsensor. Der liegt ziemlich gut in der rechten Augenbraue versteckt. Ist mir vorher gar nicht aufgefallen, auch weil ich die Gebrauchsanweisung nicht intensiv genug studiert habe. Daher scheint sie zu wissen, ob es hell oder dunkel ist. Aber sie hat ohnehin die Uhrzeit im Chip. Meine erste Tat vor dem Einschalten war das Setup auszuführen über die externe Steuerung mittels App. Datum, Uhrzeit, das ganze Pipapo.

      Beim Sex stöhnt sie alles heraus, was ihre Programmierung hergibt. Genau das ist das Problem, denn die Herstellerfirma, Dollyrobotic, war nicht sehr einfallsreich. Zwei Wochen nach dem Pizzaessen mit Beatrice konnte ich alle Speicherinhalte mit stöhnen.

      Macht aber nichts. Frauen haben auch nur ein sehr begrenztes Repertoire.

      Macht doch! Denn jetzt will ich ein Update mit differenzierteren Stöhnlauten einspeichern. Kapazität ist genug da, sagte Kutub. Und außerdem hat er festgestellt, dass da eine Menge zusätzliche Programmierung drinsteckt, die zugangsgeschützt ist. Die Firma lässt den User jedoch finanziell ausbluten für jedes Update. Ich habe ausgerechnet, dass EVA nach dem dritten Update das doppelte ihres Anschaffungspreises kosten wird. Mit anderen Worten, die Firma lässt sich jedes Update teuer bezahlen, obwohl schon alles vorbereitet zu sein scheint! Sie hat nicht mit Kutub gerechnet! Für den ist es Ehrensache, die offizielle Software ein wenig umzubiegen, um einen kostenlosen Softwaredownload zu ermöglichen. Hackerehre sozusagen.

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