sind, wie der Augenschein lehrt, seine beiden Beine heil und gesund!« sagte der Fürst lachend. »Ich versichere Ihnen, daß das ein harmloser Spaß ist; ärgern Sie sich doch nicht darüber!«
»Aber erlauben Sie auch mir, die Sache so aufzufassen, wie ich es für richtig halte. Was den augenscheinlichen Zustand seiner Beine anlangt, so ist seine Angabe freilich nicht ganz undenkbar; es wird versichert, daß das Tschernoswitowsche Bein ...«
»Ach ja, mit einem Tschernoswitowschen Bein soll man ja sogar tanzen können.«
»Das weiß ich ganz genau; als Tschernoswitow sein Bein erfunden hatte, war das erste, was er tat, daß er schleunigst zu mir kam, um es mir zu zeigen. Aber das Tschernoswitowsche Bein ist erst viel später erfunden worden ... Und außerdem behauptet er, daß sogar seine verstorbene Frau während ihrer ganzen Ehe nicht gewahr geworden sei, daß er, ihr Mann, ein Holzbein habe. ›Wenn du‹, sagte er, als ich ihn auf all diese Ungereimtheiten hinwies, ›wenn du im Jahre 1812 bei Napoleon Kammerpage warst, dann mußt du auch mir erlauben, mein Bein auf dem Wagankowschen Friedhof zu begraben.‹«
»Aber sind Sie denn ...«, begann der Fürst und wurde verlegen.
Der General schien ebenfalls beinah verlegen zu werden; sah aber gleich im selben Augenblick den Fürsten sehr von oben herab und fast spöttisch an.
»Sprechen Sie zu Ende, Fürst«, sagte er, indem er die Worte mit besonderer Ruhe dehnte; »sprechen Sie zu Ende! Ich bin nicht empfindlich; sagen Sie alles: bekennen Sie nur, daß es Ihnen ein komischer Gedanke ist, einen Menschen in seinem jetzigen Zustand der Erniedrigung und Unbrauchbarkeit vor sich zu sehen und zugleich zu hören, daß dieser Mensch persönlich ein Zeuge großer Ereignisse gewesen ist. Er hat Ihnen noch nichts davon hinterbracht?«
»Nein, ich habe von Lebedjew nichts gehört ... wenn Sie von Lebedjew reden ...«
»Hm ...! Ich nahm das Gegenteil an. Eigentlich ging unser Gespräch gestern von diesem sonderbaren Artikel im Archiv aus. Ich wies auf dessen Absurdität hin, und da ich selbst persönlich Zeuge gewesen bin ... Sie lächeln, Fürst, Sie betrachten mein Gesicht?«
»N-nein, ich ...«
»Ich habe noch ein jugendliches Äußeres«, sagte der General langsam; »aber ich bin erheblich älter als ich aussehe. Im Jahre 1812 war ich zehn oder elf Jahre alt. Ich weiß mein Lebensalter selbst nicht ganz genau. In der Dienstliste ist es zu gering angegeben, und ich selbst hatte im Laufe meines Lebens die Schwäche, mir ein paar Jahre abzurechnen.«
»Ich versichere Sie, General, ich finde es durchaus nicht seltsam, daß Sie im Jahre 1812 in Moskau waren und ... Gewiß können Sie darüber mancherlei mitteilen ... ebenso wie alle, die damals dort waren. Einer unserer Landsleute beginnt seine Selbstbiographie gerade mit der Erzählung, daß er im Jahre 1812 als Säugling in Moskau von französischen Soldaten mit Brot gefüttert worden sei.«
»Nun, da sehen Sie es!« bemerkte der General beifällig und herablassend. »Was mir begegnet ist, geht allerdings über die gewöhnlichen Erlebnisse hinaus, enthält aber nichts Unerhörtes. Sehr oft macht die Wahrheit den Eindruck des Unmöglichen. Kammerpage! Das hört sich freilich sonderbar an. Aber daß ein zehnjähriger Knabe ein solches Abenteuer erlebte, erklärt sich vielleicht gerade durch sein Alter. Mit fünfzehn Jahren hätte mir das nicht begegnen können, unbedingt nicht, da ich als Fünfzehnjähriger nicht aus unserm Holzhaus in der Alten Basmannaja-Straße am Tage von Napoleons Einzug in Moskau von meiner Mutter weggelaufen wäre, die sich mit der Abreise aus Moskau verspätet hatte und vor Furcht zitterte. Als Fünfzehnjähriger hätte auch ich Angst gehabt; aber als Zehnjähriger fürchtete ich mich nicht und drängte mich durch die Menge hindurch bis dicht an das Portal des Schlosses, als Napoleon vom Pferd stieg.«
»Ohne Zweifel haben Sie sehr treffend bemerkt, daß sich Ihre Furchtlosigkeit gerade aus Ihrem Alter von zehn Jahren erklärt«, schaltete der Fürst schüchtern ein; ihn quälte der Gedanke, daß er sogleich erröten werde.
»Ohne Zweifel, und alles vollzog sich so einfach und natürlich, wie es sich eben nur in der Wirklichkeit vollziehen kann; wenn ein Romanschriftsteller dasselbe vortrüge, würde es wie ein Geflecht von Unmöglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten klingen.«
»Ja, so ist es!« rief der Fürst. »Das ist ein Gedanke, von dem auch ich einmal überrascht gewesen bin, und zwar erst neulich. Ich weiß von einem wirklich geschehenen Mord wegen einer Uhr; die Geschichte steht jetzt in den Zeitungen. Hätte das ein Schriftsteller ersonnen, so würden die Kenner unseres Volkslebens und die Kritiker sofort ein großes Geschrei erheben, das sei unglaublich; aber wenn man es in den Zeitungen als Tatsache liest, dann spürt man, daß man gerade aus solchen Tatsachen das wahre russische Wesen kennenlernt. Das war eine sehr hübsche Bemerkung von Ihnen, General!« schloß der Fürst eifrig; er freute sich sehr, daß er auf diese Art die helle Röte seines Gesichtes motivieren konnte.
»Nicht wahr, nicht wahr?« rief der General, dessen Augen vor Vergnügen blitzten. »Ein Knabe, ein Kind, das für die Gefahr kein Verständnis hat, drängt sich durch die Menge, um das Gepränge, die Uniformen, das Gefolge und schließlich den großen Mann zu sehen, von dem es schon so viel Geschrei gehört hatte. Denn damals redeten alle Leute mehrere Jahre lang nur von ihm. Die Welt war voll von diesem Namen; ich hatte ihn sozusagen mit der Muttermilch eingesogen. Als Napoleon in einer Entfernung von zwei Schritten an mir vorüberging, fiel es ihm zufällig auf, wie ich ihn ansah; ich trug adlige Tracht und war gut gekleidet. Ich war der einzige von dieser Art in der großen Menge; Sie werden selbst zugeben ...«
»Ohne Zweifel mußte ihm das auffallen und ein Beweis dafür sein, daß nicht alle geflüchtet, sondern daß auch Edelleute mit ihren Kindern dageblieben waren.«
»Ganz richtig, ganz richtig! Er wollte die Bojaren für sich gewinnen! Als er seinen Adlerblick auf mich richtete, mochten ihm wohl auch meine Augen entgegenblitzen. ›Voilà un garçon bien éveillé!‹ sagte er. ›Qui est ton père?‹ Ich antwortete ihm sofort, beinah atemlos vor Aufregung: ›Ein General, der auf einem Schlachtfeld seines Vaterlandes gefallen ist.‹ ›Le fils d'un boyard et d'un brave par-dessus le marché! J'aime les boyards. M'aimes-tu, petit?‹ Auf diese schnelle Frage antwortete ich ebenso schnell: ›Ein russisches Herz ist imstande, sogar in einem Feind seines Vaterlandes den großen Mann zu erkennen!‹ Das heißt, ich erinnere mich eigentlich nicht, ob ich mich buchstäblich so ausdrückte ... ich war ein Kind ... aber dies war gewiß der Sinn! Napoleon war überrascht; er dachte einen Augenblick nach und sagte zu seinem Gefolge: ›Der Stolz dieses Kindes gefällt mir! Aber wenn alle Russen so denken wie dieses Kind, dann ...‹ Er sprach den Satz nicht zu Ende und ging in das Schloß hinein. Ich mischte mich sogleich unter das Gefolge und lief ihm nach. In dem Gefolge traten die Leute vor mir auseinander und hielten mich für einen Günstling. Aber all das nahm ich nur flüchtig wahr ... Ich erinnere mich nur, daß der Kaiser, als er den ersten Saal betrat, plötzlich vor dem Porträt der Kaiserin Katharina stehenblieb, es lange nachdenklich betrachtete und endlich sagte: ›Das war eine große Frau!‹, und dann weiter ging. Nach zwei Stunden kannten mich schon alle im Schloß und im Kreml und nannten mich ›le petit boyard‹. Nach Hause ging ich nur, um in der Nacht dort zu schlafen. Zu Hause kamen sie fast von Sinnen. Schon zwei Tage darauf starb Napoleons Kammerpage, der Baron de Basencour, der die Strapazen des Feldzuges nicht hatte ertragen können. Napoleon erinnerte sich meiner; man holte mich, brachte mich hin, ohne mir zu sagen, um was es sich handelte, paßte mir die Uniform des Verstorbenen, eines zwölfjährigen Knaben, an, und als man mich in der Uniform zum Kaiser geführt und er mir zugenickt hatte, eröffnete man mir, daß ich der Gnade gewürdigt sei, zum Kammerpagen Seiner Majestät ernannt zu werden. Ich freute mich; ich hatte schon lange eine wirkliche warme Zuneigung zu ihm empfunden ... nun, und dazu noch, wie Sie sich selbst sagen können, die glänzende Uniform; das bedeutet für ein Kind viel ... Ich trug einen dunkelgrünen Frack mit langen, schmalen Schößen, mit goldenen Knöpfen, mit roter Verbrämung an den goldgestickten Ärmeln, mit hohem, stehendem, offenem, goldbesticktem Kragen, auch an den Schößen war Stickerei; ferner weiße, eng anliegende Beinkleider von sämischem Leder, eine weiß-seidene Weste, seidene Strümpfe und Schnallenschuhe ... und, wenn der Kaiser spazierenritt und ich mich unter dem Gefolge befand, hohe Reitstiefel. Obgleich