wollen wir auch bei der weiteren Darstellung der über den General hereingebrochenen Katastrophe verfahren; denn trotz alles Widerstrebens sehen wir uns entschieden in die Notwendigkeit versetzt, auch dieser Nebenfigur unserer Erzählung etwas mehr Aufmerksamkeit und Platz zuzugestehen, als wir bisher beabsichtigten.
Die Ereignisse waren einander in nachstehender Ordnung gefolgt.
Als Lebedjew von seiner Fahrt nach Petersburg, bei der er Nachforschungen nach Ferdyschtschenko hatte anstellen wollen, noch an demselben Tag mit dem General zusammen zurückgekehrt war, da hatte er dem Fürsten nichts Besonderes mitgeteilt. Wäre der Fürst in jener Zeit nicht durch andere für ihn sehr wichtige Dinge abgelenkt und in Anspruch genommen worden, so hätte er bald bemerken müssen, daß auch an den beiden darauffolgenden Tagen Lebedjew ihm nicht nur keine Aufklärungen gab, sondern sogar im Gegenteil aus irgendeinem Grund einem Zusammentreffen mit ihm aus dem Weg ging. Als der Fürst schließlich doch darauf aufmerksam wurde, wunderte er sich darüber, daß an diesen beiden Tagen bei zufälligen Begegnungen Lebedjew, wie er sich erinnerte, stets in der heitersten Stimmung und fast immer mit dem General zusammen gewesen war. Die beiden Freunde trennten sich keine Minute mehr. Der Fürst hörte mitunter lautes, eifriges Gespräch, das zu ihm von oben herunterklang, und lachendes, munteres Disputieren; einmal sehr spät abends schlugen sogar plötzlich und unerwartet die Töne eines soldatischen Trinkliedes an sein Ohr, und er erkannte sofort die heisere Baßstimme des Generals. Aber das angestimmte Lied kam nicht recht in Gang und verstummte plötzlich wieder. Dann setzte sich ungefähr noch eine Stunde lang ein sehr lebhaftes Gespräch fort; nach allen Anzeichen zu urteilen, waren die Redenden bereits betrunken. Man konnte erraten, daß die beiden Freunde, die sich da oben vergnügten, einander umarmten und schließlich einer von ihnen zu weinen anfing. Dann folgte auf einmal ein heftiger Streit, der ebenfalls bald wieder verstummte. Diese ganzen Tage über befand sich Kolja in besonders sorgenvoller Stimmung. Der Fürst war größtenteils nicht zu Hause und kehrte manchmal erst sehr spät zurück; dann wurde ihm immer gemeldet, Kolja habe ihn den ganzen Tag gesucht und nach ihm gefragt. Aber bei Begegnungen vermochte Kolja nichts Besonderes zu sagen, außer daß er mit dem General und dessen jetziger Aufführung sehr unzufrieden sei: »sie treiben sich herum, betrinken sich nicht weit von hier in einer Schenke, umarmen und zanken sich auf der Straße, ärgern sich wechselseitig und können sich doch nicht voneinander trennen.« Als der Fürst ihm erwiderte, daß das auch früher fast täglich dieselbe Geschichte gewesen sei, wußte Kolja nicht, was er darauf antworten und wie er erklären solle, weswegen er sich eigentlich jetzt so beunruhige.
An dem Morgen nach dem Trinklied und dem Streit wollte der Fürst gegen elf Uhr gerade ausgehen, als plötzlich der General in großer Aufregung bei ihm erschien.
»Ich habe lange nach einer Gelegenheit gesucht, wo ich die Ehre haben könnte, Sie zu sprechen, hochverehrter Ljow Nikolajewitsch, schon lange, sehr lange«, murmelte er und drückte dem Fürsten so kräftig die Hand, daß es diesem beinah weh tat. »Schon sehr, sehr lange.«
Der Fürst bat ihn, Platz zu nehmen.
»Nein, ich wollte mich nicht hinsetzen; ich halte Sie überdies auf; ein andermal. Wie es scheint, kann ich bei dieser Gelegenheit Ihnen auch zu ... der Erfüllung ... Ihrer Herzenswünsche gratulieren.«
»Welcher Herzenswünsche?«
Der Fürst wurde verlegen. Er hatte, wie viele Leute in seiner Lage, die Vorstellung, daß schlechterdings niemand etwas sehe, errate oder verstehe.
»Seien Sie ganz beruhigt, seien Sie ganz beruhigt! Ich werde Ihre zarten Gefühle nicht verletzen. Ich habe das selbst durchgemacht und weiß selbst, wie es ist, wenn ein Fremder ... wie man zu sagen pflegt ... seine Nase ... nach dem üblichen Ausdruck ... da hineinsteckt, wo es nicht gewünscht wird. Ich mache diese Erfahrung jeden Morgen. Ich bin in einer andern, wichtigen Angelegenheit gekommen. In einer sehr wichtigen Angelegenheit, Fürst.«
Der Fürst bat ihn noch einmal, sich zu setzen, und setzte sich selbst.
»Nun, dann nur für eine Sekunde ... Ich bin gekommen, um Sie um Rat zu fragen. Ich habe jetzt bekanntlich keine praktische Tätigkeit; aber da ich mich selbst sowie meine den Russen im allgemeinen fehlende Geschäftsgewandtheit wohl zu schätzen weiß ..., so möchte ich mich und meine Frau und meine Kinder in die Lage bringen ... kurz gesagt, Fürst, ich möchte gern einen guten Rat haben.«
Der Fürst spendete seiner Absicht warmes Lob.
»Na, das ist alles von mir nur dummes Zeug«, unterbrach ihn der General, »und, was die Hauptsache ist, ich will gar nicht davon, sondern von etwas anderem, Wichtigem reden. Und ich habe mich entschlossen, es gerade Ihnen auseinanderzusetzen, Ljow Nikolajewitsch, von dessen Aufrichtigkeit und Edelsinn ich ebenso überzeugt bin wie ... wie ... Sie wundern sich doch nicht über meine Worte, Fürst?«
Der Fürst betrachtete seinen Gast, wenn nicht mit besonderer Verwunderung, so doch mit großer Aufmerksamkeit und Neugier. Der Alte war etwas blaß; seine Lippen zuckten mitunter leicht; seine Hände schienen keinen Ruhepunkt finden zu können. Er saß erst einige Minuten und hatte sich während dieser Zeit bereits ein paarmal ohne Anlaß vom Stuhl erhoben und wieder hingesetzt, offenbar ohne diesen seinen Bewegungen die geringste Aufmerksamkeit zuzuwenden. Auf dem Tisch lagen Bücher; er nahm eines derselben in die Höhe, warf, ohne sich im Reden zu unterbrechen, einen Blick auf eine Seite, die er aufgeschlagen hatte, klappte es sofort wieder zu und legte es auf den Tisch zurück, ergriff ein anderes Buch, das er gar nicht mehr aufschlug, sondern die ganze übrige Zeit in der rechten Hand behielt, wobei er es unaufhörlich in der Luft umherschwenkte.
»Genug!« rief er plötzlich. »Ich sehe, daß ich Sie arg belästige.«
»Aber durchaus nicht, ich bitte Sie, tun Sie mir den Gefallen; im Gegenteil, ich bin ganz Ohr und würde gern erfahren ...«
»Fürst, ich möchte mich in eine geachtete Position bringen ... ich möchte gern mich selbst und ... meine Rechte achten können.«
»Wer einen solchen Wunsch hegt, verdient schon dafür alle Hochachtung.«
Der Fürst sagte diesen Satz, einen Satz von der Art, wie sie in den Schönschreibeheften als Vorschrift dienen, in der festen Überzeugung, daß derselbe eine gute Wirkung tun werde. Er hatte das instinktive Gefühl, daß man durch eine derartige hohle, aber schönklingende Phrase, wenn sie zur rechten Zeit ausgesprochen werde, das Herz eines solchen Menschen, wie der General einer war, gewinnen und besänftigen könne, namentlich wenn der Betreffende sich in solcher Lage befinde wie der General. Jedenfalls mußte er bewirken, daß ein solcher Gast sich beim Weggehen leichter ums Herz fühle; das war die Aufgabe.
Die Redensart schmeichelte, rührte und gefiel sehr; der General änderte sofort seinen Ton, zeigte eine tiefere Empfindung und erging sich in langen, begeisterten Auseinandersetzungen. Aber wie sehr sich der Fürst auch beim Zuhören anstrengte, er konnte buchstäblich nichts verstehen. Der General redete etwa zehn Minuten lang eifrig und schnell, wie wenn er gar nicht imstande wäre, die sich massenhaft in seinem Kopf drängenden Gedanken zu bewältigen; gegen Ende blitzten sogar Tränen in seinen Augen; aber doch waren es nur Phrasen ohne Anfang und Ende, zusammenhanglose Worte und zusammenhanglose Gedanken, die rasch und in bunter Folge hervorstürzten und übereinander wegsprangen.
»Genug! Sie haben mich verstanden, und ich bin beruhigt«, schloß er plötzlich und stand auf. »Ein Herz wie das Ihrige muß einen Leidenden verstehen. Fürst, Sie sind von einem idealen Edelsinn! Was sind alle andern gegen Sie? Aber Sie sind noch jung, und so erteile ich Ihnen meinen Segen. Also zum Schluß: ich bin gekommen, um Sie zu bitten, mir eine Stunde für eine wichtige Unterredung zu bestimmen; auf diese Unterredung setze ich meine größte Hoffnung. Was ich suche, ist nur Freundschaft und ein Herz, Fürst; ich habe die Forderungen meines Herzens bisher nie erfüllt gesehen.«
»Aber warum nicht gleich jetzt? Ich bin bereit zuzuhören ...«
»Nein, Fürst, nein«, unterbrach ihn der General eifrig. »Nicht gleich jetzt! Jetzt ist für Sie die Zeit, in schönen Hoffnungen zu schwelgen! Und die Sache ist sehr, sehr wichtig, sehr wichtig! In der Stunde, die dieses Gespräch dauern wird, wird sich mein Schicksal entscheiden. Diese Stunde wird mir