Nathalie D. Plume

§4253


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das einschätzen!“ Nachdem Philippe sein Zischen beendet hat und seine Augen sich von Schlitzen zurück zu Mandeln geformt haben, entlässt er Dorian aus seinem Bann und schlendert, zwischen den Häusern, zum Wagen zurück. Dorian stolpert hinter Philippe her, greift ihn am Arm und hechelt: „Hey, es tut mir leid, ich habe das nicht so gemeint, Philippe.“ Der Mann entreißt sich Dorians Griff und sagt mit leichter Trauer in seiner Stimme: „Ich weiß Dorian, ich habe es aber so gemeint.“

      Philippe schweigt in das Rauschen des Wagens hinein und obwohl der Asphalt immer wieder Steine gegen den Unterboden schlägt, obwohl das Funkgerät die ganze Zeit über in einem stereoähnlichen Sound vor sich hin krakeelt obwohl das Hupen der Autos manchmal unerträglich laut wird, ja selbst, wenn das Blaulicht über ihren Köpfen sich mit schrillen Sirenen den Weg durch den Verkehr schreit, selbst dann drückt Dorian die Stille seines Partners auf die Ohren. Immer wieder versucht er sein Schweigen zu brechen, ihn zu einem Gespräch oder nur einem Wort zu bewegen, doch selbst wenn Dorian ihm eine Abkürzung über das Schrillen der Sirenen zuschreit, selbst dann schweigt er und gibt ihm nur mit einem knappen Nicken sein Verständnis durch. Philippe scheint so tief in irgendwelchen Gedanken zu stecken, dass es Dorian manchmal so vorkommt, wenn sie an einer Ampel stehen bleiben oder einen Kaffee bei einem Drive-in holen, als würde er alleine im Wagen sitzen und den Autopiloten fahren lassen.

      Aber auch ohne Worte hören die Einsätze nicht auf weniger zu werden und umso mehr die Sonne sich hinter dem Smog verzieht, umso riskanter werden sie. Die Menschen scheint der immer weniger werdende Sauerstoff irgendwie aggressiver zu machen. Um 04:43 p.m. lehnt Dorian sich gegen die Kühlerhaube des Streifenwagens und wischt sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Schweiß von der Stirn, der ihm stetig vom Kopf tropft und in seinen Augen brennt. Philippe sitzt derweil schweigend im Wagen und reinigt den Lauf seiner Waffe, sorgfältig zieht er die Messingbürste von der Mündung zum Patronenlager, immer wieder wiederholt er den Schritt, bis er mit seiner Arbeit zufrieden ist. Geübt lädt er die Waffe einmal durch und platziert sie zurück im Holster, bevor er sich zu Dorian gesellt. „Na, alles wieder sauber?“ Ein knappes Nicken aus Philippes Richtung. Irgendetwas hat sich jedoch an der Art geändert, wie Philippe schweigt, und da Dorian ihn auch ohne Worte lesen kann wie ein Buch ohne Einband, winkt er nur genervt ab. „Mann, Philippe, mach dir das jetzt doch nicht zum Vorwurf, du musstest schießen.“ Philippe zuckt mit den Achseln und geht in Gedanken den letzten Einsatz durch. Immer wieder spielt er die Schusssituation im Kopf ab, wie er es immer tut, um sich seiner getroffenen Entscheidung auch weiterhin sicher zu sein. Obwohl er weiß, dass das nichts an seiner, ohnehin schon getroffenen, Entscheidung ändert, fühlt es sich richtig an die gezielte Verletzung oder Tötung eines Menschen nicht einfach so zu vergessen. „Hättest du geschossen?“, richtet er das Wort an Dorian. „Ob ich geschossen hätte?“ Verwundert über die seltsame Frage stößt der sich von der Kühlerhaube und drängt sich in Philippes Blickfeld. „Wenn du in der Sekunde nicht geschossen hättest, hätte ich es in der nächsten getan, also ja, ich hätte ganz sicher geschossen, der Typ kann noch froh sein, dass wir nicht beide geschossen haben. Wir haben ihm schließlich mehrmals angeboten sich gegen das Messer und für die Handschellen zu entscheiden. Mach dich also nicht verrückt, du hast ihn ja ziemlich präzise an der Schulter erwischt, er sollte sich also auch nicht beschweren können.“ Zu Dorians Erstaunen nickt Philippe nicht nur, sondern antwortet sogar mit Sprache auf seine Aussage. „Es wäre mir trotzdem lieber, wenn du zuerst geschossen hättest.“ Mit zusammengekniffenen Augen legt Dorian seinen Kopf zur Seite und versucht die ziemlich dreiste Aussage seines Lieutenants einzuordnen. Um Missverständnissen vorzubeugen, erhebt erneut Philippe das Wort. „Na ja, jetzt muss ich den ganzen Papierkram machen.“ Ein Lächeln umspielt seine Lippen. Erleichtert über seine Antwort und das Brechen der Stille boxt Dorian Philippe in die Seite, wischt sich ein letztes Mal die Tropfen von der Stirn und lässt sich wieder auf den Beifahrersitz fallen. Einmal aufhupend versucht er Philippe dazu zu bewegen es ihm gleich zu tun. Stöhnend zieht sich der die Maske zurück ins Gesicht, gibt dem Drängeln seines Partners nach und nimmt hinter dem Lenkrad Platz. In der Sekunde, in der Philippe den Fuß von der Kupplung nimmt und der Wagen aus der Parkbucht rollt, krakeelt das Funkgerät weiter mit einem kurzen, „Vier acht, vier neun.“ meldet sich Philippes Beifahrer der Leitstelle. Die Frau, die auf der anderen Seite der Leitung die Leitstelle vertritt, gibt eine neue Adresse durch und Philippe beschleunigt den Wagen zurück in den engen Verkehr. Erneut ein Krakeelen und die Frauenstimme erklingt. „Hey Jungs, habt ihr schon gesehen, was die Einsatzinfos sind?“ Dorian scrollt auf dem kleinen Display, das vor ihm am Armaturenbrett hängt, herum und schüttelt stumm den Kopf. „Nein. Wir haben noch keinen Bericht darüber erhalten“, meldet sich diesmal Philippe. „Dachte ich mir Lieutenant Lafin, der Grund ist, dass sich die Officer vor Ort nicht ganz sicher waren, wie sie vorzugehen haben, sie baten die Leitstelle um Unterstützung.“ Genervt verhärtet Philippe seine Stimme. „Das ist schön, ich habe aber keine Zeit zum Quatschen, um was geht es denn?“ Das ruppige Verhalten offensichtlich gewöhnt, redet die Frau unbeirrt und gleichbleibend freundlich weiter. „Das Problem ist, sie haben die Leiche einer Frau gefunden, die Kollegen der Mordkommission sind aber mit einem anderen Fall betraut worden. Ich hielt es für das Beste, wenn Sie es sich erstmal ansehen könnten, Lieutenant, vielleicht liegt auch nur ein Selbstmord vor.“ Dorian hätte eigentlich nicht gedacht, dass Philippes Laune noch schlechter werden könnte, aber ziemlich rapide tat sie es doch und ohne zu brüllen, aber doch in einem sehr, sehr bestimmten Ton antwortet Philippe dem Display zugewendet. „Bei allem Respekt für Ihre Arbeit, und ich weiß, dass auch Sie heute einen harten Tag haben werden, aber nur ein Selbstmord? Nur ein Selbstmord? Ich hoffe doch sehr, dass das nicht Ihr Ernst ist, so etwas gibt es meines Wissens nicht, eine Leiche ist eine Leiche. Ich sehe mir das gerne an, aber bitte ziehen Sie mein Mordteam sofort von dem ab, was auch immer sie gerade machen und sagen Sie ihnen, meinetwegen auch in meinem Namen, dass sie ihre Ärsche sofort dahinkarren sollen! Vier acht, vier neun. Ende.“ Mit einem Schlag auf das Display drückt er die in monotoner Freundlichkeit weitersprechende Frau weg und bevor er Dorian bittet das Blaulicht zu betätigen, macht er seiner Wut ein wenig Luft und drängelt sich demonstrativ in eine zu groß gewordene Lücke.

      Obwohl das Blaulicht wütende, rote und blaue Lichter gegen die engen Manhattaner Häuserwände wirft und die Sirene auf der Grenze zum Hörsturz balanciert, schiebt sich der Streifenwagen langsam voran. Block für Block kämpft er sich nach vorne und manchmal hat Philippe das Gefühl, als wolle der immer nervöser werdende Dorian jetzt doch anfangen auf Autos zu schießen, die sich nicht aus dem Weg bewegen. Aggressiv und den kleinen Block so haltend, dass es die Fahrer der Wagen sehen können, notiert er sich Kennzeichen für Kennzeichen und versucht immer wieder Philippe mit in seine genervte Stimmung zu ziehen, indem er Parolen wie „So, den habe ich!“, „Den melde ich!“ und „Hast du das gesehen, der hat sich nicht mal entschuldigt, seinen kack Dukjon-Flitzer im Weg stehen zu lassen, der ist außerdem tiefergelegt worden, pah, den melde ich!“ verlauten lässt. Zu Philippes Vergnügen geht es noch die ganze Fahrt so weiter, bis sie endlich in eine verkehrsberuhigte Straße einbiegen, die außer ein paar herumstreunenden Katzen und abgeknickten Straßenlaternen nichts von dem Trubel zeigt, der sonst in High York vorzufinden ist. Die Geschwindigkeit herunterregelnd rollt der Streifenwagen durch die mit Smog bedeckte Straße. Mit einer Hand dreht Philippe die Sirene aus und beobachtet, wie das Flackern des Blaulichts sich weiter durch den Smog frisst. „Hier irgendwo muss es sein, siehst du schon etwas, Philippe?“ „Nein. Du? Hier müssten doch irgendwo Streifenwagen stehen, oder?“ „Mmh, ja, denke schon, halt mal da vorne, ich glaube da ist was.“ „Ja stimmt, da stehen zwei Streifenwagen, ach und Dorian?“ „Ja?“ „Kann ich mal kurz den kleinen Block haben?“ Stolz reicht Dorian Philippe den Block und nickt zufrieden über sein Tagewerk. Philippe grinst ihm bestätigend und Lob vortäuschend entgegen und wirf den kleinen Block aus dem Fenster. Dorian sieht dem auf der Straße tanzenden Block hinterher und starrt Philippe mit aufgerissenem Mund entgegen. „Du wolltest die doch nicht wirklich alle melden, oder?“ Niedergeschlagen schüttelt Dorian seinen Kopf. „Nein, nein ich denke, das wollte ich nicht.“ Immer noch mit einem breiten Grinsen nickt nun Philippe zufrieden. „Dachte ich mir.“ Der Wagen hält und beide Männer steigen aus dem Auto.

      „Guten Nachmittag Lieutenant, schön, dass Sie kommen konnten.“ Eine kleine Frau, die Philippe gerade bis zur Brust geht, schüttelt seine Hand. Freundlich nickend erwidert er den Gruß der jungen Frau, schweigt