Kat v. Letters

Always Differently


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Tagen. Jetzt ist das anders. Ich bin mächtig gewachsen und stoße permanent irgendwo dagegen. Für körperliche Aktivitäten habe ich einfach keinen Platz mehr.

      Diesen Ottos da draußen gefällt das nicht. Die haben eben keinen Schimmer, was hier drin los ist. Na ja, wie auch. Trotzdem wollen die unbedingt, dass ich weitertrainiere. Wahrscheinlich brauchen die einen Gewinner bei Olympia. Sicher, das wäre eine Kleinigkeit für mich, aber da spiele ich nicht mit. Ist auch viel zu eng hier drin. Das Problem ist nur, zur Strafe soll ich jetzt ausziehen.

      Woher die wissen, was ich den ganzen Tag lang so mache? Das liegt doch klar auf der Hand. Ich werde bespitzelt. Hab ich selber herausgefunden.

      In den ersten Wochen war das nicht so, nur ganz selten. Aber je älter ich wurde, umso schärfer wurde das Ding mit der Überwachung. Die haben völlig ungeniert und dazu laut über mich geredet, die ganze Zeit. Und die denken echt noch immer, ich bekomme davon nichts mit.

      Fehlanzeige. Ich höre alles ganz genau. Vom ersten Tag an habe ich verfolgt, was sie machen und sagen. Hab mir jedes einzelne Wort notiert. Nicht auf Papier! Wie auch, in meinem Kopf natürlich.

      Zu Beginn dachte ich noch, alle da draußen wollen nur Spaß haben wie ich. Zum Beispiel die Mama. Ein paarmal habe ich gehört, wie sie mit ’nem Mann rumgemacht hat. Nein, es war nicht der Papa, sondern ein anderer war bei ihr. Zur Sicherheit hab ich mir mal seinen Namen gemerkt. Er heißt Doktor.

      Komischer Name, wenn ihr mich fragt. Scheint aber gängig zu sein, so wie Müller oder Meier. Zumindest höre ich Doktor in der letzten Zeit ziemlich oft.

      Sobald also die Mama mit dem Doktor zusammen war, hat sie sich immer sofort auf den Rücken gelegt. Er hat dann so ein glibberiges Zeug auf ihrem Bauch breitgeschmiert und ist mit einem Spielzeugschlitten darauf herumgerutscht. Davor sagte er jedes Mal, er mache nun einen Ultraschall.

      Na ja, warum nicht, habe ich mir gesagt. Die dort draußen wollen auch spielen und kennen eben noch was anderes außer Purzelbaum schlagen.

      Stutzig darüber wurde ich erst viel später. Da war ich schon etwas älter, etwa neun Monate. Ab da habe ich begonnen nachzudenken. Über dies und jenes und alles Mögliche. Vorher klappte das mit dem Denken noch nicht so gut, hatte auch keine Zeit dafür. Ich war von morgens bis abends mit Purzelbaum schlagen beschäftigt.

      Jedenfalls kam mir beim Nachdenken plötzlich ein Verdacht. Und ich sagte mir, Moment! Baby-Schatz, hier ist was faul. Irgendetwas stinkt an der Sache ganz gewaltig.

      In den letzten neun Monaten, an die Zeit davor kann ich mich gerade nicht mehr so genau erinnern, da habe ich ständig Stimmen von Kindern mit ihren Mamas und Papas gehört. Die hatten da draußen richtig viel Spaß zusammen und haben dabei gelacht. Immer!

      Aber nicht diese beiden, meine Mama und Doktor. Und das kam mir sehr verdächtig vor. Außerdem war von einem Ultraschall absolut nie etwas zu hören. Deshalb kam ich zu einem Schluss. Erschreckend, aber wahr: Ultraschall ist ein Deckname und das Glibberzeug Abhörmasse. So hat das Ganze begonnen.

      Seit Kurzem verfolge ich einen Plan. Jedes Mal, wenn sie ihre Abhörgeräte von außen an meiner Wohnung anbringen, das heißt, sie verwanzen den kompletten Bauch meiner Mama, verhalte ich mich vollkommen leise. Die Logik dahinter ist wohl klar, oder? Wenn die mich nicht hören, können sie mich auch nicht bespitzeln. Isso, geschnallt? Niemand lässt sich bewusst freiwillig überwachen.

      Doch allmählich habe ich die Befürchtung, mein Plan geht nach hinten los. Die Observierung läuft jetzt schon seit ein paar Tagen und bisher haben die von mir noch nicht einen Ton gehört. So weit, so gut. Das war schließlich das Ziel meiner Überlegung. Aber inzwischen weiß ich, das war dumm von mir. Hinterher ist man bekanntlich immer ein bisschen schlauer.

      Ich habe ihre Dreistigkeit unterschätzt. Ein schrecklicher Fehler. Ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass sie zu weiteren und radikalen Mitteln greifen würden. Sie haben mir gedroht. Ja, wirklich. Sie sagen, ich soll raus aus meiner Wohnung. Ich will aber nicht. Die sind tatsächlich mit allen Wassern gewaschen. Eine derartige Nummer finde ich ziemlich fies.

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      Ich habe kein Wahlrecht

      Es gibt Kinder, die können selbst bestimmen, wann sie zur Welt kommen. Habe ich von denen da draußen gehört. Sie haben sich laut darüber unterhalten. Und da ist es nur natürlich, dass ich das auch will. Die Frage erübrigt sich also.

      Und doch läuft bei mir mal wieder nichts reibungslos. Sie wollen es mir verbieten und mir offensichtlich das Recht auf Mitsprache verweigern. Warum? Das ist mir noch nicht ganz klar. Allerdings habe ich da eine Vermutung. Sie haben keine Hobbys und ihr einziges Vergnügen besteht aus reiner Schikane. Vielleicht ist auch die Schikane deren Hobby. So oder so. Jedes Mal, wenn ich auf die treffe, wollen sie mich bespitzeln oder aus meiner Wohnung rauswerfen. So etwas ist doch nicht normal.

      In letzter Zeit attackieren sie mich sogar mit Stinkbomben, aber dazu komme ich gleich.

      Ich nehme an, die treffen ihre Auswahl rein zufällig, nur dummerweise fiel sie dabei diesmal auf mich. Anders kann ich mir diesen Zirkus nicht erklären.

      »Das ist Mobbing. Nicht mit mir«, brülle ich und kann es kaum fassen. »Dafür habt ihr euch den Falschen ausgesucht. Verpisst euch oder ich nehme mir ’nen Anwalt. Dann verklage ich euch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.« Doch mein Mund ist voll mit Fruchtwasser und so blubbere ich nur.

      Ich glaube ganz fest daran. Denn ich bin der Meinung, auch ich habe Rechte. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, alles zu tun, damit sie mich nicht zwischen ihre Finger bekommen. Wie ich jedoch weiterhin feststellen muss, ist das nicht so einfach.

      Die Mama geht ziemlich oft in so ein Haus. Sie nennt es Geburtshaus und findet es da gemütlich. Das sagt sie zumindest andauernd. Sie trifft sich dort immer mit einer anderen Frau. Der Name von ihr ist Hebamme und manchmal heißt sie Hanni. Mama hat aber auch schon Hebamme-Hanni zu ihr gesagt. Keine Ahnung, wie die nun tatsächlich heißt. Jedenfalls finde ich sie sympathisch. Und das liegt nicht nur an ihrer Stimme, sondern sie steht auf meiner Seite – als Einzige!

      Bei meiner Mama war das nur in den vergangenen neun Monaten so gewesen. Sie hat gemacht, was sie wollte, und sich von niemandem reinreden lassen. Da war sie noch schwer in Ordnung. Jetzt ist das nicht mehr so. Sie hat sich verändert und macht nur noch das, was andere ihr sagen. Manchmal denke ich, sie ist ein Feigling.

      Die Hebamme, Hanni oder Hebamme-Hanni ist da ganz anders. Sie hat eine feste Meinung und bleibt auch dabei. Wenn es nach ihr ginge, dürfte ich sogar das Wahlrecht für mich beanspruchen. So wie es sich gehört. Sie will, dass ich meine Wohnung erst verlasse, wenn ich so weit bin. Zwar gibt sie meiner Mama ’ne Menge Ratschläge, wie sie mich eher herauslocken kann, doch ich denke, das ist lediglich eine Art Ablenkungsmanöver.

      Seither befolgt meine Mama die Tipps von der Hebamme, Hanni, Hebamme-Hanni oder wie auch immer die heißt. Logisch. Doch was sie dabei veranstaltet, ist alles andere als angenehm, bis auf das warme Badewasser. Ich liebe Wasser.

      Mama schluckt nun ständig so ein Zeug. Das sind voll die Stinkbomben. Wenn die in meine Wohnung knallen, müffelt und schmeckt einfach alles nur eklig.

      Mist. Wenn man vom Teufel spricht … Und zack, gerade rutscht der nächste stinkende Haufen von oben in meine Hütte.

      »Himmel, nein!«, gurgele ich und schlucke davon versehentlich eine ordentliche Ladung.

      Pfui Spinne. Mir wird schlecht. Schon wieder dieses abscheuliche Gesöff. Mein schönes fruchtiges Wasser schmeckt jetzt komplett nach diesem Zeug. Gleich muss ich würgen. Nichts wie raus aus der Bude, und zwar schnell. Das halte ich keine Sekunde länger aus. Was ich mir hier gefallen lassen muss, ist echt filmreif, und das bei den heutigen Mietpreisen.

      Nee, stopp mal, ich zahle ja gar keine Miete. Egal, solange die das nicht merken, ihr Pech. Ist eh zu spät, ich hau ab. Bloß weg hier. Und Tschüss.

      Ha, der Ausgang, da ist er ja. Da unten bei der Riesenrutsche. So, ab geht