Kat v. Letters

Always Differently


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um meinen Wunsch. Warum bin ich hier prinzipiell von lauter Ignoranten umgeben?

      Ungefragt packt diese Tante im weißen Kittel meine neue Freundin Plüschbirne am Schlafittchen und zieht einfach an dem Faden, der an ihrem Po hängt. Feingefühl hat die nicht gerade, denke ich mir. Das hat Birne bestimmt wehgetan, denn plötzlich jault sie ein Klagelied vor sich hin.

      Ich will sie verteidigen. Als ihr Freund fühle ich mich dazu verpflichtet, doch vor lauter Kabeln komme ich nicht vom Fleck. Birne ist die Einzige, die durch ihr Gejaule unser Schicksal öffentlich laut bekannt gibt.

      Papa heult immer noch. Und solidarisch wie ich bin, heule ich einfach mit. Unsere erste Gemeinsamkeit. Wir sind eindeutig Papa und Sohn. Beide schniefen wir um die Wette, grinsen uns aber letztendlich an. Na ja, ich nicht, nur Papa grinst. Ich muss meine Gesichtsmuskeln erst trainieren. Seit ich auf der Welt bin, hatte ich noch nicht viel zu lachen. Doch das wird sich nun ändern, denn mein Papa ist da und holt mich hier raus.

      »Wie soll das Baby eigentlich heißen?«, fragt diese Tante im weißen Kittel meinen Papa.

      »Meine Güte«, sage ich zu ihr. »Von welchem Planeten kommst du denn? Was ’n das überhaupt für ’ne Frage. Ich heiße Baby-Schatz. Vorname Baby, Nachname Schatz. Ist das soweit klar?« Dabei verdrehe ich gekonnt meine Augen.

      »Er wird Fritz heißen«, antwortet darauf Papa. »Ach nein, Franz, äh, ich meine Fratz. Ich bin ganz durcheinander«, sagt er und kichert.

      »Hä? Das nennst du durcheinander? Ich bin wohl im falschen Film. Drehst du jetzt durch? Das werde ich der Mama sagen, kannste aber glauben.«

      Meine Meinung scheint ihn nicht zu jucken.

      Seit Monaten sagen meine Eltern Baby-Schatz zu mir. Und plötzlich soll ich einen anderen Namen bekommen, von denen einer blöder ist als der andere.

      Ich rede mir ganz fest ein, dass mein Papa die Tante im weißen Kittel bloß veralbern will.

      Meine Hoffnung schwindet. Mein Papa ist tatsächlich völlig neben der Spur, denn er dreht sich um und verlässt wortlos den Raum. Ich will ihm hinterherrufen, bekomme aber keinen Ton heraus. Ich bin total sprachlos. Er wollte mich mitnehmen und jetzt hat er mich einfach vergessen. Na, wenn das die Mama mal spitzkriegt.

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      Bio von der Tanke gegen Prügel

      So langsam gewöhne ich mich an meine neue Umgebung. Nur das Purzelbaum schlagen im Wasser fehlt mir sehr. Sonst habe ich alles, was ich brauche. Ich werde mich also nicht beschweren.

      Es ist warm in meiner Zelle und wenn ich Durchfall habe, kann ich sogar problemlos weiteratmen. Meist kommt schon kurze Zeit darauf eine von den Tanten im weißen Kittel und putzt mir den Po. Das ist wirklich sehr praktisch.

      Ebenso der Futterservice. Der läuft hier reibungslos und ist große klasse. Die Fruchtwasser-Plörre ist ab jetzt Geschichte. Ich trinke nur noch hundertprozentige Bio-Milch. Alle vier Stunden wird frische Ware angeliefert. Weder pasteurisiert noch homogenisiert. Und vor allem ist sie ohne Zusätze. Das ist aber noch nicht alles. Das Ganze gibt es nämlich in der Vollfettvariante. Ich kann es mir leisten.

      Wie jeder echte Kerl trinke ich nur aus der Flasche. Ich kann kaum genug davon bekommen und verlange immer mehr. Das Zeug ist aber auch ’ne Wucht.

      Ich sehe, wie eine Tante im weißen Kittel den Raum betritt und bin sofort aufgeregt. Gleich gibt’s Nachschub. Die vier Stunden sind vorbei und es ist Zeit für meine nächste Ration.

      »Nee, das kann jetzt nicht dein Ernst sein.«

      Ich bin enttäuscht. Als sie näherkommt, sehe ich, ihre Hände sind leer.

      »Wo ist mein Futter!«, brülle ich sie energisch an.

      Das scheint sie selbst nicht zu wissen, denn mehr als ein Lächeln hat sie dazu nicht zu sagen. Dann öffnet sie den Deckel von Zelle 1B. Was hat sie vor? Schon fliegen ihre riesigen Pranken auf mich zu. Sie packt mich und holt mich nach draußen. Zum ersten Mal. Ich bin verblüfft, wie groß die Welt doch ist, so außerhalb meiner Zelle.

      Wie ein Geschenk wickelt sie mich in eine Decke und in unzählige Tücher. Aber schließlich ist fast Weihnachten. Und ich denke mir, wahrscheinlich waren das soeben meine letzten Sekunden in Zelle 1B. Schätze mal, ich werde verschenkt oder verkauft. Und obwohl ich vermute, hier in einen Menschenhändlerring geraten zu sein, bin ich dennoch froh, aus der 1B herauszukommen.

      Teddy und Birne bleiben allein zurück. Sie haben Abschiedstränen in den Augen.

      »Macht’s gut, meine treuen Freunde«, rufe ich. »Ich werde euch vermissen.«

      Die Tür fällt ins Schloss. Leider kann ich nicht mehr hören, was Teddy darauf antwortet. Und Birne, die singt sicherlich noch immer ihr Schlaflied. Das hat sie vorhin schon getan. Danke, liebe Freundin.

      Ich werde in einen anderen Raum gebracht. Der ist riesig groß. Hier sehe und höre ich weder blinkende noch piepsende Apparate. Auch die Wände sind nicht weiß und kahl, sondern bunt. Wo bin ich?

      Weiter hinten an der Wand steht ein Bett. Die Tante im weißen Kittel bringt mich dorthin. Darin liegt jemand. Eine Frau. Ich sehe sie an und weiß sofort, wer das ist. Meine Mama. Sie ist also diejenige, die mich als Geschenk zu Weihnachten bekommt.

      Ich bin gerührt. Zehn ganze Monate haben wir zusammen verbracht und sie ist mir nicht ein einziges Mal von der Seite gewichen. Dann kamen die Maskierten und haben uns gewaltsam voneinander getrennt. Ach, wie sehr ich sie doch vermisst habe, meine liebe Mama. Ab jetzt bleiben wir für immer vereint.

      Mama hat mich noch nie gesehen, das ist heute ihre Premiere. Hoffentlich findet sie mich nicht genauso hässlich wie Papa. Vorsichtshalber ziehe ich mir eins von den Tüchern vors Gesicht. Sie soll erst einmal nur meine Stimme hören. Sicher ist sicher. Damit sie mich aber auch wirklich wiedererkennt, trällere ich mal eben laut eines ihrer Lieder, die sie mir früher immer vorgesungen hat.

      »Schön ist es auf der Welt zu sein …«

      Prompt reißt sie mich in ihre Arme. Dabei verrate ich ihr, dass sie mich glücklich macht und wie sehr ich sie vermisst habe. Ich will ihr auch sagen, was in diesem Laden hier abgeht. Vor allem, dass die Neugeborenen gefoltert werden.

      Nur dazu komme ich leider nicht. Schuld daran ist die Tante im weißen Kittel. Entweder ist sie auf Mama und mich eifersüchtig oder sie will mich eiskalt zum Schweigen bringen und den ganzen Schlamassel vertuschen. Denn so wie ich zum Sprechen ansetze, stopft sie mir plötzlich den Mund mit einem Zapfhahn.

      »Davon lasse ich mich nicht beeindrucken«, würge ich undeutlich hervor.

      Zumindest im ersten Moment ist das mein Gedanke. Im zweiten werde ich dann doch schwach und vergesse all meine Vorsätze. Ich spüre den ersten Tropfen und schmecke fette, gehaltvolle Bio-Milch. Meine Milch! Erfreut stelle ich fest, Mama ist meine ganz persönliche Tankstelle. Was bin ich nur für ein Glückspilz.

      Es gibt etwas, woran ich mich wohl nie gewöhnen werde. Nach jeder Mahlzeit, wenn ich satt und zufrieden bin, brauche ich zunächst dringend ein kurzes Nickerchen. Aber das gönnt mir keiner von denen. Irgendeiner kommt nach dem Essen immer und verprügelt mich. Das eine Mal ist es eine von diesen Tanten im weißen Kittel, das andere Mal sogar Mama, manchmal auch Papa. Warum? Das weiß ich doch nicht. Sie können es einfach nicht lassen.

      Ich habe noch einmal gründlich darüber nachgedacht. Deren Verhalten widerspricht sich vollkommen. Wenn ich also meine Bio-Mahlzeit komplett leertrinke, lächeln sie und loben mich. Aber unmittelbar danach werden die grundlos sauer und es hagelt Schläge auf meinen Rücken. Erinnert mich bissel an Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

      Mir wird jedes Mal schlecht davon. Sie lassen mir nicht einmal so viel Zeit, bis ich mein Essen verdaut habe. Deshalb übergebe ich mich manchmal auf ihr frisches, weißes Tuch, während sie mich verprügeln.

      »Das ist nur eure Schuld«, schreie ich dann frustriert. »Schade um