Emile Erckmann

Madame Therese


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aber nicht hinderte, noch ein Bissen Schinken zu verschlingen, wie wenn er damit Zeit zum Nachdenken gewinnen wollte. Draußen schluchzte Lisbeth ganz laut.

      »Kommandant,« erwiderte der Onkel mit Festigkeit, »sie wissen vielleicht nicht, daß es zwei Rehthal gibt, eines Kaiserslautern zu, und das andere an der Queich, drei kleine Stunden von Landau. Vielleicht waren die Oesterreicher da unten; aber auf dieser Seite hatte man Mittwochabend noch keinen gesehen.«

      »Das,« sagte der Kommandant in schlechtem lothringischem Deutsch mit spaßhaftem Lächeln, »das ist nicht übel. Aber wir, zwischen Bitsch und Saargemünd, wir sind so schlau, wie ihr. Wenn du mir nicht beweist, daß es zwei Rehthal gibt, so sage ich dir offen, ist es meine Pflicht, dich arretieren und vor ein Kriegsgericht stellen zu lassen.«

      [20]

      »Kommandant,« erwiderte der Onkel, indem er den Arm ausstreckte, »der Beweis, daß es zwei Rehthal gibt, findet sich auf allen Karten des Landes.«

      Er zeigte unsere alte an der Wand hängende Karte.

      Da wendete sich der Republikaner in seinem Lehnstuhl um, schaute hin und sagte:

      »Ah, das ist eine Karte der Gegend, laß ein bisschen sehen.«

      Der Onkel nahm die Karte herab und indem er sie auf den Tisch ausbreitete, zeigte er die beiden Ortschaften.

      »Gut,« sagte der Kommandant, »jetzt ist’s recht; ich verlange nur Deutlichkeit.«

      Die beiden Ellenbogen auf den Tisch stützend und seinen dicken Kopf zwischen den Händen haltend, betrachtete er die Karte.

      »Sieh, Sieh, das ist herrlich,« sagte er. »Wo kommt die Karte her?«

      »Mein Vater hat sie gemacht; er war Geometer.«

      Der Republikaner lächelte.

      »Ja, die Wälder, die Flüsse, die Wege, Alles ist darauf bemerkt; ich finde mich ganz zurecht; da sind wir vorbei gekommen; das ist gut, das ist vortrefflich.«

      Und indem er sich aufrichtete, sagte er deutsch:

      »Du brauchst diese Karte nicht, Bürger Doktor; ich habe sie nöthig und ich nehme sie für den Dienst der Republik in Beschlag. Auf, auf. Stoß mit mir an und laß uns mit einem Schluck das Fest der Eintracht Feiern.«

      Es läßt sich denken, mit welchem Eifer Lisbeth in den Keller hinabstieg, um noch eine Flasche zu holen.

      Der Onkel Jakob hatte seine Sicherheit wieder gewonnen. Der Kommandant, der hierauf mich ansah, fragte ihn:

      [21]

      »Ist das dein Sohn?«

      »Nein, es ist mein Neffe.«

      »Ein kleiner, gutgebauter Bursche. Er hat mir gefallen, als ich ihn soeben dir zu Hilfe kommen sah. Wie, komm herbei,« sagte er und zog mich am Arm zu sich. Er fuhr mir mit der Hand durch die Haare und sagte mit einer etwas rauhen, aber gutmüthigen Stimme:

      »Erziehe diesen Jungen in der Liebe zu den Menschen rechten; statt Kühe zu hüten, kann er so gut als ein anderer Kommandant oder General werden. Jetzt sind alle Thore offen, alle Plätze zu gewinnen; es bedarf nur Muth und Glück, um voran zu kommen. Ich, wie du mich siehst, bin der Sohn eines Grobschmieds zu Saargemünd; ohne die Republik würde ich noch auf den Amboß klopfen; unser großer Laffe, der Graf, der bei den Weißkitteln dient, wäre ein Held von Gottes Gnaden, und ich ein Esel; jetzt ist’s gerade umgekehrt, durch die Gnade der Revolution.«

      Er leerte sein Glas und sagte mit zugekniffenen Augen:

      »Das ist ein kleiner Unterschied.«

      Neben dem Schinken lag einer der Kuchen, welche die Republikaner bei dem ersten Backschub vorgefunden hatten; der Kommandant schnitt ein Stück für mich ab.

      »Beiß’ herzhaft an,« sagte er in der besten Laune, und mach, daß du ein Mann wirst.«

      Dann wandte er sich gegen die Küche und rief mit seiner Donnerstimme:

      »Sergeant Laflèche!«

      Ein alter Sergeant mit grauem Schnurrbart, dürr wie ein Häring, erschien auf der Schwelle.

      »Wie viel Laibe gibt’s, Sergeant?«

      »Vierzig.«

      [22]

      »Wir müssen in einer Stunde fünfzig haben; mit unsern zehn Oefen fünfhundert; drei Pfund Brod auf den Mann.«

      Der Sergeant kehrte zur Küche zurück.

      Der Onkel und ich beobachteten alles, ohne uns zu rühren. Der Kommandant beugte sich auf’s neue über die Karte her, den Kopf zwischen den Händen. Der graue Tag begann draußen anzubrechen; man sah den Schatten der Schildwache, Gewehr im Arm, vor unsern Fenstern hin und her gehen. Es war eine gewisse Stille eingetreten; eine gute Zahl Republikaner lag und schlief ohne Zweifel, den Kopf auf dem Ranzen, um die großen Feuer her, welche sie angezündet hatten; andere ruhten in den umliegenden Häusern. Man hörte die Wanduhr gehen und das Feuer knisterte in der Küche.

      Dies dauerte schon einige Augenblicke, als sich ein großer Lärm in der Straße erhob; die Fenster flogen auf, eine Thüre öffnete sich mit Geräusch und unser Nachbar, Joseph Spick, der Schenkwirth, fing an zu schreien:

Ende

      »Zu Hilfe! Feuer!«

      Aber niemand rührte sich im Dorf. Ein jeder war zufrieden, daß es in seinem Hause ruhig war.

      Der Kommandant horchte auf.

      »Sergeant Laflèche,« rief er.

      Der Sergeant war auf Kundschaft fort, und kam erst einen Augenblick später.

      »Was geht vor?« fragte ihn der Kommandant.

      »Ein Aristokrat von einem Schenkwirth weigert sich, den Requisitionen der Bürgerin Therese Folge zu leisten,« antwortete der Sergeant mit ernsthafter Miene.

      »Gut! man führe ihn mir vor!«

      Der Sergeant trat ab.

      Zwei Minuten später füllte sich unser Gang mit Menschen. [23] Die Thüre ging auf und vier Soldaten der Republik brachten Joseph Spick herein mit seinem kurzen Kittel, seinen weiten Leinwandhosen und seiner wollenen Pudelmütze. So stand er auf der Schwelle zwischen ihnen; sie dagegen, Gewehr im Arm, mit ihren lebkuchenbraunen Gesichtern, mit ihren abgeschabten Hüten, Löchern in den Ellbogen, großen Flickplätzen auf den Knieen, die Schuhe zerfetzt und mit Bindfaden zusammengeflickt, stolz und aufrecht wie die Könige.

      Joseph, die Hände in den Taschen, mit gekrümmtem Rücken, die Stirne geduckt und mit schlotternden Wangen, konnte sich kaum mehr auf seinen langen Beinen halten; er blickte bestürzt zur Erde.

      Hinten, im Schatten, zeigte sich der Kopf einer blassen und schlanken Frau, die alsbald meine Aufmerksamkeit auf sich zog; sie hatte eine hohe Stirne, gerade Nase, längliches Kinn und blauschwarze Haare. Diese glänzenden Haare waren an die Wangen angelegt und hinter den Ohren heraufgenommen, so daß ihr Gesicht, das wir ganz von vorne sahen, sehr lang erschien. Ihre Augen waren groß und schwarz. sie trug einen Filzhut mit dreifarbiger Kokarde und über den Hut her ein rothes Taschentuch, das unter dem Kinn gebunden war. Da ich bis jetzt in unserer Gegend nur blonde oder braune Frauen gesehen hatte, so gewann mir diese, so jung ich war, doch eine besondere Bewunderung ab. Ich betrachtete sie verblüfft; auch der Onkel schien mir nicht weniger verwundert, und da sie begleitet von fünf oder sechs Republikanern in gleicher Tracht, wie jene ersten, hereintrat, ließen wir sie, so lange sie da war, nicht aus den Augen.

      Als sie im Zimmer war, sahen wir, daß sie einen großen Mantel von blauem Tuch anhatte mit dreifachem bis über die Elbogen fallendem Kragen. sie trug ein kleines Fäßchen, dessen Tragband ihr über die Schulter ging, und um den [24] Hals hatte sie ein breites Band von schwarzer Seide mit langen Fransen, wahrscheinlich eine Kriegsbeute, welches die Schönheit ihres ruhigen und stolzen Kopfes noch hervorhob.

      Der