Einer der Offiziere trat herein, der andere ging zum Schuppen und sagte einige Worte zu Horatius Cocles. Ich betrachtete den Neueingetretenen. Der Kommandant hatte eine Flasche Branntwein kommen lassen, sie tranken mit einander, als eine mir neue Art von Lärm sich von draußen her hören ließ; es war der Appell. Ich lief fort, um zu sehen, was es gebe. Horatius Cocles vor fünf Trommlern, der kleine auf der linken Seite, gab mit dem Stock in der Luft das Zeichen zum Wirbel. Er dauerte, so lang der Stock erhoben war. Die Republikaner kamen aus allen Gäßchen des Dorfs herbei; sie stellten sich vor dem Brunnen in zwei Linien auf, und die Sergeanten begannen das Ablesen. Der Onkel und ich waren erstaunt über die Ordnung, welche bei den Leuten regierte; sie antworteten auf den Aufruf so geschwind, daß es wie ein vielseitiges Gemurmel erklang. Sie hatten ihre Gewehre an sich genommen und hielten sie nach Gefallen auf der Schulter oder Gewehr bei Fuß.
Nach dem Verlesen trat eine große Stille ein, und einige Mannschaft aus jeder Kompagnie ging unter der Führung von Korporälen ab, um das Brod zu fassen. Dann spannte die Bürgerin Therese ihr Maulthier an das Wägelchen. Nach einigen Augenblicken kamen die Rotten wieder und brachten das Brod in Säcken und Körben. Die Austheilung begann.
Da die Republikaner schon bei ihrer Ankunft abgekocht hatten, so schnallte jetzt einer dem anderen seinen Brodlaib auf den Ranzen.
»Auf,« schrie der Kommandant mit freudigem Ton »fort!«
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Er nahm seinen Mantel, warf ihn über die Schulter und ging, ohne uns weder guten Tag noch guten Abend zu sagen. Wir glaubten dieser Leute für immer ledig zu sein.
Eben da der Kommandant hinaus ging, kam der Bürgermeister, um den Onkel Jakob geschwind zu seiner Frau zu bitten, die der Anblick der Republikaner krank gemacht habe.
Sie gingen sogleich mit einander fort. Lisbeth stellte schon die Stühle in Ordnung und kehrte das Zimmer aus. Man hörte draußen die Offiziere kommandieren: »Vorwärts, Marsch!« Die Trommeln schlugen an; die Markedenterin rief: »Hüh!« und das Bataillon marschierte ab, als plötzlich ein schauerliches Krachen vom Ende des Dorfs her ertönte. Es waren Flintenschüsse, deren oft mehrere zugleich, manchmal einer um den anderen fielen.
Die Republikaner besetzten die Straße.
»Halt!« rief der Kommandant, der in den Steigbügeln stehend, sich umsah und horchte.
Ich hatte mich an das Fenster gestellt und sah die Leute alle in gespannter Aufmerksamkeit, die Offiziere außer dem Glied um ihren Anführer gruppiert, der mit Lebhaftigkeit sprach.
Plötzlich erschien ein Soldat an der Wendung der Straße, sein Gewehr auf der Schulter.
»Kommandant,« rief er von weitem ganz athemlos: »die Kroaten! der Vorposten ist aufgehoben . . . sie kommen! . . . «
Kaum hatte der Kommandant dies gehört, als er sich umwandte, gestreckten Galoppes an der Linie hinritt und rief:
»Bildet das Carré!«
Die Offiziere, die Tambours, die Markedenterin zogen sich zugleich um den Brunnen her zurück, während die Kompagnien sich wie ein Kartenspiel mischten; in weniger als einer Minute bildeten sie ein Carré von drei Gliedern, die Ersteren [31] in der Mitte, und fast zugleich entstand in der Straße ein entsetzlicher Lärm. Die Kroaten sprengten an, daß die Erde zitterte. Ich sehe sie noch um die Straßenecke herumkommen ihre großen rothen Mäntel hinter ihnen herflatternd, wie die Falten von fünfzig Fahnen, und so niedergebogen auf ihre Sättel mit vorgehaltener Lanze, daß man kaum ihre knochigen braunen Gesichter mit ihren langen dunkeln Schnurrbärten sah.
Die Kinder müssen vom Teufel besessen sein, denn anstatt mich davon zu machen, blieb ich, wo ich war, mit aufgerissenen Augen stehen, um das Treffen zu sehen. Ich hatte zwar wohl Angst, aber die Neugierde überwog.
Während ich schaute und zitterte, waren die Rothmäntel auf dem Platz. Ich hörte in der nämlichen Sekunde den Kommandanten rufen: »Feuer!« Dann ein Donnerschlag, dann nichts als ein Gesumm in meinen Ohren. Die ganze Seite des Carré’s gegen die Straße zu hatte zugleich Feuer gegeben; die Scheiben unserer Fenster fielen klirrend zusammen; der Rauch drang mit Stücken der Patronen in das Zimmer, und Pulvergeruch erfüllte die Luft.
Ich, mit sträubenden Haaren, schaute immer zu und sah die Kroaten auf ihren großen Pferden hoch vor uns in dem grauen Rauch ansprengen, abprallen und wieder ansprengen, wie wenn sie das Carré erklettern wollten, ich sah, wie die hinteren vorrückten, und immer wieder vorrückten, indem sie mit wilder stimme heulten: »Vorwärts, Vorwärts!«
»Zweites Glied, Feuer!« schrie der Kommandant durch das Gewieher und Geschrei ohne Ende.
Es war, wie wenn er in unserem Zimmer spräche, so ruhig war seine Stimme.
Ein neuer Donnerschlag folgte, und als da der Kalkbewurf von den Häusern fiel, die Ziegel von den Dächern rollten, und Himmel und Erde sich zu mischen schienen, stieß Lisbeth [32] hinten in der Küche so durchdringende schreie aus, daß man sie, selbst durch den Tumult, wie den Pfiff einer Pfeife hörte.
Nach den Pelotonfeuern begannen die Rottenfeuer. Man sah nichts mehr als die Gewehre des zweiten Glieds sich senken, Feuer geben, sich wieder erheben, während das erste Glied, knieend, die Bajonette kreuzte und das dritte die Gewehre lud und sie dem zweiten übergab.
Die Kroaten wirbelten um das Carré herum, und führten aus der Ferne Stöße mit ihren Lanzen; von Zeit zu Zeit fiel ein Hut, manchmal ein Mann. Einer der Kroaten prallte, indem er sein Pferd herumwarf, so weit vor, daß er über die drei Glieder setzte und in das Carré fiel; da warf sich der republikanische Kommandant auf ihn und nagelte ihn so zu sagen mit einem wüthenden Stich auf das Kreuz seines Pferdes; ich sah den Republikaner seinen bis zum Heft gerötheten Säbel zurückziehen. Dieser Anblick machte mich schaudern; ich floh, allein ich war kaum fort, als die Kroaten Kehrt machten und abzogen, nicht ohne eine große Zahl Menschen und Pferde auf dem Platz zu lassen.
Die Pferde versuchten sich zu erheben und brachen wieder zusammen. Fünf oder sechs Reiter, die unter ihren Thieren steckten, machten Versuche, ihre Beine zu befreien; andere schleppten sich ganz blutend auf allen Vieren daher, erhoben die Hand und schrieen mit erbärmlicher Stimme: »Pardon, Franzos!« in der Angst, daß sie massakriert würden; einige, die ihre Leiden nicht mehr aushielten, baten um den Gnadenstoß. Die meisten blieben bewegungslos.
Zum erstenmal begriff ich, was der Tod ist; diese Menschen, die ich zwei Minuten vorher voll Leben und Kraft, in wüthendem Angriff auf ihre Feinde, wie springende Wölfe gesehen hatte, da lagen sie jetzt durcheinander, gefühllos wie die Steine am Weg.
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Auch in den Reihen der Republikaner hatte es Lücken gegeben: auf dem Gesicht ausgestreckte Todte und einige Verwundete, Wangen und Stirne voll Blut; sie verbanden sich den Kopf, Gewehr bei Fuß, ohne ihre Reihe zu verlassen; ihre Kameraden halfen ihnen das Taschentuch umbinden und den Hut darüber stülpen.
Der Kommandant zu Pferd beim Brunnen, seinen großen Federhut auf dem Kopf und den Säbel in der Faust, ließ die Reihen zusammenrücken; neben ihm waren die Trommler in Linie aufgestellt, und etwas entfernter, ganz nahe dem Trog, die Marketenderin mit ihrem Wägelchen. Man hörte die Kroaten zum Rückzug blasen. An der Wendung der Straße hatten sie Halt gemacht; eine ihrer Schildwachen wartete dort hinter dem Winkel des Rathhauses; man sah nur den Kopf des Pferdes. Einige Flintenschüsse fielen noch.
»Stellt das Feuern ein!« rief der Kommandant. Und alles schwieg; man hörte nur noch fernher die Trompete.
Hierauf machte die Marketenderin den Gang durch die Reihen, um der Mannschaft Branntwein einzuschenken, während sieben oder acht große Burschen am Brunnen mit ihren Soldatenschüsseln Wasser holten für die Verwundeten, die alle mit kläglicher Stimme zu trinken verlangten.
Ich hatte mich weit zum Fenster hinausgelegt, um die verlassene Straße ganz hinunter zu sehen, und fragte mich, ob die Rothmäntel es wohl wagen würden, zurück zu kommen. Der Kommandant schaute auch nach dieser Richtung aus und sprach, gestützt auf den Sattel seines Pferdes, mit einem Hauptmann. Plötzlich schritt der Hauptmann durch das Carré, schob die Reihen zur Seite und trat