soeben mit einer Kopfbewegung ihren Hut empor gerichtet hatte.
»Nun, Therese,« sagte er, »was hat sich zugetragen?«
»Sie wissen, Kommandant, daß mir auf dem letzten Marsch der Branntwein bis zum letzten Tropfen ausgegangen,« sagte sie mit fester und klarer Stimme; »meine erste Sorge, als wir hier ankamen, war daher, das ganze Dorf auszukaufen, um, wohlverstanden gegen Bezahlung, ein Getränk aufzutreiben. Aber die Leute verbargen alles, und erst vor einer halben Stunde hab ich den Tannenzweig vor der Thüre dieses Mannes entdeckt. Der Korporal Merlot, der Füsilier Cincinnatus und der Tambourmajor Horatius Cocles gingen mit mir, um mir Beistand zu leisten. Wir traten ein und verlangten Wein oder Branntwein, was es gebe; aber der »Kaiserlick« hatte nichts; er that als verstünde er nichts und spielte den Tauben. Man schickte sich daher an, selbst nach zusehen und in allen Winkeln umzublicken, und endlich finden wir den Eingang zum Keller, hinter einem Scheiterhaufen im Hof. Es war ein Haufen Reisigbüschel vor die Thüre gebeugt.
»Wir hätten uns darüber erzürnen können; allein wir stiegen friedlich hinab und fanden Wein, Speck, Sauerkraut und Branntwein; wir füllten unsere Fäßchen, nahmen einigen Speck und stiegen ohne Händel wieder herauf. Aber als uns der Mann, der sich ruhig in seinem Zimmer aufhielt, so beladen zurückkommen sah, fing er an, wie toll zu schreien, und [25] anstatt unsere Assignaten anzunehmen, zerriß er sie, faßte mich am Arm und schüttelte mich aus Leibeskräften. Cincinnatus setzte hierauf seine Bürde auf den Tisch ab, nahm den großen Schlingel am Wams und warf ihn gegen das Fenster seiner Baracke. Da kam dann der Sergeant Laflèche dazu. Das ist alles, Kommandant.«
Nachdem die Frau so gesprochen hatte, zog sie sich hinter die anderen zurück, und es trat nun ein langer, dürrer und grober Mensch hervor, den Hut schief auf dem Ohr, einen langen Stock mit Messingknopf unter dem Arme, und sagte:
»Kommandant, was die Bürgerin Therese soeben vortrug, war die Entrüstung über die Treulosigkeit, die jeder Republikaner empfinden muß, wenn er auf einen Kaiserlichen stößt, in dessen Herz kein bürgerliches Gefühl wohnt und der sich so weit vermißt . . . «
»Schon gut,« unterbrach ihn der Kommandant; »das Wort der Bürgerin Therese genügt mir.«
Und indem er sich an Joseph Spick wandte, sagte er ihm auf deutsch und mit gerunzelten Augbrauen:
»Sage mir, du, willst du füsiliert sein? Das kostete nur die Mühe, dich in deinen Garten zu führen. Weißt du nicht, daß das Papier der Republik mehr werth ist, als das Geld der Tyrannen. Paß auf! für diesmal will ich dich begnadigen, in Anbetracht deiner Unwissenheit; aber wenn du dir noch einmal einfallen läßt, deine Lebensmittel zu verbergen und die Assignaten in Zahlung zurückzuweisen, so lasse ich dich auf dem Markt des Dorfs erschießen, andern zum Exempel. Pack dich fort, Schwachkopf!«
Diese kleine Anrede hielt er mit großem Ernst; dann wandte er sich an die Markedenterin:
»Es ist gut, Therese, du kannst deine Fäßchen aufladen; [26] der Mann wird feinen Widerstand leisten. Und ihr Andern, laßt ihn gehen.«
Alle gingen hinaus; Therese voraus, Joseph zuletzt. Der arme Teufel hätte keinen Tropfen Blut mehr gegeben; er war noch gut weggekommen.
Einstweilen war der Tag angebrochen.
Der Kommandant erhob sich, legte die Karte zusammen und steckte sie ein. Dann ging er zu einem der Fenster vor und schickte sich an, das Dorf zu betrachten. Der Onkel und ich sahen zum andern Fenster hinaus. Es mochte damals fünf Uhr Morgens sein.
III.
Ich werde mich Zeitlebens der stillen, von schlafenden Leuten versperrten Straße erinnern, die einen ausgestreckt, die andern zusammengekauert, den Kopf auf dem Tornister. Ich sehe sie noch mit ihren kothigen Füßen, ihren durchgetretenen Sohlen und verflickten Kleidern, die Jungen mit gebräunten Gesichtern, die Alten mit runzligen Wangen und alle mit geschlossenen Augenlidern; dazu die großen Hüte, die abgeblaßten Epauletten und Pompons, die wollenen Decken mit rother, ausgefranzter Einfassung, voll Löcher, die grauen Mäntel und das im Koth zerstreute Stroh. Und diese tiefe Stille des Schlafs nach dem angestrengten Marsch, diese todtenähnliche Ruhe; und den jungen Tag, wie er das alles mit seinem unbestimmten Lichte halb verhüllt; die bleiche, aus dichtem Nebel aufsteigende Sonne, die Häuschen mit ihren breiten Strohdächern, aus kleinen schwarzen Fenstern blickend, und zu beiden Seiten des Dorfs, auf dem Altenberg und dem Rehbuckel, oberhalb der Baumstücke und der Hanfäcker, die Bajonette der Schildwachen, die im letzten Sternenschein [27] erglänzten; nein, nie werde ich dieses ungewohnte Schauspiel vergessen. Ich war damals noch sehr jung, aber solche Erinnerungen bleiben.
Mit dem wachsenden Tag belebte sich nun auch das Gemälde. Ein Kopf erhob sich, stützte sich auf den Ellbogen, schaute um sich, gähnte und legte sich nochmals nieder. Anderwärts richtete sich ein alter Soldat plötzlich auf, schüttelte das Stroh von seinen Kleidern, bedeckte sich mit seinem Filz und faltete seinen Lappen von Decke zusammen; wieder ein anderer rollte seinen Mantel auf und schnallte ihn auf seinen Ranzen; ein dritter zog einen Pfeifenstummel aus der Tasche und schlug Feuer. Die sich zuerst erhoben hatten, traten zusammen und schwatzten; andere schlossen sich ihnen an und träppelten mit den Füßen, denn in der Frühe war es noch tüchtig kalt. Die auf der Straße und dem Dorfplatz angezündeten Feuer waren erloschen.
Uns gegenüber auf dem kleinen Platz war der Brunnen; eine Anzahl Republikaner wusch sich dort, um zwei große moosige Tröge gruppiert, lachend und scherzend trotz der Kälte; andere streckten ihre Lippen nach dem Rohre aus.
Bald öffneten sich nun die Häuser, eines um das andere, und man sah Soldaten heraustreten, indem sie sich mit ihren großen Hüten und ihren Tornistern unter den kleinen Thüren bückten. sie hatten fast alle die Pfeife angezündet.
Rechts von unserer scheuer, vor Spick’s Herberge, hielt der kleine Karren der Markedenterin, mit einer großen Blähe bedeckt; er war zweiräderig, einem Schiebkarren ähnlich, und ruhte auf seinen Lannen.
Hinten zog das Maulthier, das mit einer alten wollenen roth und blau gewürfelten Schabracke bedeckt war, aus unserem Schuppen eine lange Locke Heu, und kaute daran ernsthaft, mit gefühlvollem Ausdruck und mit halb geschlossenen Augen.
[28]
Die Markedenterin, am Fenster gegenüber, flickte eine kleine Hose und neigte sich von Zeit zu Zeit, um einen Blick unter den Schuppen zu werfen.
Dort saßen der Tambourmajor Horatius Cocles, Cincinnatus und Merlot, ein großer, jovialer, ausgetrockneter Bursche, rittlings auf Heubündeln einer hinter dem anderen, kämmten sich die Zöpfe und glätteten sie, indem sie sich in die Hand spuckten. Horatius Cocles, an der Spitze der Bande, trillerte eine Arie und seine Kameraden wiederholten den Schlußvers mit halber Stimme.
Ihnen Zunächst, an zwei alte Fässer gelehnt, schlief ein kleiner Tambour von etwa zwölf Jahren, ganz blond wie ich, der mich besonders interessierte. Er war’s, den die Markedenterin überwachte und dessen Hosen sie ohne Zweifel flickte. Er streckte sein rothes Näschen in die Luft, hatte den Mund halb offen, und wie sein Rücken gegen die Fässer, so ruhte sein einer Arm auf der Trommel; seine Schlegel waren aus dem Bandelier herausgefallen, und auf seinen mit Strohhalmen bedeckten Füßen lag ein ganz kothiger Pudel, der ihn erwärmte. Jeden Augenblick erhob das Thier den Kopf und betrachtete ihn, wie wenn es sagen wollte: »Jetzt möchte ich gern einen Gang durch die Küchen des Dorfs machen.« Aber der Kleine regte sich nicht. Er schlief so gut! Und da in der Ferne einige Hunde bellten, so, gähnte der Pudel; er hätte gerne Gesellschaft geleistet.
Bald darauf traten zwei Offiziere aus dem Nachbarhaus; zwei aufgeschossene junge Männer, in knappe Röcke gekleidet. Als sie am Haus vorüberkamen, rief ihnen der Kommandant:
»Duchêne, Richter!«
»Guten Morgen, Kommandant,« sagten sie, sich umkehrend.
»sind die Posten abgelöst?«
»Ja, Kommandant!«
[29]
»Nichts Neues?«
»Nichts, Kommandant!«
»In