Juryk Barelhaven

Fürstin des Nordens - Trilogy


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mich um alles“, sagte er und wandte sich um. Nach ein paar Schritten blieb er stehen. „Moment, was...?“

      3

      Tiefer Wald.

      Niemand wusste so recht, wie groß die Wälder von Norfesta waren und was sich alles in ihnen verbarg. Meilen über Meilen konnte hier nichts gefunden werden, was nicht gefunden werden wollte. Die Bäume wuchsen unbeeindruckt in die Höhe und wiegten sich im kalten Wind des Nordens, während ein dichter Teppich aus Gestrüpp und Ranken manchen Weg einfach enden ließ. Leben und Tod waren hier anzutreffen. Auf vielerlei Arten.

      Es war später Mittag, als endlich Claudile die Stelle fand. Die Wölfe neben ihr hechelten laut und bewegten sich langsam um sie herum. Geduckt und vorsichtig. Sie jaulten leise.

      Böser Ort, vermittelte der Leitwolf. Dunkel, grau. Mit Metall. Nicht gut.

      Claudile nickte verstehend. Langsam verwandelte sie sich wieder zurück in einen Menschen.

      Die Spur führte zu einem tiefen Loch in der Erde, das meterweit in die Dunkelheit reichte. Doch da war noch mehr. Die Angst hatte hier überhandgenommen und vermischte sich mit Schmerz. Tiefen, langanhaltenden Schmerz. Ein stechender Geruch, der auch die Wölfe nervös machte.

      Ein sterbender Gott unter Wölfen war hierhergekommen, um…

      Vorsichtig nahm sie einen Stock vom Boden und schlug damit gegen die Wand. Sie witterte Metall, nein es war eine ganz besondere Ader von…

      Silber!

      Fauchend wandte sie sich ab.

      Der Leitwolf jaulte leise.

       Ströme von Blut. Er will leiden. Warum? Werwolf verrückt.

      Die anderen stimmten zu. Es war ihnen ein Rätsel.

      „Ich versteh das nicht“, sagte Claudile leise und trat näher an die Höhle heran. Der Gang führte weiter und immer weiter durch eine Art Stollen. Mit ihrer Hand schob sie den Dreck beiseite und fuhr zurück, als sie das Silber berührte. Die Wunde am Zeigefinger stach vehement und schien infiziert von innen heraus zu brodeln. Gottverdammtes Silber!

      „Warum tut er das?“, sagte sie unter Schmerzen und fauchte leise.

      Die Wölfe duckten sich weg und stoben auseinander. Die Jagd war vorbei.

      Sie ließ sie gewähren und blickte mit unheilvollen Gedanken zum Loch. Kein Werwolf suchte freiwillig eine Silbermine auf – außer, er wollte…

      „Oh, verdammt“, hauchte sie leise und trat den Rückzug an.

      Jeder hatte einen Ansatzpunkt. Oft war es Habgier, eine altbewährte Sache. Oder auch Stolz. Francesco hatte viel als Soldat gesehen und erlebt, aber noch mehr gelernt als er in die Dienste eines Werwolfs trat: als dienender Mensch beobachtete er die Bürger von Norfesta und verstand sehr schnell, was sie am meisten begehrten: sie wollten ihre Würde behalten. Mochten Dutzende von Monstern auch über sie herrschen – die Würde durfte man ihnen nicht nehmen, sonst verloren sie allen Mut.

      Die Glückliche Bettina wollte sich frei entfalten und unbedingt ihre Kinder schützen, man sah es in ihren Augen. Wenn man den richtigen Ansatzpunkt gefunden hatte, war alles ein Kinderspiel.

      „Meinst du, wir bräuchten mehr davon?“ fragte Francesco unschuldig und deutete auf einen Sack Mehl. „Du musst es nur sagen. Ich kenne mich damit nicht aus.“ Er breitete hilflos die Arme aus.

      Die mehrfache Mutter hatte die Ärmel hochgekrempelt und bearbeitete den Teig mit beiden Händen. Kurz warf sie ihm einen Blick zu, der folgendes zum Ausdruck brachte: Natürlich weißt du das nicht. Darum bin ich eine Frau. Eine Frau weiß alles. „Wäre nicht schlecht“, meinte sie nur und lächelte auf ihre besondere Art.

      Die Küche war ein Tummelplatz voller Leiber, die emsig ohne zu Fragen an die Arbeit gegangen waren. Vier Kinder hatten Wasser aus einem Brunnen geholt und warfen dreckige Kleider in einen Trog, indem sie gleich auch reinsprangen und wie wild mit den Füßen traten, als würden sie Wein treten wollen. Francesco war sich sicher, dass Wäsche so nicht gewaschen werden sollte, schwieg aber lieber. Es war nicht seine Sache.

      Ein Mädchen schnippelte Kartoffeln, während ein anderes Mädchen Zwiebeln schälte. Zwei Jungen putzten die Fenster mit ihren eigenen Klamotten und spuckten hingebungsvoll in ihre Handflächen. Ein Junge befeuerte den großen Kamin, während ein anderes einen großen Kessel an dem Haken hängte. Es waren sechszehn kleine Kinder und sie alle reagierten ohne zu murren. Die Glückliche Bettina hatte alles im Griff und schaute kaum auf, als Francesco beschloss zu gehen. Er hatte ihr Geld dagelassen – von jetzt an würde es laufen.

      „Wir brauchen Holz.“

      „Kriegst du.“

      „Ich war so frei und habe meinen Schwestern gesagt, dass sie auch kommen sollen. Die Burg ist ziemlich groß und so. Das stört dich doch nicht, oder?“

      „Wie viele Schwestern hast du?“

      „Drei.“

      „Oh, einverstanden.“ Ja, das konnte nicht schaden, wenn…

      „Auch sie haben Kinder.“ Oh, Mist.

      „Ich habe Vertrauen, Frau Bettina“, sagte Francesco und straffte die Gestalt.

      In dem Empfangsaal hatte sich eine Menge eingefunden. Er wusste bereits: Die Bürger von Blaqrhiken besaßen ein hervorragendes Informationsnetz. Jedermann hasste die Werwölfe und der alte Baron schuldetet ihnen allen Geld, aber wenn der Magen knurrte, wollte man etwas dagegen tun.

      Francesco nahm sich einen Stuhl, stellte sich darauf und formte mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. „Meine Damen und Herren“, rief er laut. „Wir brauchen einen Gärtner, einen Förster und Leute, die etwas vom Putzen verstehen. Wer Arbeit sucht, soll sich links von mir aufreihen.“ Ihm kam ein bedrückender Gedanke. „Ähm, … wem das Fürstentum Geld schuldet, kommt am besten zu mir!“

      Er war nicht überrascht, als sich sogleich alle auf den Weg zu ihm machten. Damit hatte er gerechnet. Langsam stieg er von dem Stuhl herunter und machte sich an dem großen Tisch an die Arbeit.

      „Das Forstamt bekommt noch die Löhne von drei Monaten!“

      „Ihr schuldet der Bäckerei noch vierhundert Münzen!“

      „Das Sägewerk kann seine Arbeiter nicht bezahlen!“

      So ging es drunter und drüber. Francesco bedeutete zu warten, holte Schreibmaterial und einen Sack Münzen, trat wieder vor den Schuldnern und griff zu einem Federkiel.

      „Kann losgehen“, sagte er gedämpft und begann.

      Schweratmend kam Claudile an der Burg an. Sie witterte Veränderung in der Luft, konnte aber nicht sagen, woher und vor allem was sich veränderte. Der Wald war alt, aber etwas war dort gewesen, erinnerte sie sich. Eine Präsenz, die sich nicht klar definieren ließ. Etwas war im Gange und schien sie zu beobachten. Sie drehte sich um die eigen Achse und schnupperte probeweise. Nichts. Und doch war da etwas.

      Ein Frösteln durchlief ihren Körper. Das war neu.

      Sie kam nicht weiter. Der Baron war in dem Loch gewesen, aber die Spur verlor sich. Und sie musste schnell handeln, bevor sich die Spur verflüchtigte.

      Sie brauchte Hilfe.

      Wer wäre besser geeignet als die Stadtwache?

      Sie nickte sich selbst zu ihrem Entschluss zu, betrat ihre Burg auf dem gleichen Weg wie sie gegangen war und zog sich eiligst um. Kurz zuvor betrachtete sie das auffällige Rüschenkleid und die Hose von Francesco. Das Kleid war unnatürlich. Es engte sie ein und ließ sie aussehen, als wäre sie eine Menschenfrau mit einem viel zu breiten Becken. Zum Teufel, damit!

      Ohne den Tumult im Saal beachtend kletterte sie auf die Mauer und sprang geduckt in den