Isabella Stern

Du willst mich doch auch


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der Dirigent der Philharmoniker, hielt sich bereits vierzehn Jahre an der Spitze des Orchesters, weil er sich darauf verstand, sein Abo-Publikum mit seichtem Zeug einzuschleimen. Nicht umsonst nannten die Musiker ihren Chef hinter seinem Rücken Schmeicheldorff.

      Während Frederic eilig das Hemd überwarf, sah er seinen durchtrainierten Körper im harten Licht des Deckenfluters. Andere Männer Ende dreißig hatten schon kleine Bierbäuche, dicke Ärsche oder bekamen Frauenbrüste. Er nicht. Er war verdammt gut in Form, vor allem für einen Musiker.

      Schade, dass seine Ehe mit Angelika sexuell so wenig erfüllt war. Sie war eben eine Zahnärztin, auch im Bett. Ihr Sex war immer sauber, geradezu klinisch. Frederic hätte gern mehr Improvisation, mehr Experimente und mehr Schmutz gehabt.

      Nur vereinzelt, so selten wie Ostern und Weihnachten, bekam Angelika eine kleine dreckige Lustattacke. Dann entdeckte die höhere Tochter in sich die Sau, das Luder, die Bitch. Und dann … yeah!

      Aber diese seltenen feinen Höhepunkte ihres Ehelebens reichten Frederic rein quantitativ nicht zur Befriedigung seiner männlichen Grundbedürfnisse.

      Er leckte sich die trockenen Lippen und schlüpfte in die Boxershorts. Dabei registrierte Frederic, dass schon das bloße Sinnieren über Fragen unausgelebter Sexualität bei ihm zu einer erkennbaren Erregung geführt hatte. Er war eindeutig untervögelt.

      Verspielt richtete Frederic die Latte in der Unterhose nach schräg oben, so dass im Spiegel eine beeindruckende Wölbung erkennbar wurde.

      »Na, du geiler Hengst«, kommentierte er seinen Anblick und grinste sich selbst an. Es war ja sonst niemand da, dem er imponieren konnte.

      Melancholisch schweiften Frederics Gedanken ab ins Früher.

      Zu Studienzeiten hatten er und Angelika die Wochenenden durchgekifft, sich von Rotwein ernährt und einander zum Sound von Jazzplatten wundgevögelt. Wenn sie dann fix und fertig in der Bettwäsche lagen oder auf dem Fußboden oder auf dem Rücksitz seines VW Polo, philosophierten sie über den Plan, die Welt mit der Kraft der Liebe zu heilen.

      Dieses Projekt hatte dann irgendwie nicht geklappt und kam aus der Diskussionsphase nie heraus. Mit dem Einstieg in die Arbeitswelt nistete sich der kleine böse Alltag ein. Alle damit täglich verbundenen Notwendigkeiten verwoben sich zu einem engmaschigen Netz, wie ein hinterhältiges Krebsgeschwür. Ließen die Liebe absterben. Ersetzten sie durch Spießertum. Schleichend kam das, ganz schleichend.

      Warum nur?

      Als Frederic endlich seinen Frack trug und den schweren Kontrabass schulterte, war es schon achtzehn Uhr fünfzehn. Verdammt spät. Wo zum Teufel hatte er das Auto geparkt? Ach ja, vor der Bäckerei an der Ecke. Würde jetzt knapp werden. Hoffentlich war die Chausseestraße wieder frei, sonst käme er zu spät in die Philharmonie. Aber ehrlich gesagt, wen scherte das.

      Manchmal hatte Frederic eine anarchistische Lust darauf, zu spät zu kommen zum Konzert. Ohne die tiefen Töne seines Instruments wäre der Orchesterklang wie eine Suppe ohne Gewürz. Aber außer ihm schien das niemand wahrzunehmen. Immer stand die scheiß erste Geige im Mittelpunkt oder die Trompete oder die Klarinette. Alles maßlos überschätzte Instrumente. Der Kontrabass blieb dagegen immer im Schatten. Völlig zu Unrecht.

      Frederic schloss rasch das Loft ab und stieg in den Fahrstuhl. Es war ziemlich eng, wenn er sich da mit dem Instrument reinzwängte. Eigentlich nahm er lieber die Treppe, so ein Waschbrett kam ja schließlich nicht von allein. Aber heute wählte er aus Zeitdruck den Lift.

      Ein Fehler, wie er bald erkannte.

      Das Ding trödelte provokativ langsam. Dann hielt es auch noch auf halber Strecke. Konnten die Mieter aus dem dritten Stock nicht die Treppe benutzen? Wo er es doch so eilig hatte.

      Die Tür öffnete sich und Frederic erblickte eine attraktive aufgedonnerte Frau in einem hochgeschlossenen Versace-Mantel. Bordsteinhohe Highheels, korallenrote Fingernägel, gleichfarbige volle Lippen, so einladend wie ein Designersofa. Sie trug zwei Champagner-Flaschen, hatte eine edle Clutch unter den Arm geklemmt und hielt darüber hinaus einen großen Kochtopf in der anderen Hand, der nicht zum Gesamtensemble passen wollte. Frederic wehte ein betörender Jasminduft entgegen, in den er seine Nase nur zu gern tiefer eintauchen würde. Ein Bukett heißt das wohl. Bukett – schönes Wort, der Klang passt so richtig zum Sinn.

      Die Frau zögerte einzusteigen, offenbar, weil Frederic und sein Kontrabass allein schon etwa die Hälfte des Fahrstuhls ausfüllten.

      Charmant lockte Frederic die unbekannte Grazie mit dem Scherz herein, sie würden sich schon vertragen bis zum Erdgeschoss. Miss Jasminduft-Bukett lächelte vieldeutig zurück. Offensichtlich kam sein Flirt gut an.

      »Danke«, hauchte sie mit erstaunlich dunkler Stimme. Nicht so tief wie ein Kontrabass, aber vielleicht wie ein Violoncello.

      Bei dieser Tonlage klang eine Saite in Frederic an – pling. Er war anders als der deutsche Durchschnittsmann, seine Vorstellungen von einer schönen Frau orientierten sich tendenziell weniger am Äußeren, dafür umso mehr an der Stimme. Und hier gab es an beidem nichts zu meckern, heiliger Strohsack.

      Die Schönheit aus dem dritten Stock stieg also ein und kehrte dem Kontrabassisten den Rücken zu. Bedingt durch die Enge des Fahrstuhls stand sie Frederic ungewöhnlich nahe. Er musste nur den Hals leicht vorstrecken, um den Jasminduft ihres Nackens einsaugen zu können. Hmmm. Ein Wohlgeruch, der ihn geradezu magisch anzog – plingpling.

      Der Mantel, teuer, aber auch ein wenig hässlich, verhüllte leider die Figur, so dass er sie nur erahnen konnte. Ihr Hintern jedoch war sehr groß, zu ausladend für diese Konfektionsgröße. Er zeichnete sich rund und saftig unter dem Stoff ab, das erkannte Frederic sofort mit Kennerblick. Ein praller Prachtarsch, nur eine Handbreit entfernt von seiner Gürtelschnalle.

      Ja, so sollte eine Frauenfigur aussehen, fand Frederic, wie ein breiter Geigenboden mit einem schmalen Steg nach oben. Ein richtig guter Resonanzkörper – plingplingpling.

      Schon regte sich in Frederics Hose der geile Hengst.

      Noch bevor die Pferdestärken richtig mit ihm durchgehen konnten, riss ein plötzlicher heftiger Ruck Frederic aus seinen erotischen Abschweifungen und Melly aus ihrem Dämmern.

      Es war genau achtzehn Uhr siebenundzwanzig, als der Fahrstuhl stecken blieb.

      Sanduhr trifft Kontrabass

      Kurz zuvor, um 18:10 Uhr.

      Nach einem himmlischen Schaumbad hüllte sich Melly in flauschige Handtücher. Eines mit Rosenmustern wickelte sie als Turban um den Kopf. Das große rote spannte sie um ihre Taille, während sie einen flüchtigen Blick aus dem Fenster warf.

      Waschbetongrauer Himmel, Strippenregen, Depri-Stimmung.

      Tolle Idee, gerade heute auf eine Party zu gehen.

      Eher das ideale Wetter, um mit Tee und Kerzen auf der Couch zu chillen und sich schnulzige Filme auf DVD reinzuziehen.

      Seufzend kramte Melly den teuren, aber ziemlich reizlosen Mantel aus den Untiefen des Kleiderschranks und probierte ihn gleich an. Weil er über den Hüften spannte, zog sie das rote Badehandtuch aus, doch die erhoffte Verbesserung war nur gering. Diese Edeldesigner produzierten Mode für Bügelbrett-Figuren, aber Melly hatte definitiv Kurven.

      Oberkörper, Taille und Hüften ergänzten sich bilderbuchhaft zu einer Sanduhr und ihr üppiger Hintern war ein Ereignis, nach dem sich die Männer auf der Straße umdrehten. Sie klatschte sich selbst auf ihr straffes Fleisch und zwinkerte flirtend ihrem Spiegelbild zu. Sollte der olle Mantel doch spannen! Sie war eben ein richtiges Weib und keine Bohnenstange.

      Auf einmal vibrierte Mellys iPhone. Nele war dran. Oje, das konnte in diesem Stadium der Partyplanung nichts Gutes verheißen. Nele klang ziemlich überfordert. Sie plapperte ohne Punkt und Komma.

      Während des Gesprächs streifte Melly den Mantel vom nackten Körper und klemmte das iPhone zwischen Schulter und Ohr. Geduldig hörte sie ihrer Freundin zu, streute auch hin und wieder ein »hm« oder »ach ja« als Zeichen der Aufmerksamkeit ein.

      Zugleich begann sie, die frisch rasierten Körperpartien sorgfältig und liebevoll einzucremen – beginnend mit den Waden, dann die Oberschenkel