Isabella Stern

Du willst mich doch auch


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auf Anschlag hörte und mit Pumps über die abgewetzten Holzdielen der Wohnung tanzte.

      Und wenn Melly auf »Studienreise« ging – ein Tarnbegriff für Shoppingtouren durch Kopenhagen oder Teint-Pflege auf Mallorca –, goss Nanas Freundin Erna von nebenan ihre Balkonpflanzen. Eigentlich pflegte Erna das Grünzeug sogar immer und rettete Mellys Pflanzen somit vor dem sicheren Vertrocknungstod.

      Außer dem grünen Daumen hatte die ältere Dame auch eine feine Seele. Melly heulte sich manchmal in Ernas Küche zwischen Plüsch und Nippes über die Männerwelt aus. Sie bekam dann gute Ratschläge und Mitgefühl. Dazu gab es selbstgemachten Eierlikör und eine Lord Extra. Erna als Nachbarin – das war einfach ein Segen.

      Frau Detterbeck aus dem Erdgeschoss war dagegen eine wahre Hexe. So ähnlich stellte sich Melly auch Neles Schwiegermutterhexendrachen vor. Unbefriedigte Frauen konnten heftige Energien aufbringen, um anderen Menschen das Leben schwer zu machen. Melly taufte diesen Frauentypus das »Detterbeck-Syndrom«.

      Ein massiver Ruck der Kabine riss Melly aus ihrem Gedankenfluss. Fast ließ sie Topf und Flaschen fallen, konnte sich aber dank ihrer guten Reflexe schnell wieder fangen.

      »Was war das denn?«, fragte sie mit einem Anflug von Angst in die unnatürliche Stille hinein.

      »Scheint jedenfalls nicht das Erdgeschoss zu sein«, antwortete ihr der Mann mit dem Instrument. »Sieht so aus, als stecken wir fest.«

      Vor Schreck rutschte Melly der Topfdeckel unterm Arm weg und krachte scheppernd auf den Boden.

      In der Klemme

      18:28 Uhr.

      Frederic sah seine Begleiterin hektisch auf dem Türöffner des Aufzuges herumdrücken. Ihm fielen die gepflegten Hände auf, wie bei einer Flötistin. Ihr Drücken auf der Knopfleiste brachte allerdings gar nichts, dem Fahrstuhl war der Wunsch seiner Insassin vollkommen schnuppe.

      »Fuck«, entfuhr es ihr, »fuck, fuck, fuck.«

      Frederic schmunzelte über diese Entgleisung, die so gar nicht zu ihrem aufgebrezelten Äußeren passte. Er mochte es, wenn schöne Frauen sich unartig benahmen. So ein Fauxpas ließ erwarten, dass diese formvollendeten Lippen auch zu anderen schmutzigen Sachen fähig waren.

      »Darf ich mal?«, fragte Frederic höflich. Er tastete vorsichtig um Miss Jasminduft herum und presste seinen Finger länger auf den Türöffner.

      Erfolglos.

      Betörender weiblicher Duft stieg in die Nase. Das volle Aroma sozusagen.

      Konzentration, Frederic, Konzentration.

      Er drückte die Tasten für das Erdgeschoss und mehrere Stockwerke. Also eigentlich alle. Wieder nichts. Jetzt brach ihm doch der Schweiß aus. In fünfundvierzig Minuten begann das Stimmen der Instrumente, schon in einer Stunde würde das Konzert anfangen.

      Frederic unternahm den sinnlosen Versuch, mit den bloßen Händen die Tür zu öffnen. Es gelang ihm nicht mal ansatzweise. Sie steckten offensichtlich tiefer in der Klemme, als es zunächst den Anschein hatte.

      »Ich habe eine Idee«, rief die Frau und bat Frederic, mal kurz Flaschen und Topf zu halten. Dann hüpfte sie auf und ab, wie Kinder es beim Seilspringen tun. Der Lift geriet in eine spürbare leichte Horizontalschwingung, wie die Kabine einer Seilbahn bei Seitenwind, aber sie bewegte sich vertikal um keinen Zentimeter.

      »Vielleicht sollten Sie einfach mithüpfen«, schlug die Frau vor. Doch Frederic war davon nicht begeistert.

      »Ich habe mal einen Film mit Bruce Willis gesehen«, erinnerte er sich. »Da spielte ziemlich viel Handlung in einem steckengebliebenen Fahrstuhl. Und da hat kräftiges Hüpfen dazu geführt, dass der Lift wie ein Stein in die Tiefe gesaust und zerschellt ist.«

      Sofort hörte die Frau auf zu springen und horchte, ob die Kabine sich abwärts bewegte. Es passierte jedoch nichts. Frederic gab seiner Leidensgenossin die Flaschen und den Topf zurück.

      »Wir sollten doch besser einfach das Naheliegende tun, oder?!«

      Er drückte den roten Alarm-Knopf. Ein Freizeichen ertönte wie bei einem Telefonanruf. Gebannt warteten sie auf Antwort. Nach einer gefühlten Ewigkeit schnarrte eine Männerstimme, verzerrt wie von einer Schellackplatte.

      »Ja, bitte?«

      Frederic öffnete gerade den Mund, als seine Begleiterin schon panisch rief: »Wir stecken fest!«

      Die schnarrende Stimme reagierte professionell gelassen.

      »Ja, dit jeht den meisten so, die den Alarmknopf drücken, außer se sind besoffen, kleene Kinder oder wollen einfach nur ma testen, ob im Notfall wirklich jemand ranjeht. Denn wird ooch ma’ einfach so jedrückt.«

      »Ja, aber wir stecken hier wirklich fest«, beharrte die Frau trotzig und nickte bekräftigend, obwohl das Gegenüber sie ja gar nicht sehen konnte. Frederic musste schmunzeln und gewann langsam seine Souveränität zurück.

      »Dit is’ ja schön doof für Sie«, schnarrte die Stimme mit dem Charme eines Berliner Bockwurstverkäufers, »Blöderweise sind wa aba für ihr Objekt jar nich mehr zuständig.«

      »Wie – nicht mehr zuständig? Das ist ein Notfall, Sie müssen kommen und uns helfen!«, erwiderte sie grell.

      Nun schob Frederic die junge Frau beiseite und drängte sich an die Sprechanlage. Er legte seine ganze Autorität in die folgenden Sätze.

      »Jetzt hören Sie mir mal gut zu. Ich bin der erste Kontrabassist der Berliner Philharmoniker. In fünfundvierzig Minuten muss ich im Orchester sitzen und Haydn spielen. Das Konzert ist ausverkauft. Abo-Publikum. Das sind Leute aus den höchsten Kreisen. Wenn Sie uns hier nicht in der nächsten Viertelstunde rausholen, dann wird das Konsequenzen für Sie haben. Richtige Konsequenzen! Das sage ich Ihnen.«

      Die schnarrende Stimme lachte unbeeindruckt.

      »Sie wissen doch, wie ditt läuft. Keene Kohle, keen Service. Keen Service, keen jerettet werden aus’m Fahrstuhl. Vasteh’n Se mir? Wenden Se sich an Ihre Hausverwaltung und frag’n Se nach, wer da zuständig is’. Windig & Söhne is et jedenfalls nich mehr!«

      Damit hatte das Schellackschnarren ein Ende.

      Frederic drückte erneut den roten Alarmknopf. Nichts passierte.

      Er versuchte es nochmals, diesmal länger und energischer.

      Fehlanzeige.

      »Das ist doch nicht wahr«, sagte er mehr zu sich selbst als zu seiner weiblichen Mitgefangenen. »Ich rufe jetzt die Polizei.«

      Entschlossen holte Frederic ein Smartphone aus der Innentasche.

      Er starrte auf das Display.

      Kein Empfang, nicht mal Notrufe.

      »Scheiße, verdammte!«, entfuhr es ihm.

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      Zeit für den Champagner

      18:46 Uhr.

      Melly kramte nun ihrerseits nach dem Handy. Man, da hatte sie doch lediglich die kleine Handtasche mit dem Allerallernötigsten dabei und musste trotzdem noch das Teil suchen. Entnervt pustete sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

      Endlich fand sie ihr Telefon, das in einer extrem glitzerigen Hülle verpackt war. Auch sie hatte kein Netz. Mist.

      Melly hielt das Handy hoch über den Kopf. Sie wedelte nach links, rechts, nach unten, an den Türschlitz, ging einen Schritt auf den Fremden zu. Nirgends Empfang. Sie wählte dennoch. Ein nutzloser Versuch. Diese verdammte Wissenschaft war in der Lage, Sonden auf den Mars zu schicken, aber unfähig, das Telefonieren in Fahrstühlen zu ermöglichen.

      Noch einmal hämmerte Melly voller Wut auf den Alarmknopf. Vielleicht hatte sich ja der Typ zwischenzeitlich besonnen.

      Aber es passierte nichts mehr.

      »Houston, wir haben ein Problem«, murmelte der Kontrabassist. Sein Witz kam bei Melly nicht an. Resigniert lies sie sich an die Liftwand fallen.

      »Na toll! Da steigt heute Abend die Party des