Isabella Stern

Du willst mich doch auch


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So was Bescheuertes kann nur mir passieren.«

      Der Mann begann, etwas irrational zu lachen.

      »Eigentlich bin ich ja schuld an der Misere«, gestand er. »Eben noch habe ich mir gewünscht, dass ich einmal zu meinem Konzert zu spät komme. Und bäääm – schon passiert es auch. Offenbar hatte ich heute einen Wunsch frei beim Universum.«

      Er lachte erneut auf.

      »Dann fällt Ihr Konzert jetzt aus?«, fragte Melly anteilnehmend.

      »Wohl kaum. Das Orchester wird zwar merken, dass meine Töne fehlen. Aber dem Publikum ist das egal. Denen fällt es gerade noch auf, wenn der Dirigent fehlt. Ich bin übrigens Frederic. Ich wohne ganz oben.«

      »Melly«, lächelte Melly und verschwieg wohlweislich, dass sie eigentlich Melitta hieß. Dies war schon der Name ihrer Ur-Ur-Großmutter gewesen. In einem Anflug von pränatalen Wahnsinn hatte ihre Mutter dem Kind diesen völlig aus der Zeit gefallenen Vornamen verpasst: Melitta. Konkret sogar Melitta-Sieglinde von Rothenstarck. Mit so einem Namen war man gestraft fürs Leben, obwohl er adlig klang. Sie nannte sich daher lieber Melly und wenn dann jemand darauf schloss, dass sie Melanie heißen müsste, korrigierte sie den Irrtum nicht.

      »Freut mich, Sie kennenzulernen, Melly«, riss Frederic sie aus den Gedanken. »Wenn ich das unter diesen Umständen so sagen darf. Ich glaube, die Nacht wird noch lang. Man wird uns wohl erst finden, wenn die Frühaufsteher mit ihren Hunden morgens Gassi gehen. Aber zum Glück sind Sie ja mit ein paar Getränken ausgerüstet. Darf ich mal?«

      Melly reichte Frederic eine Flasche Champagner. Er begutachtete fachmännisch die Sorte. »Gut gekauft. Haben Sie auch die passenden Gläser dabei?«

      »Wie denn«, sie blickte an sich herab und hob die Arme. »Wir können ja aus der Flasche trinken. Darauf kommt es nun wirklich nicht mehr an! Machen Sie das Ding schon auf.«

      »Nur, wenn wir uns duzen. Aus einer Flasche trinken und siezen, das geht nicht.«

      Melly lächelte amüsiert.

      »Sind sie immer so zielstrebig, Frederic?«

      »Ja, ich denke schon. Vergessen wir also die Misere mit dem Fahrstuhl und machen das Beste aus der Nacht. Setzen Sie sich doch.« Er verbesserte sich sofort: »Ich meine … setz dich doch!«

      »Nicht in den Dreck. Ich habe mein teuerstes Cocktailkleid an.«

      Galant breitete Frederick seinen Mantel auf dem Boden aus. Melly strahlte ihn an. Ein echter Gentleman, dieser Frederic. Das passte nur leider genau zu ihrer These, dass die heißesten Männer immer vergeben waren.

      Frederic ließ den Korken knallen.

      Sie lachten über die absurde Situation und setzten sich auf seinen Mantel, nachdem Melly ihr hässliches Versace-Teil abgelegt hatte.

      Die Kabine war zu eng, um beiden Insassen eine bequeme Sitzposition zu bieten, so dass Melly sich im Sitzen kaum ausstrecken konnte. Sie winkelte die frisch rasierten und gecremten Beine vornehm an. In den teuren Seidenstrümpfen wirkten ihre Glieder so verführerisch wie Pralinen in Goldpapier. Frederics Blick verriet, dass es ihm sehr angenehm war.

      Aus Platzgründen blieb ihm jedoch nichts anderes übrig, als die Beine zu spreizen, so dass die Spitzen ihrer Highheels fast seinen Schritt berührten.

      Dann tranken sie den Champagner aus der Flasche, Melly zuerst.

      Das Zeug war richtig gut.

      »Deine Frau wird dich nach dem Konzert vermissen, Frederic. Um Mitternacht wird sie die Polizei anrufen. Dann kommt eine Spezialeinheit und holt uns hier raus.«

      »Meine Frau ist bis Montag auf einem Stomatologen-Kongress. In Wien. Und sie wird mich nicht vermissen, Melly, kein bisschen.«

      Er blickte ihr direkt in die Augen, um das Doppeldeutige der Aussage zu unterstreichen. Sein Subtext kam bei ihr an. Blaue Augen, dachte Melly außerdem, tiefseeblau. Und die kleinen dunklen Sprengsel auf der Pupille sind die Fische in diesem Meer.

      Wo war nochmal der Rettungsring?

      Die Situation gefiel ihr immer mehr. Was konnte eigentlich aufregender sein, als mit einem attraktiven Kontrabassisten ein paar Stunden in einem zu engen Raum zu verbringen? Scheiß doch der Hund auf die Party…

      Es breitete sich eine knisternde Stille aus. Melly nahm noch einen Schluck Champagner. Sie schaute ihr Gegenüber unablässig an. Frederic räusperte sich verlegen.

      »Wir müssen irgendwie die Zeit totschlagen. Wollen wir uns gegenseitig Witze erzählen?«, schlug er etwas halbherzig vor.

      Melly konnte sich Witze schlecht merken. Sie gingen ihr links rein und gleich rechts wieder raus. Auf sein Drängen hin versuchte sie schließlich doch einen.

      »Treffen sich zwei Jäger. Beide tot.«

      Er lachte nicht.

      Melly zuckte entschuldigend die Achseln.

      »Siehst du, das hat keinen Zweck mit mir.«

      Sie grinste schief.

      »Tja, der war auch viel zu zielgerichtet«, belehrte er sie. »Ein guter Witz muss etwas ausholen, von hinten rum um die Ecke kommen, so wie eine kleine Geschichte. Und dann genau im richtigen Moment auf die Pointe zusteuern.«

      Melly sinnierte kurz über seine Worte und hatte dann einen besseren Vorschlag.

      »Wir sollten uns richtige Geschichten erzählen. So aus dem Leben. Da bin ich nämlich gut drin. Mir passieren immer die unglaublichsten Sachen. So was wie im Fahrstuhl steckenbleiben mit einem fremden Mann, einem Kontrabass und zwei Champagnerflaschen.«

      »Prima Idee!«

      Freudig griff er diese Anregung auf, während sein Blick über ihre zart bestrumpften Beine strich.

      »Machen wir doch ein Spiel daraus«, schlug er vor. »Abwechselnd erzählen wir einander Anekdoten aus unserem Leben. Es darf aber geflunkert und ausgeschmückt werden! Fantasie ist ausdrücklich erlaubt. Und wir verraten dem anderen nicht, ob die Geschichte wahr oder ausgedacht oder vielleicht halbwahr ist. Einverstanden? Und du fängst an, Melly, weil es deine Idee ist!«

      Melly lächelte kokett und wischte sich einen imaginären Fussel vom Knie.

      Ja, sie würde ihm eine Story erzählen. Eine sehr spezielle, eine erotische nämlich, verbunden mit einem raffinierten weiblichen Plan … Sie warf Frederic aus halbgesenkten Augenlidern einen verstohlenen Blick zu.

      Sie wollte diese Nacht nicht nur mit Plaudern verbringen, sondern ihrem Repertoire an Geschichten gleich noch eine weitere, eine pikante hinzufügen.

      Sie würde Frederic verführen, ihn sogar nach allen Regeln der Kunst vernaschen. Dieser Musiker sollte ihr die neunte Sinfonie spielen mit seinem Instrument, und dabei dachte sie nicht an den Kontrabass. Bei dem aufregenden Gedanken biss Melly sich auf die Unterlippe und lächelte geheimnisvoll.

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      »Also, pass auf«, sagte sie und blickte ihm direkt in die Augen. »Die Geschichte wird dir gefallen, allein schon, weil ein Musiker darin vorkommt. Ich hatte nämlich mal einen Dirigentenfreund. Mit dem war ich über ein Jahr zusammen …«

      »Und warum seid ihr auseinandergegangen?«, unterbrach Frederic.

      »Ähm … was soll diese Frage jetzt? Ziemlich zielgerichtet, hä?«, erwiderte Melly etwas ungehalten. »Wenn Du mich unterbrichst, verliere ich den roten Faden.«

      »Interessiert mich aber wirklich«, hakte Frederic nach.

      »Tja, warum haben wir uns getrennt? Hm …« Sie zuckte mit den Achseln. »Weil er mich immer dirigieren wollte. Meine Geschichte handelt aber nicht vom Ende unserer Beziehung, sondern vom Anfang.«

      »Entschuldige«, unterbrach Frederic sie erneut. »Ich werde jetzt nicht mehr dazwischen quatschen. Wollte aber anmerken, dass das typisch ist für Dirigenten, privat auch alles bestimmen zu wollen. Eine Berufskrankheit sozusagen. Der Dirigentenberuf wird in der öffentlichen Wahrnehmung völlig überbewertet, finde ich.«

      »Jaaaa