Kristian Winter

Liebeswahn


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Deine Schwellkörper reagieren auf diese Reize und sorgen für den nötigen Blutstau, was dann zur Erektion führt. So ist es doch, nicht wahr? Ein Wunderwerk der Evolution. Die Sache hat nur einen Haken – ein kleiner Schnitt und alles ist vorüber.“

      Ihm wurde schlecht. „Hör auf, bitte! Das kannst du nicht tun“, flehte er seine Peinigerin noch einmal an. Doch sie blieb davon unbeeindruckt.

      „Du bist beschnitten. Das ist sehr erotisch. Darum werde ich jetzt noch ein wenig weiter schneiden. Das ist noch erotischer. Blut ist eine eigenartige Substanz, weißt du? Es ist der Saft des Lebens. Sechs bis sieben Liter sind im menschlichen Körper. Wenn es raus ist, ist es vorbei.“

      „Tu das nicht! Ich bitte dich! Ich werde alles machen, was du willst. Nur tu das nicht!“

      „Hast du etwa Angst? Du weißt doch gar nicht, was das ist! Ich sage dir jetzt, was Angst ist! Wenn man unter ständigen Verfolgungen leidet und dennoch kein Gehör findet; wenn sich fremde Hilfe lediglich auf ein paar Pillen und gute Sprüche beschränkt und man genau dann, wenn man neuen Mut schöpft, von einem fremden Kerl im Park niedergerissen und bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt wird. Natürlich trägt er eine Maske, drückt dir die Beine auseinander, dass du denkst, es zerreißt dich. Dann zückt er ein Messer und kitzelt deine Kehle, jederzeit bereit, sie zu durchstoßen - das ist Angst!

      Dem Gefesselten dämmerte etwas. „Mein Gott, der Tote aus der Zeitung!“, schloss er einer spontanen Eingebung folgend. „Du warst es! Du hast ihn getötet!“

      „Hatte ich nicht ein Recht dazu?“ erwiderte die Angesprochene erregt. „Ich habe mich nur verteidigt! Sein Pech, aber er hatte sich die Falsche ausgesucht. Nur weißt du, wer sein Auftraggeber war? Deine Frau! Sie hatte ihn geordert, um mich zu beseitigen.“

      „Das ist gelogen“, erwiderte der Mann. „Völlig unmöglich!“

      „Sie hat es aber zugegeben.“

      „Das glaube ich noch weniger.“

      „Und das sagt ausgerechnet jemand, dessen ganzes Leben eine einzige Lüge ist? Deine Frau wusste sich keinen anderen Rat mehr, griff aber leider zu einem untauglichen Mittel. Sie hat eben keine Ahnung von solchen Dingen. Dafür nimmt man Gift, aber so dosiert, dass sich das Opfer noch aus eigener Kraft weit genug entfernen kann, um jeden Verdacht von der wahren Ursache abzulenken. Unser guter Freund Hövelmann hat es vorgemacht. Er war eben ein Trottel und Dummheit wird bestraft.“

      Hendrik war jetzt so durcheinander, dass er nicht glauben wollte, was er jetzt hörte. Was redete sie da? Meinte sie das im Ernst? Ihr zynisches Grinsen ließ aber keine Zweifel.

      „Um Gottes willen! Der auch?“

      „Ja, der auch!“, räumte sie mit Genugtuung ein. „Er musste verschwinden, denn er hätte die Sache ans Licht bringen und somit auch dich gefährden können. Außerdem war er ein gewissenloser Lump und hatte mit seiner Geliebten bereits Pläne gegen dich geschmiedet. Diese gingen noch viel weiter, als du dir vorstellen kannst. Du solltest mir also dankbar sein. Und wenn du jetzt vernünftig bist und wir zusammenhalten, wird man niemals dahinter kommen. Ich habe dafür gesorgt, dass es unmöglich ist! Darin liegt unsere Chance.“

      „Das ist nicht dein Ernst! Du bist verwirrt und sagst das nur so.“

      Ihre Miene verfinsterte sich. Die Ernüchterung über seinen Unverstand traf sie tief. Noch mehr aber litt sie unter seiner offenkundigen Ablehnung, die ihr bewies, dass er zu keiner Zeit wirkliche Ambitionen hatte. Alles war nur gespielt und ihre Gefühle nichts weiter als das Resultat einer bloßen Einbildung. Allein dafür verdiente er eine Strafe.

      „Das ist schade, wirklich. Ich hätte mehr von dir erwartet. Aber so ist das nun mal, wenn man mit dem Feuer spielt. Irgendwann wird man sich verbrennen.“

      Erneut fasste sie nach seiner Männlichkeit und setzte zum Schnitt an.

      „Halt, warte!“, schrie der Mann, halb wahnsinnig vor Angst. „Ich bitte dich, hör auf! Vielleicht hast du Recht! Ich werde mit dir kooperieren! Wir werden die Sache zusammen durchstehen, zu deinen Bedingungen!“

      „Tut mir leid, aber ich glaube, dafür ist es jetzt zu spät. Und jetzt schließe die Augen. Dann erträgt man es besser.“

      ****

      Kapitel

       Zwei Monate zuvor

      Es war Spätsommer. Schon seit Wochen hatte es nicht geregnet, so dass die Pflanzen welkten und die Flüsse Niedrigwasser führten. Wieder einmal lag eine drückende Hitze über der Stadt und ließ die Luft in den Straßen flimmern. Die meisten Menschen waren an diesem Wochenende ins märkische Umland geflüchtet oder suchten Abkühlung in den nahen Freibädern. Nur vereinzelt waren Passanten unterwegs.

      Unter ihnen fiel eine Frau im weißen Trenchcoat auf. Sie trug eine große Sonnenbrille, hatte trotz der Hitze den Kragen aufgeschlagen und verbarg ihr Haar unter einer hellblonden Perücke. Eilig huschte sie zur anderen Straßenseite hinüber. Ihre Bewegungen waren fahrig und unkoordiniert und zeugten von großer Angst. Immer wieder sah sie sich um, als suche sie nach etwas Bestimmten. Manchmal ging sie sogar einige Schritte zurück, setzte dann aber ihren Weg verstört fort. An der nächsten Kreuzung schlug sie plötzlich einen Haken und verschwand in das kleine Café an der Ecke, an dem sie schon fast vorüber war.

      Allerdings handelte es sich um kein gewöhnliches Lokal, sondern um das weithin bekannte ‚Savoir-vivre‘ - eine Begegnungsstätte der hiesigen Intellektuellen mit vornehmlich frankophoner Klientel, das um diese Zeit reichlich besucht war. Hier setzte oder besser quetschte sie sich an einen der hinteren Tische, jedoch so, dass sie die Straße noch einsehen konnte. Das schien ihr wichtig, denn sie zog sogleich ihre Brille etwas herab und fixierte fortwährend die gegenüberliegende Seite. Dabei war sie so konzentriert, dass sie den inzwischen herantretenden Kellner, übrigens ein überaus gutaussehender Bursche mit kleinem Oberlippenbärtchen und dunklem Wuschelkopf, gar nicht bemerkte.

      „Bonsoir, Madame, Sie wünschen?“, fragte dieser bereits zum zweiten Mal mit französischem Akzent und deutete eine höfliche Verbeugung an.

      Die Frau sah erschrocken auf und schien ihn erst jetzt wahrzunehmen.

      „Was darf ich Ihnen bringen?“, wiederholte er nun bereits zum dritten Mal.

      „Ach ja, einen Kaffee mit Milch ohne Zucker, ein wenig geschäumt, wenn es geht, und bitte, schließen Sie die Tür gegenüber“, antwortete sie zögernd, wobei sie sein Namensschild auf der linken Brustseite betrachtete. „Ich bin empfindlich gegen Zugluft, Francois“, setzte sie noch schnell hinzu.

      „Liebend gern, Madame“, erwiderte der Kellner charmant. „Nur bitte ich zu bedenken, dass es draußen drückend warm ist und andere Gäste wiederholt um diese - wie sagt man auf deutsch? - Ventilation gebeten haben.“

      „Was kümmert mich Ihre Ventilation!“, empörte sie sich sofort, seinen frankophonen Slang nachäffend. „Zugluft ist schädlich für die Bronchien. Das wird Ihnen jeder Arzt bestätigen. Außerdem weht er den Straßenstaub herein. Also bitte!“

      Doch Francois zögerte. Verunsichert über diese unerwartete Forschheit schlug er vor, den Platz zu wechseln. Auf der anderen Seite wäre es sicher angenehmer.

      „Das hätten Sie wohl gern!“, blaffte ihn die Frau erneut an.

      „Ich verstehe nicht!“

      „Oh, ich glaube, Sie verstehen das sehr gut! Sie wollen mich nur aus einem ganz bestimmten Grund hier weg haben. Meinen Sie, ich merke das nicht? Aber das könnte Ihnen so passen!“

      Der völlig verblüffte Kellner hielt für einen Moment die Luft an. Dann besann er sich aber und entgegnete gleichmütig: „Wenn Sie meinen! Nur fürchte ich, dann müssen Sie mit der Zugluft leben. Ich werde die Tür jedenfalls nicht schließen!“

      „Wie bitte? Das ist ja wohl die Höhe! Ich möchte den Chef sprechen!