Kristian Winter

Liebeswahn


Скачать книгу

durchschaut und werde das verhindern! Was ist? Worauf warten Sie? Nun gehen Sie schon!“

      Der Kellner blies die Backen auf und hatte alle Mühe, nicht laut aufzulachen. „Wie Sie wünschen.“ Daraufhin ging er mit einem schiefen Lächeln davon.

      Am Tresen erwartete ihn bereits der Chef, ein kleiner seriös, wirkender, überaus schmächtiger Mittfünfziger mit silbrigem Haar und dunklem Anzug. Er hatte das Geschehen bereits beobachtet und machte sich seinen Reim darauf.

      „Schon wieder?“, fragte er schmunzelnd den Zurückkehrenden.

      „Oui. Heute möchte sie die Tür geschlossen haben. Angeblich zieht es.“

      „Na, wenigstens nicht die Stores wie beim letzten Mal.“

      „Soll ich rufen die Gendarmerie?“

      „Nein, nicht wieder so ein Aufsehen. Das können wir uns nicht leisten. Ich werde noch einmal mit ihr reden. Vielleicht kann ich sie beruhigen.“

      „Und wenn nicht?“

      „Dann bleibt uns immer noch die Polizei. Aber ehrlich gesagt, möchte ich das nicht, denn irgendwo tut sie mir leid. Sieh‘ sie dir nur an, dieser elegante Gang, diese vornehme Zurückhaltung. Ohne diese Brille und den albernen Mantel sähe sie sicher ganz passabel aus, eine richtige ‚belle femme‘. Ich wette, sie hat studiert, vielleicht sogar promoviert. Und doch hat sie irgendein Problem. Deshalb auch diese Aufmachung.“

      „Aufmachung?“ Francois sah ihn fragend an.

      „Ja natürlich! Diese alberne Perücke wirkt doch lächerlich. Sie versucht, sich zu verstecken. Das merkt man doch sofort! Womöglich leidet sie unter einer Paranoia? Solche Leute versuchen sich immer zu verstecken.“

      „Mon dieu!“

      „Und jetzt guck‘ nicht so! Ich werde jetzt zu ihr gehen und sehen, was ich für sie tun kann.“

      Mit diesen Worten begab sich der Chef zum betreffenden Tisch. Dort klopfte er mit einer Serviette einige Krümel vom Tischtuch, richtete die kleine in der Tischmitte stehende Blumenvase zurecht und legte vorschriftsmäßig die Serviette über den Arm. „Sie wünschen, verehrte Dame?“, fragte er in Erwartung ihres Anliegens und deutete eine höfliche Verbeugung an.

      Die Frau wollte gleich auffahren und hatte auch schon einiges parat. Doch das verständnisvolle Lächeln ihres Gegenübers samt dem mitfühlenden Blick irritierten sie. Verdammt, da war doch was! Im Nu wurde aus Wut Verlegenheit und sie lächelte verschämt, als wüsste sie genau, dass sie sich wieder einmal verrannt hatte und in Erklärungsnot befand.

      „Sie werden entschuldigen“, wich sie verstört aus. „Aber ich habe es mir anders überlegt. Ich werde doch besser das Lokal wechseln.“

      „Das steht Ihnen selbstverständlich frei, Madame“, erwiderte der Chef nachsichtig. „Nur würde ich es bedauern, wenn Sie mit unserem Service nicht zufrieden sind.“

      „Das habe ich nicht gesagt.“

      „Ich muss es aber annehmen, nachdem Sie mich über meinen Kellner haben rufen lassen.“

      „Dann nehmen Sie falsch an! Das scheint Ihnen öfter zu passieren!“

      „Sie meinen doch nicht etwa wie beim letzten Mal?“

      Bei diesen Worten schreckte die Frau zusammen und zog fröstelnd den Kragen enger um den Hals. Gott, war ihr das peinlich, auf diese Weise an den jüngsten Fauxpas erinnert zu werden, als sie in der sicheren Annahme, verfolgt zu werden, Schutz in eben diesem Café suchte. Der gleiche Mann sicherte ihr damals seine Hilfe zu und hatte sogar die Polizei alarmiert. Jetzt erkannte sie ihn wieder. Am Ende war das ganze Lokal in heller Aufregung. Doch ihre Befürchtung fand keine Bestätigung. Alles blieb bei unbewiesenen Behauptungen und der ganze Eklat verpuffte. Die Polizei nahm ihre Personalien auf und verschwand wieder.

      Sollte sie sich auch diesmal geirrt haben? Unmöglich! Dazu war es zu intensiv. Zwar bewegte sich alles noch im Vorfeld, blieb bei Ahnungen und Befürchtungen. Doch die vielen kleinen Nadelstiche waren nicht nur Produkt ihrer Einbildung. Kaum eine Nacht, in welcher ihre Beklemmung nicht in Todesangst umschlug. Selbst die stärksten Beruhigungsmittel halfen nicht.

      „Ist Ihnen nicht gut, Madame Ritter?“, hörte sie von Ferne die Stimme des Chefs.

      „Wie bitte? Oh, doch natürlich… Aber woher wissen Sie …?“

      „Ihre Personalien wurden doch beim letzten Mal notiert. Erinnern Sie sich nicht? Carola Ritter, 35 Jahre, wissenschaftliche Assistentin, ledig, keine Kinder.“ Er tippte mit dem Zeigefinger an seine Stirn. „Ich habe ein gutes Gedächtnis. Dort drüben haben Sie gesessen und den Beamten den Sachverhalt geschildert und gleich daneben stand ich. Ich hatte Ihnen noch das Glas Wasser gereicht und Sie versprachen mir, künftig auf sich achtzugeben.“

      Jetzt erinnerte sie sich. Ein winziges Lächeln irrte über ihr Gesicht. „Oh ja, Sie waren sehr nett zu mir. Und jetzt – jetzt bin ich schon wieder ... Das ist mir sehr peinlich.“

      „Das muss es nicht. Immerhin sind wir alle nur Menschen und haben unsere Schwächen. Benötigen Sie etwas?“

      „Oh, nein danke.“

      „Geht es Ihnen wirklich gut?“

      „Was soll das? Selbstverständlich geht es mir gut!“ Sie schlug seine Hand weg, die gerade tröstend ihre Schulter berührte.

      „War es denn heute wieder wie beim letzten Mal?“

      „Ja natürlich! Oder meinen Sie, ich komme umsonst herein? Es ist immer das gleiche! Das ist es ja, was ich den Beamten begreiflich machen wollte! Doch niemand glaubt mir … Warum gucken Sie so? Aber ich sehe schon! Auch Sie glauben mir nicht und spielen nur den Verständigen. In Wahrheit machen Sie sich über mich lustig!“

      „Oh nein, keineswegs!“

      „Geben Sie sich keine Mühe! Ich habe Sie durchschaut! Sie sind auch einer von denen! Sie machen mir nichts vor!“

      „Bitte beruhigen Sie sich, Frau Ritter! Ich versichere Ihnen …“

      „Versichern Sie lieber nichts, denn ich habe einen guten Anwalt! Im übrigen können Sie sich Ihr Mitgefühl sparen! Ich brauche es nicht, von niemandem, verstehen Sie?“ Dann aber, als wäre sie über die eigene Lautstärke erschrocken, mäßigte sie erneut ihren Ton und sah sich scheu um. „Eine Bitte noch. Wenn ich Ihr Café verlasse, möchte ich das unauffällig tun. Verstehen Sie? Das ist doch auch in Ihrem Interesse.“

      „Ja natürlich, Madame - nur wie kann ich dazu beitragen?“

      „Indem Sie ganz einfach wieder zum Tresen gehen und mit Ihrem Kellner scherzen. Tun Sie das am besten möglichst laut und ungezwungen. Das wird die Aufmerksamkeit der Gäste von mir lenken und ich werde diesen Moment nutzen.“

      Der Chef hob verwundert die Brauen, fragte dann aber erstaunlich naiv, ob das auch wirklich alles sei.

      Ohne darauf zu antworten, erhob sich die Frau und begab sich mit kurzen, schnellen Schritten zur Tür, allerdings so übereilt, dass es jedem auffiel. Kurz davor stolperte sie auch noch und wäre fast gefallen, hätte sie nicht im selben Moment ein gerade hereinkommender Gast aufgefangen. „Hoppla“, sagte er freundlich und stützte galant ihren Arm.

      Daraufhin färbte sie sich krebsrot und entwand sich ihm bitterböse. Dann rannte sie, ohne auch nur ein Wort zu erwidern, aus dem Café, indes er ihr völlig verblüfft nachschaute. Kaum draußen, hastete sie um die nächste Ecke, sank dort rücklings gegen die Hauswand und schnappte nach Luft.

      ‚Verdammt, wer war dieser Kerl?‘, schoss es ihr durch den Kopf und sie sah ängstlich zurück. Wieso kam er gerade jetzt herein? Aber das war kein Zufall. Niemand kommt ausgerechnet im Augenblick ihrer größten Erregung herein. Das war sonnenklar. Es gehörte dazu. Das alles war nur ein Spiel. Man wollte sie hierher treiben, immer an den gleichen Ort, damit sie sich jedes Mal vor dem gleichen Publikum unmöglich machte. Wie abgekartet! Das musste ein Ende haben, sofort!

      Kurze