Kristian Winter

Liebeswahn


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in seine Unterlagen. Was blieb ihr, als verbittert den Raum zu verlassen und die Tür hinter sich zuzuknallen? Im Vorzimmer wäre sie beinahe noch mit seiner Gespielin kollidiert, die unmittelbar hinter der Tür in einer Akte wühlte. Natürlich hatte sie gelauscht und freute sich nun diebisch über diese Abfuhr. Carola würdigte sie keines Blickes.

      Kaum wieder in ihrem Zimmer, musste sie durchatmen. Dieser Mann war nichts weiter als eine Null, dessen blendende Fassade einen faulen Kern umhüllte! Dabei war er früher ganz anders gewesen. Sie war überzeugt, dass ihn erst Makos Einfluss ruiniert und zur Lachnummer hatte verkommen lassen. Begriff er denn nicht, was sie aus ihm machte? War er wirklich so schwach, sich dagegen zu wehren?

      Sie stürzte auf die Toilette und musste sich übergeben. Dort saß sie eine ganze Weile zusammengekauert und heulte Rotz und Wasser. Kaum aber war diese Schwäche vorüber, beschloss sie, ihren schon lange gefassten Plan endlich in die Tat umzusetzen. Dabei rang sie noch sehr mit sich und war so verwirrt, dass sie die beabsichtigte Botschaft in Textform verfassen musste, um sie im Bedarfsfall auch flüssig abzurufen. Immer wieder formulierte sie diese Zeilen, korrigierte, verwarf und schrieb am Ende neu, denn es hing viel davon ab. In jedem Fall aber musste es glaubhaft klingen.

      Aber da war noch das quälende Gefühl der Denunziation. Nicht abzusehen die Folgen, wenn er dahinter käme. Dennoch ließen ihr Zorn und Hass keine Wahl. Zuvor aber musste sie sich unbedingt vergewissern, ob es heute auch tatsächlich dazu käme. Dafür genügte es jedoch nicht, nur nachzuschauen, ob sein Wagen noch vor der Tür stand. Nein, sie musste es mit eigenen Augen sehen.

      Also blieb Carola an diesem Tag ebenfalls länger. Nachdem bald alle Mitarbeiter das Gebäude verlassen hatten und sein Wagen noch immer auf dem Parkplatz stand, schlich sie durch den Flur zu seiner Bürotür hin, wo sie sogleich lauschte. Doch zu ihrem Kummer war alles still. Nun hätte man meinen können, sie habe seinen Fortgang vielleicht verpasst, wären nicht eindeutig am Dienstterminal die noch offenen Auscheckzeiten von ihm und natürlich der Kosinski zu erkennen. Die Sache war also klar.

      Nur, wo steckten sie? Von der anderen Flurseite her, von wo aus ein Blick zu den beiden Fenstern des Chefbüros möglich war, konnte man keinerlei Licht erkennen. Nicht mal der Bildschirmschoner flimmerte. Folglich weilte er nicht im Zimmer und konnte überall sein. Aber ohne eindeutigen Beweis war ihr Vorhaben unmöglich.

      Inmitten ihres ganzen Durcheinanders überkam sie plötzlich ein seltsames Gefühl, eigentlich mehr ein Ziehen in der Magengegend als Vorbote sich steigernder Übelkeit. Warum es gerade beim Gedanken an den Duschraum entstand, blieb ihr rätselhaft. Von einer sonderbaren Vorahnung getrieben, schlich sie jetzt in Richtung der Umkleideräume. Oh wie klopfte ihr Herz bei der Annäherung an den Waschraum! Sollte er wirklich so viel Instinktlosigkeit besitzen? Und tatsächlich! Kaum durch die Tür getreten, prallte sie förmlich zurück. Das durfte doch nicht wahr sein! Unter der Dusche also! Das wurde ja immer schöner! Zwar waren ihre nackten Körper von einem heißen Dampfschleier umhüllt, so dass nur Schemen zu erkennen waren - doch war es eindeutig. Wie Amor hielt er seine Venus von hinten umschlungen und koitierte mit ihr im Stehen.

      Während diese Schlampe, leicht nach vorn geneigt, ihm lüstern ihren Steiß entgegenreckte und sich dabei mit den Händen an den Fliesen abstützte, stand ihr Liebhaber wie betäubt hinter ihr. Alles um sich her vergessend, befanden sich beide in einer derartigen Ekstase, dass sie ihre Zuschauerin selbst im Falle eines Lärms kaum bemerkt hätten. Damit nicht genug. Mako feuerte ihren Lover auch noch an, nannte ihn Schlappschwanz und Versager, während er – offenbar völlig durchgeknallt – sich alle Mühe gab, ihr das Gegenteil zu beweisen. Immer wieder stemmte er sich in sie und schob sie gegen die Wand, so dass sich ihre Wange an den Fliesen plattdrückte und sie vor Wollust kreischte. Ab und zu entfuhr auch ihm ein schwerer Seufzer und sein Gesicht wirkte eigenartig verkrampft, während sie sich vor Wonne in die Hand biss. Kurzum, einfach abscheulich und ekelhaft!

      Carola hätte nicht sagen können, wie lange sie da stand und dieses widerliche Schauspiel betrachtete. Alles in ihr schien leer und abgestumpft. Das war einfach nicht zu ertragen! Sie rannte in ihr Zimmer zurück und schrie sich die Seele aus dem Leib. Verdammt, es muss etwas geschehen! Hatte dieser Mann denn kein Gewissen?

      Also fasste sie sich ein Herz, legte das Taschentuch um den Hörer und rief in ihrer Verzweiflung seine Ehefrau an, eine Frau Maria Willberg-Wittge, welche ihr bisher nur einmal begegnet war. Dabei hatte diese Dame auf sie aber keinen besonders guten Eindruck gemacht, blieb wortkarg und reserviert und betrachtete ihr Gegenüber herablassend. Nein, das war keine Frau, die man lieben konnte. Ihre Verbindung schien nur einer Zweckgemeinschaft zu entspringen, entstanden aus widrigen Umständen - das sah sie klar.

      Jetzt aber war Carola viel zu erregt, um sich noch länger darüber nachzudenken. Nur fand sie in ihrem Eifer den vorgefertigten Zettel nicht, kam aber zu keiner weiteren Überlegung, da sie in ihrer Rage bereits gewählt hatte und nun ein trockenes: ‚Ja, hallo“ am anderen Ende vernahm.

      Nach einigem Zögern verkündete sie mit sonorer Stimme: „Es tut mir leid, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihr Mann gerade seine Sekretärin unter der Dusche bespielt. Dieses miese Schwein! Er fickt sie! Dafür sollten Sie ihm die Kehle durchschneiden und das möglichst langsam!“

      Kaum ausgesprochen, legte sie auch schon auf. Schwer atmend rang sie nach Luft, stemmte sich auf den Tisch und sank in den hinter ihr stehenden Sessel. Ihr Stressasthma forderte seinen Tribut. Dann packte sie zusammen und stürzte aus dem Zimmer.

      Sie wollte gerade die Treppe hinunterlaufen, als ihr von der anderen Seite plötzlich der kauzige Peter Wachtel aus der anderen Abteilung entgegen kam. Vor lauter Schreck wurde sie ganz blass. Er war ein unscheinbares Männlein von Mitte Fünfzig mit einem silbernen Haarkranz und dem verkniffenen Gesicht eines überkorrekten Beamten. Dieser besaß die Eigenschaft, immer in unpassenden Momenten aufzutauchen und dann allerlei dumme Fragen zu stellen. Schon seit längerem hatte sie das Gefühl, er habe ein Auge auf sie geworfen, war sich aber nicht sicher, da seine Bewunderung auch stets etwas Spott beinhaltete. Das machte ihn besonders widerwärtig, weshalb sie ihn lieber von hinten als von vorne sah.

      Der staunte auch nicht schlecht, sie um diese Zeit noch hier anzutreffen und hätte gern mehr dazu erfahren. Normalerweise wäre sie auch darauf eingegangen, schon um seinen Argwohn nicht noch zu nähren. Da aber im Moment nichts normal war und jederzeit die Gefahr einer anderweitigen unangenehmen Begegnung bestand, blieb sie nur kurz angebunden. Das verwirrte ihn und er erkundigte sich nach dem Verbleib des Doktors. Sie antwortete darauf jedoch nur ausweichend. Damit gab er sich natürlich nicht zufrieden und setzte nun erst recht nach. „Aber warum so eilig, Frau Ritter? Wir haben doch den gleichen Weg.“ Sein Grinsen war unverschämt. Fehlte noch, dass er nach ihrem Arm fasste.

      „Was Sie nicht sagen!“

      „Ich denke schon. Oder meinen Sie, ich nehme die Feuerleiter?“, scherzte er und fand das wer weiß wie originell.

      Was blieb ihr, als mit ihm gemeinsam die Treppe hinunterzugehen, wobei er fortlaufend irgendetwas von seinen jüngsten Erlebnissen palaverte und dabei immer wieder Bogen zu Dr. Willberg schlug, in der Hoffnung, ihr etwas zu entlocken. Doch sie ließ sich nicht beirren und wich ihm durch Lachen und Schweigen aus, selbst als er mit einer schmutzigen Vermutung herauskam, die ihm schon lange auf der Zunge lag. Aber damit war sie nicht zu fangen, schon gar nicht von ihm. Schließlich hatten sie die Ausgangstür erreicht.

      „Ah, er ist also noch im Haus. Dort steht sein Auto“, stellte er grinsend fest, was nichts anderes hieß als - habe ich es doch gewusst. „Aber sagten Sie nicht, er sei schon weg?“

      „Nein!“, erwiderte Carola gereizt. „Wie kommen Sie darauf? Vielleicht ist er tatsächlich noch da, vielleicht aber auch zu Fuß nach Hause gegangen! Wer kann das wissen?“

      „Aber warum gleich so erregt, Frau Ritter? Ich habe doch nur höflich gefragt!“, setzte er in gekünstelter Empörung nach.

      „Ich bin nicht erregt!“

      „Wirklich?“

      „Einen schönen Tag noch!“, erwiderte sie, ohne weiter darauf einzugehen.

      Sie wandte sich gerade von ihm ab, als er ihr nachrief: „Sie haben