du weißt, dass wir heute nur das Heiratsversprechen geben. Sie wird noch zu einer Frau heranwachsen. Am besten reitest du dem Mädchen nach und bringst sie mit“, sagte sein Vater lachend.
Mit einem Kopfschütteln zügelte Oliver sein Pferd und ritt der sich entfernenden Gestalt hinterher. Sie war groß, aber auch sehr dünn. Nach kurzer Zeit hatte er sie eingeholt und stellte zornig fest, dass es tatsächlich seine zukünftige Verlobte war, die wie ein Junge gekleidet davonlief. Als er auf gleicher Höhe war, stellte er sich in die Steigbügel, umfing ihre Taille und zog sie schwungvoll vor sich in den Sattel.
„Lasst mich sofort runter!“, schrie sie ihn zornig an und begann zu treten und um sich zu schlagen.
Statt einer Antwort schlug ihr Oliver jedoch mit der flachen Hand auf den Hintern.
„Wenn du noch ein Wort sagst oder dich mir noch einmal widersetzt, werde ich dir deinen kleinen Po grün und blau schlagen. Hast du verstanden?“, drohte Oliver.
Derias Hintern brannte wie Feuer und so verhielt sie sich still. Oliver ließ sein Pferd langsamer werden und Deria erkannte entsetzt, dass sie fast die Burg erreicht hatten.
„Bitte lasst mich herunter. Ich möchte alleine hineingehen.“
„Das hättest du dir vorher überlegen sollen“, gab Oliver schroff zurück.
Das Hufgetrappel schallte in Derias Ohren als sie durch das Burgtor ritten.
„Deria!“, donnerte die Stimme ihres Vaters, als dieser sie quer vor Oliver im Sattel liegen sah. Der junge Wallace ließ sie vorsichtig vom Pferd gleiten. Mit hochrotem Kopf blickte Deria sich um, sah die zornig blitzenden Augen ihres Vaters und den kummervollen Blick ihrer Mutter. Mit gesenktem Kopf ging sie zu ihnen.
„Geh dich umziehen! Wir reden später darüber. Dann hilf deiner Mutter.“
„Ja, Vater“, erwiderte Deria kleinlaut.
Deria trug ein weißes Unterkleid mit langen Ärmeln und darüber ein grünes mit Gold besticktes Kleid, das hervorragend zu ihren Augen passte. Ihr Haar hatte sie zu einem langen Zopf geflochten und mit einem grünen Band durchzogen. Als sie in die große Halle trat, saßen bereits alle an den Tischen und unterhielten sich lautstark. Das Kinn trotzig vorgestreckt ging sie zu ihrem Platz. Ihr war bewusst, dass Oliver sie die ganze Zeit anstarrte. Wenn er mich weiterhin so angafft, fallen ihm noch die Augen aus dem Kopf, dachte Deria und streckte ihm wenig damenhaft die Zunge heraus. Oliver war schier sprachlos von dieser Frechheit und zog erstaunt seine rechte Augenbraue hoch.
Als Deria sich auf ihren Platz setzte, stieß Eric ihr den Ellenbogen in die Rippen und raunte ihr zu:
„Bei Gott, Deria, du siehst fast schon wie eine Dame aus. Fehlen nur noch die entsprechenden Rundungen.“
Grinsend beschrieb er mit den Händen welche Rundungen er meinte.
„Schwachkopf“, zischte sie ihrem Bruder zu.
Sie aß nur wenig und folgte auch nur ab und an einem Gespräch. Spät am Abend erhoben sich Sir Robert und Sir Otto und baten um Aufmerksamkeit.
„Verehrte Freunde, verehrte Gäste, wir sind heute nicht nur zusammengekommen um mein Wiegenfest zu feiern, sondern auch die Vereinigung unserer beiden Familien. Mit Freude geben wir die Verlobung meiner Tochter Deria und Oliver Wallace bekannt. Die Vermählung wird am Tag von Derias 18. Geburtstag stattfinden.“
Während er dies sagte, nahm er die Hand seiner Tochter, zog das Mädchen von ihrem Stuhl hoch und überreichte sie symbolisch an Oliver. Der junge Wallace blickte in die Augen der kleinen Deria und drückte ihr einen Kuss auf die Hand. Dann flüsterte er ihr zu:
„Auch wenn du jetzt nur wie eine Küchenmagd aussiehst, so hoffe ich doch, dass du in fünf Jahren so schön wie deine Mutter sein wirst.“
Deria war zutiefst verletzt über diese Worte und trat ihm mit aller Kraft gegen sein Schienbein.
„Bevor ich so einen Grobian wie Euch heirate, gehe ich lieber ins Kloster“, fauchte sie.
Dabei entzog sie ihm ruckartig die Hand und stürmte aus dem Saal. Ihre Tränen sollte keiner sehen.
„Deria!“, schrie ihr Vater ihr hinterher, aber dieses Mal hörte Deria nicht hin.
„Oliver, sie ist noch ein halbes Kind“, versuchte Diana das Verhalten ihrer Tochter zu entschuldigen.
Obwohl Oliver gegen diese Verlobung war, musste er doch grinsen. Was würde er für einen Spaß haben, diesen Wildfang zu zähmen.
Schicksalstage
Die Jahre vergingen und kurz nachdem die Zwillinge ihr 15. Lebensjahr zählten, brach eine fürchterliche Fieberepidemie über England herein. Auch White Castle blieb davon nicht verschont. Lady Diana kümmerte sich aufopferungsvoll um die Kranken, ob es Adelige oder Leibeigene waren spielte keine Rolle. Deria unterstützte sie, wo sie nur konnte. Sie war in den letzten beiden Jahren zu einer kleinen Schönheit herangereift. Ihre „Rundungen“, wie es ihr Bruder neckend nannte, waren hervorgetreten und ihr Gesicht glich immer mehr dem ihrer Mutter.
An diesem Tag saßen beide am Bett von Jane und Hannah, einer Leibeigenen und ihrem kranken Kind.
„Ach Mutter, sie werden es nicht schaffen“, wisperte Deria traurig.
So viele waren schon gestorben und bei jedem hatte sie geweint, so dass sie manchmal glaubte, keine Tränen mehr zu haben. Doch Jane und Hannah lagen ihr besonders am Herzen. Milly, Janes älteste Tochter, war Derias Zofe und jetzt sollte ausgerechnet ihre Familie sterben.
Diana war blass. Die letzten Wochen waren zuviel für sie gewesen. Sie hatte starke Kopf- und Gliederschmerzen und hatte nächtelang nicht mehr geschlafen. Gerade wechselte sie die kühlen Umschläge einer Kranken als ihr schwindelig wurde. Diana richtete sich auf, ihr wurde schwarz vor Augen. Ohnmächtig brach sie zusammen.
„Mutter, um Gottes Willen! Hilfe!“, schrie Deria und kniete neben ihr nieder.
Sir Edward, der in der Nähe war, kam sofort herbeigelaufen und betrat die Hütte.
„Mylady…!“, rief dieser erschrocken.
Er nahm sie auf die Arme und trug sie zur Burg zurück.
Deria lief neben ihm und redete verzweifelt auf ihre Mutter ein. Sir Edward brachte Diana in ihr Schlafgemach und legte sie aufs Bett.
„Ich werde Sir Robert suchen“, sagte er und verließ die beiden.
Deria befahl einer Magd, sofort kühles Wasser zu bringen und zog ihrer Mutter den Schleier vom Kopf. Dianas Haare waren feucht vom Schwitzen, ihre Stirn und ihre Wangen glühten.
„Oh Mutter, jetzt bist du auch krank“, jammerte Deria.
Sie kühlte ihrer Mutter die Stirn und zog ihr das Obergewand aus. Sie blieb an ihrer Seite sitzen und hielt ihre Hand. Wie lange sie so da saß, wusste Deria nicht mehr. Plötzlich flog die Tür auf und ihr Vater kam hereingestürmt.
„Diana, mein Liebes.“
Er sank neben dem Bett auf die Knie und nahm ihre feuchte Hand in die seine.
„Du darfst mich nicht verlassen. Ich kann ohne dich doch nicht leben.“
Deria stand auf und betrachtete ihre Eltern. Angst schnürte ihr die Brust zu, das Atmen fiel ihr schwer.
„Vater, wird sie sterben?“
„Nein, sie wird bestimmt wieder gesund werden. Deria, dein Bruder fühlt sich auch nicht wohl. Kannst du bitte nach ihm sehen?“, bat ihr Vater mit zittriger Stimme.
Deria rannte aus dem Zimmer und suchte Eric. Sie fand ihn in seinem Schlafgemach. Er hatte sich bis auf sein Hemd ausgezogen und lag auf dem Bett.
„Wie geht es Mutter?“, fragte er mit matter Stimme. Deria erschrak, als sie ihn hörte, und noch mehr als sie das Fieber in seinen Augen brennen sah. Sie