dafür, dass er wütend war.
„Was fällt Euch ein, mir nachzuschleichen?“, fauchte Eric erschrocken.
Die Augenbraue hatte mittlerweile die Form eines spitzen Dreiecks, doch Oliver beherrschte sich ohne große Mühe.
„Dein Vater möchte dich sprechen. Es geht ihm sehr schlecht.“
Eric wollte sich an Oliver vorbeidrücken, doch dieser hielt den Jungen am Oberarm fest.
„Lasst mich los, Ihr tut mir weh!“
Eric zerrte an seinem Arm, doch der Druck wurde nur noch fester.
„Morgen beginnen wir mit deiner Ausbildung, Eric. Heute lasse ich dir deine Respektlosigkeit noch einmal durchgehen. Aber vergiss nicht, ab morgen ist meine Geduld zu Ende!“, flüsterte Oliver zwar leise, doch die Drohung war nicht zu überhören. Dabei schaute er Eric ins Gesicht. Sonderbar, wie zart seine Züge sind, durchfuhr es Oliver. Lange Wimpern umgaben die grünen Augen, die in einem hervorragenden Kontrast zu den goldroten Haaren standen. Fast wurden diese schönen Augen von dem langen Pony versteckt. Die Lippen waren sinnlich geschwungen, fast zu schön für einen Mann. Abrupt ließ Oliver Eric los und dieser floh zu seinem Vater.
Sir Robert lag im Sterben. Eric sah seinen Vater auf dem Bette liegen, der Atem ging flach.
„Vater, nein, du darfst mich nicht allein lassen. Nicht mit diesem …“
„Mein Sohn, glaube mir, es ist das Beste so. Mach mir keine Schande. Hast du verstanden? Schwöre es mir!“ Lord Eddings Stimme war nur noch ein Flüstern. Eric kniete neben dem Bett und hielt die Hand seines Vaters.
„Ja“, kam es kaum hörbar über seine Lippen.
Mit der anderen Hand strich sein Vater ihm noch einmal liebevoll über das Haar und verschied.
„Vater… !“
Eric warf sich auf den ausgemergelten Körper seines Vaters und weinte bitterlich. Fast die halbe Nacht saß er am Totenbett, bis ihn die Erschöpfung übermannte und er auf dem Fußboden einschlief.
Geoffrey stand seit Stunden vor dem Schlafgemach und hörte das Klagen des Sohnes um den geliebten Vater. Als dies verstummte, spähte der Diener in den Raum und sah Eric auf dem Boden liegen. Leise schloss er die Tür und ging in die große Halle, um Oliver zu suchen. Der junge Wallace stand vor dem Kamin und unterhielt sich mit seinem Onkel Guy.
„Sir Oliver, verzeiht die Störung“, begann Geoffrey.
Der Angesprochene nickte dem Diener auffordernd zu.
„Sir Robert ist soeben verstorben. Eric ist vor Erschöpfung eingeschlafen und liegt nun vor dem Bett seines Vaters. Dürfte ich Euch um Hilfe bitten, den Jungen in sein Gemach zu bringen?“
Oliver warf Guy einen kurzen Blick zu und beide folgten dem Kammerdiener. Als sie das Gemach des Burgherrns betraten, schlief Eric noch immer. Es war ein erschreckend trauriges Bild, das sich den Männern bot: Roberts Arm hing vom Bett herunter und seine Hand ruhte auf dem Schopf seines Sohnes. Als würde er ihm noch über seinen Tod hinaus Trost spenden wollen. Oliver rüttelte sanft an Erics Schulter.
„Dein Vater ist jetzt erlöst, Junge“, sagte Oliver mitfühlend. Kraftlos erhob sich Eric. Seine Augen waren vom vielen Weinen verquollen. Verlegen senkte er den Kopf vor seinem Vormund.
„Es ist keine Schande, wenn ein Mann weint. Wir haben genauso viele Gefühle wie Frauen und sollten es dann und wann auch zeigen. Sir Guy wird dich auf dein Zimmer begleiten. Ich werde alles Nötige für das Begräbnis veranlassen. Sobald dein Vater beigesetzt ist, brechen wir auf.“
„Ihr könnt es wohl gar nicht abwarten, alles an Euch zu reißen“, sagte Eric, dem alles viel zu schnell ging. Und wieder schoss die rechte Augenbraue Olivers steil in die Höhe. Eric blickte seinen Vormund trotzig an, dann folgte er Sir Guy. Als sie beide alleine waren, wandte sich Guy an ihn:
„Eric, ich verstehe deinen Kummer. Aber du wirst lernen müssen deine Zunge im Zaum zu halten, denn dein Benehmen ist respektlos. Sir Oliver hat dich nur geschont, da du in Trauer bist.“ Mit diesen Worten ließ ihn Guy allein.
Wenige Tage später fand das Begräbnis statt, an dem neben Oliver und Guy auch Sir Frederic und weitere Gefolgsmänner der Familie Eddings teilnahmen. Stumm sah Eric zu, wie der Totengräber und sein Gehilfe den einfachen Holzsarg mit den sterblichen Überresten Sir Roberts in die Erde hinabließen. Da das Amt des Priesters im Dorf noch immer nicht besetzt war, sprach Oliver Wallace das Gebet. Erstaunt über seine tröstenden Worte blickte Eric ihn an und bemerkte Trauer in Olivers Augen.
„Nimm den Leib unseres geliebten Vaters, Freundes und Gönners in deinen Schoß auf. Sir Robert war ein harter, aber gerechter Mann. Er liebte seine Frau und seine Kinder, er war stolz auf sie. Und sie haben ihn geliebt. Friede seiner Seele.“
Anschließend wanderte die kleine Prozession zurück in die Burg.
„Sir Edgar wird die Besitztümer bis auf weiteres verwalten, Eric. Er ist ein kluger und erfahrener Kastellan.“
„Wenn Ihr es sagt“, antwortete Eric teilnahmslos. Er fühlte sich leer, ohne Hoffnung, verlassen von dem letzten Menschen, der ihm Liebe und Geborgenheit gespendet hatte.
„Hol dein Pferd und ….“, riss Oliver ihn aus seiner Lethargie.
„Pferd...?“, unterbrach Eric ihn aufgeregt.
„Eric, unterbrich mich nicht mehr, wenn ich rede! Du sollst dein Pferd holen. Wir brauchen zwei Tagesreisen zu meinen Ländereien.“
Seit dieser verdammte Oliver aufgetaucht ist, bin ich vom Pech verfolgt, fluchte Eric innerlich. Er hatte seit seiner Kindheit auf keinem Pferd mehr gesessen, weil er einst heruntergefallen war und sich danach nicht wieder getraut hatte, es zu versuchen. Aber jetzt durfte er sich keine Blöße geben. Mit hängenden Schultern ging er in den Stall. Dort nahm er sich Aragon, den alten Wallach seines Vaters. Es war ein geduldiges Tier. Mit Hilfe eines Steigbaums bestieg Eric das Pferd und ritt heraus. Der Rücken des Tieres war so breit, dass Eric kaum sitzen konnte. Oliver warf ihm einen prüfenden Blick zu und ritt dann voran durch das Burgtor. Der Trupp setzte sich in Bewegung.
Eric ritt neben Sir Guy. Er rutschte auf dem Sattel hin und her und die Bewegungen des Pferdes schüttelten ihn durch und durch. Er konnte sich dem Rhythmus des Tieres einfach nicht anpassen. So dauerte es nicht lange, bis ihm der Rücken schmerzte und seine Oberschenkel wund gescheuert waren. Guy warf dem Jungen zwischendurch einen Blick zu und musste sich ein Lachen verkneifen. Reiten konnte dieser wahrlich nicht.
Oliver ließ sich ans Ende des Zuges zurückfallen und bedeutete Sir Guy ihm zu folgen. Als sie auf gleicher Höhe waren, wartete Sir Guy darauf, was sein Neffe ihm zu sagen hatte. Seit Kindheitstagen war er Olivers engster Vertrauter. Selbst in der Zeit, als Sir Otto noch lebte, hatte sich Oliver lieber seinem Onkel anvertraut und ihn statt seinen Vater um Rat gefragt.
„Guy, was hältst du von Eric?“, wollte Oliver wissen.
„Nun, er ist ein wenig seltsam. Seine Statur ist ungewöhnlich; lange dünne Beine, aber einen kleinen Bauchansatz, noch keine männlichen Züge, kein Bartwuchs, ein dünnes Stimmchen und reiten kann er auch nicht. Und zu allem Überfluss ist er auf dich überhaupt nicht gut zu sprechen“, resümierte Guy.
„In der Tat. Nachdem ihn sein Vater unterrichtete, dass ich ab jetzt sein Vormund bin, erst recht nicht. Er hat mir sogar vorgeworfen, dass ich seine Schwester vergessen hätte. Dabei haben wir uns nur einmal vor vier Jahren gesehen und da war sie eine Bohnenstange gewesen. Für mich ist Eric fast zu hübsch für einen Jungen“, berichtete ihm Oliver.
„Das ist mir auch schon aufgefallen“, pflichtete ihm Guy bei.
„Weißt du, wenn er schon so ein reizendes Bürschchen ist, wie schön wäre dann seine Schwester geworden?“, sinnierte Oliver laut. Ein leichtes Bedauern schwang in seiner Stimme mit.
„Ich denke, sie wäre eine Augenweide geworden“, antwortete sein Onkel überzeugt.
„Ja,