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Kriegerherz und Königsehre


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Jahren niemand bemerkt haben, dass dies nicht Eric war? Oliver war fassungslos. Er schalt sich wieder einen Narren, dass er selbst nicht schon beim ersten Anblick ihre Maskerade durchschaut hatte.

      Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, ging er in den großen Burgsaal. Ein Teil seiner Ritter saß noch beim Abendessen. Am Haupttisch unterhielten sich sein Onkel und Roger angeregt miteinander. Oliver setzte sich zu ihnen und trank einen Becher Met in einem Zug leer. Guy schaute seinen Neffen fragend an, das war sonst nicht Olivers Art mit Alkohol umzugehen. Oliver schüttelte den Kopf und murmelte:

      „Später.“

      Dann trank er einen zweiten Becher. An der Unterhaltung nahm er nicht teil. Seine Gedanken verweilten bei Deria, der kleinen verlogenen, widerspenstigen und kratzbürstigen Deria. Aber gerade diese Eigenschaften faszinierten ihn. Mit ihr würde es wahrscheinlich nie langweilig werden. Sie war wie eine stolze Burg, die mit hoch erhobenem Haupte dastand und sich bis zum letzten Atemzug zur Wehr setzte, bevor sie endgültig erobert wurde. Und er würde sie erobern oder besiegen, schwor Oliver sich in Gedanken. Ihm kam das Gespräch in den Sinn, das er vor einigen Jahren mit seinem Vater an der gleichen Stelle geführt hatte. Hier im Burgsaal hatte ihm sein Vater mitgeteilt, dass er und Sir Robert beschlossen hatten, die Familien zu vereinen und dass deshalb er, Oliver, Deria heiraten sollte. Oliver war außer sich gewesen. Er wollte sich seine Braut selbst suchen, aber sein Vater hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass es sein ausdrücklicher Wunsch sei. Nun, dem konnte und wollte er sich nicht widersetzen. Als dann das Fieber kam und alle dahinraffte, war Oliver froh, dass ihm das Schicksal diese aufgezwungene Ehe erspart hatte. Doch nach einiger Zeit begriff er, dass er trotzdem heiraten sollte, denn die Linie der Familie Wallace musste aufrechterhalten werden. Sein Onkel Guy hatte nie geheiratet und so lag es nun in Olivers Verantwortung. Bei einem Ritterturnier zu Gunsten König Rufus’, hatte er die schöne Alicia gesehen. Da sie ihm gefallen hatte, begann er ihr den Hof zu machen und ihr Vater war überglücklich, als der junge Wallace um ihre Hand anhielt. Die Hochzeit sollte in einem Monat stattfinden und jetzt hatte er plötzlich zwei Bräute.

      Guy setzte sich auf den anderen leeren Stuhl und beobachtete seinen Neffen. Er sah die tiefen Falten auf dessen Stirn sowie die verkrampften ineinander verschränkten Hände. Irgendetwas war geschehen, dass ihn tief bewegte. Oliver wurde sich der Nähe seines Onkels bewusst und sah ihn unvermittelt an:

      „Ich habe eine Entscheidung zu treffen, die das Leben von vielen Menschen verändern wird, Onkel.“

      „Willst du weiter in Rätseln sprechen, oder soll ich raten?“, fragte dieser neugierig.

      „Es geht um Eric. Er ist kein Er sondern eine Sie. Verstehst du?“

      Dabei fuhr sich Oliver fahrig durch die Haare.

      Guy war für einen kurzen Augenblick sichtlich irritiert.

      „Schau an! Ich hatte schon gedacht, ich hätte Halluzinationen. Sie hat sich also als Eric ausgegeben?“

      „Ja.“

      „Aber warum?“

      „Das weiß ich nicht genau. Ich kann nur vermuten, dass sie mich auf keinen Fall heiraten will und deshalb beschlossen hat, sich als ihren Bruder auszugeben“, erklärte Oliver.

      „Hat sie dir denn nichts dazu gesagt?“, wollte Guy wissen.

      „Sie weiß nicht, dass ich ihre Maskerade durchschaut habe, Onkel. Ich war viel zu aufgebracht, um sie zur Rede zu stellen. Und das bin ich immer noch. Ich sitze in einer Zwickmühle. Wenn ich Alicia heirate, habe ich immer noch Deria als Mündel und trage die Verantwortung für sie.“

      „Du kannst sie doch umgehend verheiraten. Dann wärst du diese Verantwortung los“, schlug Guy vor.

      „Ich weiß, aber das wäre nicht im Sinne unserer Väter.“

      „Aber warst du es nicht, der damals vor Wut geschäumt hat, als dir dein Vater von dieser Vereinbarung erzählte. Wolltest du nicht damals ausreißen?“, gab Guy mit leicht belustigter Stimme zu bedenken.

      „Ich weiß, ich weiß. Aber dieser Teufelsbraten fasziniert mich mehr als jede andere Frau. Kannst du das verstehen?“

      „Nun, Deria wurde sehr freizügig erzogen. Sie hat sich immer an ihrem Bruder orientiert und sein Verhalten nachgeahmt. Davon abgesehen, ist sie eine schöne junge Frau geworden. Wenn sie mal in ordentlichen Kleidern steckt, wird ihre Weiblichkeit sicher erst richtig zur Geltung kommen“, lachte Guy. „Was wirst du jetzt machen, mein Junge?“

      „Ich reite morgen zu Howard und Alicia und werde ihnen mitteilen, dass ich die Verlobung lösen muss, da sie ungültig ist“, beschloss Oliver.

      „Was meinst du, wie werden sie diese Nachricht aufnehmen?“

      „Ich hoffe, so wie es tatsächlich ist. Es hat nichts mit ihnen zu tun, aber das erste Versprechen hat noch Bestand. Ich habe mich mit Alicia unter der Annahme falscher Tatsachen verlobt.“

      „Soll ich dich begleiten?“, schlug Guy vor.

      „Nein, ich nehme Roger mit. Behalte du bitte mein Mündel im Auge, dass es nicht wieder davon läuft.“

      „Wirst du mit ihr darüber sprechen, bevor du abreist?“

      „Nein, ich werde sie noch eine Weile im Glauben lassen, dass sie mich an der Nase herumführt“, erklärte er. Dabei schwang ein sardonisches Lächeln um seine Lippen.

      Deria wurde am nächsten Morgen von lauten Rufen, Pferdegetrappel und anderen Geräuschen aus dem Schlaf geschreckt. Sie setzte sich auf und sah Stephen, der Olivers Streitross fertig gesattelt nach draußen führte.

      „Was ist denn los?“, fragte Deria verschlafen.

      Guy trat in den Stall und warf ihr einen spöttischen Blick zu.

      „Guten Morgen, Eric, du scheinst jeden Platz zum Schlafen vorzuziehen, solange er nicht in deiner Kammer ist.“

      Deria rappelte sich hoch, zupfte sich das Heu aus dem Haar und versuchte ihre Kleidung einigermaßen zu richten.

      „Es war nicht meine Absicht, die ganze Nacht hier zu schlafen“, murmelte sie entschuldigend. „Was ist denn los?“, wollte sie wissen.

      „Nun, Oliver muss für ein paar Tage fort. Er besucht seine Verlobte.“

      Daraufhin vernahm Guy nur ein leichtes Schnauben als Antwort. Diese zwei waren wie Katz und Maus, doch er war überzeugt, dass sie früher oder später zu einander fanden.

      „Ich zeige dir jetzt deine Räume und dann werde ich dir deine Aufgaben erläutern.“

      Guy drehte sich um und setzte sich in Bewegung. Wortlos folgte ihm Deria. Konnte Oliver es gar nicht abwarten zu heiraten? Liebte er seine Braut? Nein, zu solchen Gefühlen war dieser Grobian sicher nicht fähig. Warum ärgerte es sie dann, dass er zu seiner Verlobten reiste? Sie verdrängte diese ganzen Gedanken, da sie noch keine befriedigende Antwort darauf fand. Als sie ins Freie trat, sah sie Oliver auf seinem Schimmel sitzen. Er war eine beeindruckende Erscheinung: Ganz in schwarz gekleidet, ritt er auf seinem schneeweißen Pferd, um seine Schultern lag ein schwarzer Umhang, auf dem das Wappen der Familie Wallace gestickt war: ein roter aufrechtstehender Bär.

      Oliver warf Deria einen undefinierbaren Blick zu, nickte dann kurz und ritt durch das Tor davon. Mehrere Reiter folgten ihm.

      In gemächlichen Trab ritten sie zur benachbarten Burg Shenderton. Oliver fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er würde Sir Howard gewaltig vor den Kopf stoßen und Alicia würde sich in ihrer Ehre gekränkt fühlen. Doch nachdem er seine Wahl getroffen hatte, musste er so schnell wie möglich diese Angelegenheit klären, auch wenn es ihm noch so unangenehm war. Wie bei den meisten Grenzen zwischen den einzelnen Lehensgütern, war auch hier die Grenze zwischen den beiden Besitztümern ungefähr eine Tagesreise entfernt. Am frühen Nachmittag konnte Oliver in der Ferne bereits die Türme erkennen, am Abend waren die Zinnen zu sehen. Die Burg war in ihren Ausmaßen wesentlich kleiner als die Bärenburg.

      Sie ritten über eine Zugbrücke durch das Burgtor.