Mira Schwarz

SEX & other DRUGS - Novembertau


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weh.

      Einige Minuten sitze ich einfach nur da und dehne in minimalsten Bewegungen meinen Körper.

      Denk nach!

      Ich weiß, dass ich in einem Krankenhaus liege, ich bin weiblich, gut, das kann man sehen, aber ich weiß auch, dass ich 33 Jahre alt bin.

      Was kann ich noch?

      Krampfhaft halte ich die Luft an und versuche, meine Gedanken zu sortieren. Das Erste, was mir in den Kopf kommt, sind Tilgungsraten und Annuitätsdarlehen. Ich kann sie berechnen, habe ein klares Bild vor Augen und weiß, dass man bei einer 15-jährigen Festschreibung am besten eine hohe Tilgung vereinbart, um nicht zu viel Restschuld am Ende noch auf dem Buckel zu haben. Nicht sehr sexy.

      Was für bescheuerte Gedanken!

      Ich höre noch tiefer in mich hinein und schließe die Augen. Klingt nach einem Job bei einer Versicherung, oder so etwas in der Art. Doch da sind auch andere Bilder, die ich mir nicht erklären kann.

      Blut, Leder, Feuer, so viel Feuer.

      Ich spüre eine innere Hitze, eine Lust, die sich plötzlich und unerwartet aufbäumt. Sie ergreift mich, lässt mich für einige Herzschläge nicht mehr los. Ich bin in dem Gedanken gefangen, kann ihm nicht mehr entfliehen. Da sind Masken und nackte Haut, dann wieder Feuer, grünes Feuer!

      Meine Hände beginnen zu zittern. Es schmerzt, daran zu denken. Wie Fetzen aus einem Traum, die es gerade so in die Realität geschafft haben. Die Bilder vor meinem geistigen Auge sind verschwommen. Ich will sie greifen, sie zu mir in die Wirklichkeit ziehen, jedoch verschwinden sie, kurz bevor ich sie erreichen kann.

      Wie ein Hund, der gerade aus dem Wasser kommt, schüttele ich mich am ganzen Körper und befreie mich von den Überlegungen.

      Was bleibt, sind pure Gefühle. Angst vermischt sich mit Unsicherheit zu einer ganz eigenen Symphonie von innerer Unruhe. Ich ergreife langsam den Schalter und ziehe ihn zu mir.

      Blumen schmücken einen Großteil des Zimmers. »Gute Besserung« steht auf Karten und einige Luftballons verlieren langsam ihr Helium und huschen über den Boden. Ich scheine zumindest keine Einzelgängerin zu sein. Noch ein letzter Blick auf den Herzmonitor verrät mir, dass ich zumindest jetzt nicht mehr der Panik nahe bin. Eine Nadel steckt in meinem linken Arm. Gerne würde ich diesen Fremdkörper loswerden. Unbedingt!

      Ich warte noch eine Minute, dann drücke ich zielstrebig den Notfallknopf.

      Es ist Zeit, herauszufinden, wer ich bin.

      Kapitel 1 - Willkommen in der Welt

      »Und, wie fühlst du dich?«

      Dieser Mann streichelt in ruhigen Bewegungen meine Hand und sieht mich an wie eine Kostbarkeit, auf die man dringend aufpassen sollte. So stellt man sich die Typen von den Whiskey-Werbungen vor. Klug, aufmerksam, charmant und vor allem gut aussehend. Die braunen Haare sind mit etwas Gel in Form gebracht und fügen sich wundervoll in das schmale Gesicht. Dazu glänzen seine blauen Augen trotz des Schummerlichts. Er trägt einen Anzug ohne Krawatte, wirkt durchtrainiert und, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, wünschte ich mir, dass ich mich erinnern könnte, ihn nackt gesehen zu haben. Kurzum – ein Kerl, in den ich mich verlieben könnte. Oder bereits habe …

      »Jasmin … hey, Kleines?«

      Ich schüttele mit dem Kopf. »Entschuldige, bitte.« Sein Name kommt mir noch etwas holprig über die Lippen. »Ryan, richtig?«

      Er lächelt mich an, lehnt sich nach vorne und küsst meine Wange. »Ganz genau, Darling. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du zurück bist.«

      Bei den Worten dringt mir sein herbes Aftershave in die Nase. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich nun meinerseits kurz nach vorne lehne und noch mehr von diesem Duft in meine Nase ziehe.

      Mein Blick sucht den Raum nach etwas Bekanntem ab. Ich erkenne nichts. Rein gar nichts. Dann sehe ich wieder den Mann neben mir an. »Wir sind also verlobt?«

      »Schon fast drei Jahre.« Seine Augen glänzen, als er das sagt. Er rückt noch ein Stück an mich heran, dabei spüre ich die Wärme seiner Haut. Eine braune Strähne seiner mittellangen Haare hat sich gelöst und hängt ihm nun wippend vor der Stirn. »Wir wollten bald heiraten«, fügt er hinzu.

      »Heiraten«, murmele ich und sehe an meinen Händen herunter. »Kein Ring«, stelle ich mehr zu mir selbst, als an ihn gerichtet, fest.

      Er nickt. »Du magst es nicht, ihn an deinem Finger zu tragen.« Schwungvoll greift er in die Seitentasche seines Jacketts. Zum Vorschein kommt eine Kette, an der ein silberner Ring baumelt. »Aber diese hier legst du eigentlich nie ab. Umso komischer finde ich, dass du es am Tag deines … Unfalls getan hast.«

      Ohne genau zu wissen, warum eigentlich, schrecke ich für einen Lidschlag zurück. Erst dann schaffe ich es, die Kette an mich zu nehmen. Während ich den Ring zwischen meinen Fingern drehe, gehe ich Ryans Worte wieder und wieder im Kopf durch.

      Er lässt mir alle Zeit der Welt, bis ich mein Gesicht wie in Zeitlupe hebe und ihn unsicher ansehe. »Mein Name ist Jasmin Ashcroft, ich wohne mit meinem Verlobten Ryan Smith in Queens, habe studiert an der NYU und bin Anlage- und Darlehensberaterin bei der First Pacific Bank. Ich mag chinesisches Essen, gehe gerne ins Kino, liebe Sport und bei einem guten Mai Tai kann ich mich nur schwerlich zurückhalten.«

      Ich komme mir so unendlich blöd vor, als ich diese Sätze ausspreche. Am liebsten würde ich im Boden versinken, doch Ryan hält einfach nur meine Hand, nickt ruhig und lächelt.

      »Kommt dir davon irgendetwas bekannt vor?«

      In meinem Mund läuft das Wasser zusammen, mein Magen verkrampft sich. »Wie lange war ich weg?«

      »Drei Monate.« Er räuspert sich. Es muss ihm sichtlich schwerfallen, darüber zu reden. »Ich fand dich auf der Veranda, nachdem wir Tage nach dir gesucht haben. Plötzlich warst du einfach wieder da und lagst bewusstlos im Vorgarten. Die Ärzte waren ratlos. Kein Toxin, kein Schlaganfall, keine Krankheit oder Allergie, du warst einfach von einem auf den anderen Moment nicht mehr auf dieser Welt.«

      Das würde zumindest erklären, warum die beiden Ärzte eben so aufgeregt waren, als sie mich untersuchten.

      »Sie fanden nichts?«, hake ich nach.

      »Gar nichts.« Für einen Moment lässt er meine Hand los, geht sich kurz durch die Haare und seufzt. »Hypoglykämisches Koma, spontane neurologische Reaktionen auf bestimmte Begebenheiten oder Situationen. So etwas passiert. Selten zwar, aber es ist möglich.«

      Ich zucke mit den Schultern. »Und meine Erinnerung?«

      Was für ein beschissenes Gefühl. Der Mann gegenüber hätte mir auch sagen können, dass er mein Bruder ist. Dies fände ich zwar ein wenig schade, aber ich hätte es ihm geglaubt, wenn die Pflegerinnen ihn nicht als meinen Verlobten vorgestellt hätten, der »Tag und Nacht an meinem Bett wachte«, wie sie sagten.

      »Sie wird zurückkommen.« Ryan sagt die Worte, als gäbe es gar keine andere Option. »Es wird zwar ein wenig dauern, aber in einigen Tagen schon wirst du dich erinnern, wie die kauzige Mrs. Johnson von gegenüber uns immer wieder ermahnt, nicht so laut Musik zu hören nachts, wenn wir …« Ryan stoppt mitten im Satz und lächelt verschmitzt.

      Auch mir huscht ein kurzes Grinsen über das Gesicht. Die Vorstellung gefällt mir.

      Er strahlt Ruhe aus und Zuversicht. Mir geht es augenblicklich besser.

      Ich lächele zaghaft, während mein Blick nach draußen schweift. Langsam bricht die Sonne durch den düsteren Himmel und verdrängt mit ihren hellen Strahlen die Nacht. »Und ist es November?«

      Er nickt, küsst meine Hand. »Ja, es ist sogar wärmer geworden. Als ob das Wetter dich begrüßen will.«

      »Novembertau«, flüstere ich und ergreife Ryans Hand fester. Dieses Wort wiederum kommt mir sehr bekannt vor. Keine Ahnung warum, doch plötzlich zieht