Mira Schwarz

SEX & other DRUGS - Novembertau


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      Ryan sieht mich wie versteinert an. Ich kann erkennen, dass sein Herz wie wild pocht, als er nach unendlich anmutenden Sekunden endlich auf mich zugeht und mich umarmt.

      »Du erinnerst dich«, sind die einzigen Worte, die leise gesprochen seine Lippen verlassen.

      »Ja«, hauche ich. Es tut nicht weh, es schmerzt nicht. Es ist einfach eine Feststellung. »Wir haben bei unserem ersten Date darüber gesprochen.«

      Ich kann spüren, wie Ryan nickt. »Bei einem Kaffee in der Grand Central Station.«

      »Vor drei Jahren.« Meine Worte sind nicht mehr als ein Flüstern im Wind. »Es regnete draußen und beide warteten wir, bis es ruhiger wird. So kamen wir ins Gespräch, unter der Uhr. Seitdem gehen wir jedes Jahr an unserem Tag zur Uhr in der Grand Central und trinken zusammen einen Kaffee.«

      Endlich sieht er mich an. Er hat Tränen in den Augen, als er mein Gesicht in beide Hände nimmt. »Du sagtest, dass dir kalt wäre und da habe ich den Vorschlag gemacht, dass wir nach Mexiko fliegen. Ein paar Wochen später waren wir ein Paar und gingen am Strand spazieren. Nun ja, zumindest bis zu der Sache mit deinem Blinddarm.«

      Jetzt spüre ich das Meer deutlicher und wie der Sand zwischen meinen Zehen knirscht. Ich blicke ins leere Zimmer, suche mir einen Punkt an der Wand und fixiere ihn. Dabei versuche ich ruhig zu atmen. Sonne, Meer, Sex … ich komme nicht weit.

      Instalación uno … Anlage 1

      Feuer, grünes Feuer.

      Wieder schüttel ich hastig mit dem Kopf, sodass sich beinahe das Handtuch löst.

      Sofort ist Ryan zur Stelle. »Jasmin?«

      »Alles in Ordnung«, stöhne ich und fasse mir an den Kopf. »Ich kann mich nur noch nicht an alles erinnern.« Mein Blick schweift ab. »Zumindest muss ich viele Kollegen haben, bei den ganzen Genesungswünschen.«

      Ryan wendet sich kurz ab, geht zu dem Tisch, wo die Blumen stehen, und wischt sich schnell die Tränen aus den Augen. »Ja, du bist sehr beliebt.«

      Ins Auge fällt mir der kleinste Strauß von allen. Es wirkt, als hätte ein Kind ihn gepflückt, als würde er zu all den schönen Gedecken nicht dazugehören. »Von wem ist dieser hier?« Ich nehme das Glas hoch und rieche daran. Ein starker, süßlicher Geruch drängt mir in die Nase. »Jasmin«, flüstere ich und sehe mir die Blüten genauer an. Langsam drehe ich den Strauß im fahlen Licht. »Schwarze Jasmin-Blumen. Ich wusste gar nicht, dass es sie gibt.«

      Ryan nimmt das Gefäß an sich. »Die Blüten sind gefärbt«, stellt er schnell fest. »Da hat sich irgendwer wohl einen Scherz erlaubt.«

      In einer Bewegung zückt er sein Handy, nimmt den Strauß aus der Vase und geht in Richtung Tür.

      »Was machst du mit ihnen?«

      »Ich entsorge sie und frage, wann du endlich hier heraus kannst.« Ryan zwinkert mir zu. »Außerdem willst du dich bestimmt mal umziehen und da soll dein Verlobter nicht stören.«

      An seine aufmerksame Art könnte ich mich gewöhnen. Bei so einem Typen muss ich tatsächlich die eine oder andere Sache in meinem Leben richtig gemacht haben. »Danke schön, Darling.«

      Es kommt mir leicht über die Lippen. Meine Erinnerungen sind wie eingefroren und erst warme Sonnenstrahlen im November vermochten es, die Eisschicht behutsam aufzutauen.

      Novembertau, der meine Erinnerungen wieder freigibt.

      Langsam sickern sie zurück in meinen Geist. Zum Teufel, ich kann es gar nicht erwarten, endlich nach Hause zu kommen und mein Leben mit ihm zu verbringen. Noch einmal …

      Kapitel 2 - Coming home

      Drei Tage später ist es endlich so weit.

      Die Ärzte geben uns noch eine Menge Medikamente, gute Ratschläge und Notfallnummern mit auf den Weg. Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie viele Untersuchungen an mir durchgeführt wurden und bin einfach nur froh, als Ryan mit dem schicken Ford Escalade vorfährt und ich endlich das Hospital verlassen kann. Anscheinend sind wir nicht reich, aber können uns zwei Wagen, ein kleines Häuschen in Queens und einmal im Jahr einen Urlaub gönnen. Die Kinderfrage habe ich absichtlich erst einmal ausgespart. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, in meinen Erinnerungen zu graben und immer wieder neue Details meines Lebens zu erfahren.

      Eigentlich hört sich so etwas extrem spannend an. Nur wenn man erst beim dritten Bissen bemerkt, dass einem von Erdbeereis schlecht wird, kann das manchmal ganz schön nerven. Mittlerweile fühle ich mich schon recht sicher. Ich kann mich erinnern, dass ich im Waisenhaus aufwuchs, bei verschiedenen Pflegefamilien unterkam, bis ich endlich die Schule beendete und von dort direkt auf den Campus zog, wo ich mit einem Stipendium für sozial benachteiligte Jugendliche schnell abschloss, um dann meinen Job als Bankangestellte anzutreten. Ich war schon immer eine Einzelgängerin, was vielleicht daran lag, dass ich durch meine Vergangenheit Probleme damit habe, anderen Menschen zu vertrauen. Nur bei Ryan war es auf einen Schlag anders. Ich erinnere mich an die Begegnung in der Grand Central Station, an seinen langen Mantel und die bittersüßen Kaffees, die wir schlürften, während wir noch abschätzten, ob der gegenüber ein Mörder oder der Partner fürs Leben sein könnte. Glücklicherweise trifft Letzteres zu. Man könnte sagen, dass ich mich im Leben festgebissen hatte.

      Mit meinen neuen alten Erinnerungen ausgestattet, ist die ganze Situation nicht mehr so ganz überraschend, als wir endlich zu Hause ankommen und die ersten Schneeflocken sich langsam auf unserem Dach niederlassen, während Ryan in der Auffahrt den Wagen zum Stehen bringt.

      »Welchen Job habe ich?«

      »Sehr witzig«, antworte ich und knuffe ihn in die Seite, dabei verstelle ich meine Stimme, als wäre ich ein Groupie und er ein Rockstar. »Du bist natürlich der beste Immobilienmakler der Welt.«

      »Der hat gesessen. Deinen Sinn für Humor hast du offensichtlich nicht verloren.« Ryan zwinkert mir zu.«Mai Tai oder Cosmo?«

      Süß, wie er mir hilft, meine Erinnerungen aufzufrischen. »Mai Tai, natürlich. Ich trinke keinen anderen Cocktail«, entgegne ich entzückt von so viel Aufmerksamkeit und steige schwungvoll aus dem Fahrzeug. »Obwohl für einen waschechten New Yorker nur ein echter Cosmopolitan als Drink taugt, bleibe ich bei meinem Drink.«

      Ryan streckt mir den Daumen entgegen, holt meine Tasche aus dem Kofferraum. »Wo ist unser Lieblingschinese?«

      »Lau Garden«, entgegne ich, wie aus der Pistole geschossen. Gott, wie habe ich die Frühlingsrollen vermisst. »Main, Ecke Marblestreet, ein kleines Restaurant mit nur zwölf Sitzplätzen oder so. Bei jedem Mal fragen wir uns, wie so ein kleiner Laden überleben kann, und geben extra Trinkgeld.«

      Er schultert die Tasche, kommt auf mich zu und drückt mir einen langen Kuss auf die Lippen. Trotz des eisigen Windes wird mir so heiß, dass ich am liebsten noch mehr gemacht hätte, als ein paar intensive Küsse auszutauschen.

      »Meine Kleine ist wieder da.«

      »Ich war nie weg«, flüstere ich nur für ihn hörbar und streichele sein Kinn. Es tut gut, wieder zu wissen, wer man eigentlich ist. Natürlich, das eine oder andere Detail fehlt noch und immer wieder flackern Bilder in meinem Kopf auf, die ich mir nicht erklären kann, aber im Großen und Ganzen bin ich wieder da. Ich weiß sogar wieder, in welcher Stellung ich am besten komme, aber das will ich Ryan lieber erst einmal vorenthalten. Schließlich soll mein zweites »erstes Mal« besser werden als jenes in der neunten Klasse mit Jonny de Morelis auf der Rückbank seiner Rostlaube.

      »Und wie fühlst du dich?«

      Die Frage stellt er mir beinahe alle drei Stunden. Ich kann immer besser verstehen, warum sich mein jüngeres »Ich« in ihn verliebte.

      Wir gehen Hand in Hand zur Tür, dabei lehne ich mit dem Kopf an seinem Arm. »Als wäre ich zu Hause angekommen.«

      »Mehr