Nicolà Tölcke

Der Duft der indischen Nelke


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einem Barhocker so aufgeräumt aus, als habe sie sich vor dem großen Spiegel neben den Orange Boxen einen multiplen Orgasmus bereitet. Ihre Frisur gleicht der Janis Joplins nach einem inbrünstig vorgetragenen Summertime.

      Das macht mich zwar tierisch an, sie so zu sehen und am liebsten ginge ich unter ihrem Rock und auf ihrem Dekolleté auf Erkundungstour, aber ich weiß, dass diese erotische Spannung zwischen uns, wenn sie spontan unerfüllt bleibt, der kreativen Umsetzung musikalischer Ideen sehr förderlich ist.

      „Komm, meine Süße, du meine allerliebste of all the Bitches, lass uns uns unserer erhabenen, dekadenten Version von Choppis Nocturnes No. 3 in BH-Dur en Si Op. 9/3 widmen.“ Es macht mir Vergnügen, den ganzen Titel süffisant herzubeten! Für die Interpretation dieses classic Klassikers habe ich mir eine Spezialanfertigung einer Wersi-Orgel mit einem einmaligen Lautsprecher-Kabinett geordert. Das ist eine hölzerne Boxenkonstruktion mit darin rotierenden Leslie-Lautsprechern für den gleichnamigen Effekt. Ich nehme auf der Bank mit dem weinroten Samtbezug Platz, der an das Cover der Doppel-LP Odessa von den Bee Gees erinnert. Zuerst mal lasse ich die Lautsprecher im Kabinett rotieren und schalte ein wenig Hall ein. Die Noten hat mir Liane schon aufgestellt. Ein wenig Vibrato kann nicht schaden. Liane hat ihre Noten und den relevanten Text auf einem Notenständer vor sich. Sie rauft sich die Mähne und schnüffelt sich unter den Achseln. Dann greift sie sich ihre Geige. Ich beginne mit den ersten neun Tönen von Tin Soldier von den Small Faces.

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      Übergangslos geht es dann in die Melodie von Chopin. Nach zwanzig Sekunden steigt Liane ein und wiederholt die Melodie mit ihren Saiten und dem Rosshaar des Bogens. Unmittelbar danach kommt die Stelle, wo wir die Klänge das erste Mal schweben lassen. Liane ist mit dem Text dran: „Schmieg dich an meine Haut, bis die Sonne wieder scheint. Davor spielen wir das Spiel, von dem Robert Plant uns singt. Quetsche ich dich und knete ich dich, bis der Saft dir die Beine lang rinnt!“ Das bringt sie mit einer derart lasziven Betonung unter einer nahezu schmutzigen, betörenden Hervorhebung der Wortendungen, dass mir heiß und kalt wird. Aber dafür ist keine Zeit. Ich muss mich auf die Noten konzentrieren und sie auf ihren nächsten Geigeneinsatz. Wenn alles zur Zufriedenheit aufgenommen sein wird, werde ich unseren Percussionisten Pablo Rodriguez bitten, mit seinen Bongos und Congas etwas hinzuzuzaubern.

      „Ich bin bettreif, Chéri! Sei mir nicht böse, wenn ich schon mal in die Federn springe. Mach‘ hier noch so lange, wie du brauchst, um alles ultramäßig abzuschließen.“ Lara, die lang ausgestreckt auf dem alten braunen Leder Chaiselongue von Lianes Oma vor sich hingeschnarcht hatte, schließt sich ihrem Frauchen an. Die beiden sind unzertrennlich.

      Nach viermaligem Anhören, Zurückspulen und noch ein fünftes Mal, bin ich fast am Ende des Stückes angelangt. Wieder und wieder überlege ich, ob ich Nocturnes No. 3 so enden lasse, wie wir es begonnen haben. Ich füge dem Ende mit leichter Überblendung die neun Töne von Tin Soldier an. Da poltert mit entsetztem Gesichtsausdruck Paul ins Studio. „Hubèrt! Kommen rapide! Es sich passiert etwas. Schnell zu Liane, Hubèrt.“ Er eilt voran und ich hinterher. Auf dem lila Sitzsack vor unserem Schlafzimmer kauert blutüberströmt Leo. Über die rechte Gesichtshälfte führen die Spuren beeindruckender Krallen. Ich weiß natürlich, wer das war. Aber ich weiß nicht, warum sie das gemacht hat.

      „Was ist hier los?“ Leo antwortet nicht, sondern wimmert nur etwas debil.

      Im Schlafzimmer sitzt Liane im roten Kimono auf der Bettkante. Lara thront neben ihr und sieht mir mit stolzem Blick entgegen.

      „Chéri, dieser Leo ist wohl nicht ganz dicht. Auf dem Weg von der Toilette hierher muss er mir nachgeschlichen sein. Jedenfalls stand er plötzlich hinter mir, als ich mein Kleid ausgezogen hatte. Ich war nur im BH und bei ihm rutschte die Hose und er zeigte mir seine Erektion. Ich sagte, dass er unsere Gastfreundschaft in diese Richtung wohl missverstanden hätte. Daraufhin meinte er, dass seine Leistung trotz vieler Töpfchen Bier doch erstaunlich genug sei und es zudem schade sei, diesen Zustand ungenutzt zu lassen. Daraufhin bat ich ihn, das Zimmer zu verlassen und gab ihm noch den Rat, seine Hände zu gebrauchen. Er könnte ja dann an mich denken. Das fiele ihm nicht im Traume ein und wie ein Wiesel schubste er mich und warf mich rücklings aufs Bett. Lara sprang neben mich und knurrte und fauchte unüberhörbar. Doch in seinem Suff schien er das nicht zu hören, sondern wälzte sich auf mich. Da baute sich unsere Lara vor ihm auf und ratsch, batsch fing er sich eine mächtige Tatze in die verschwitzte Visage!“

      Ich nehme sie in die Arme. Sie zittert. Lara gibt mir Köpfchen und draußen zischt eine lallende Stimme: „Mistvieh, das büßt du mir!“

      Nach einer Weile klopft es an der Tür und Paul entschuldigt sich. „Pardon, dass ich störe, Monsieur Léo, er ist gegangen und gefahren los mit seiner Bulli!“

      „Merci Paul, geh‘ man nun auch schlafen.“ Ich schlüpfe zu Liane unter die Decke. Lara sitzt aufrecht am Fußende, so als müsse sie über uns wachen.

      Die Nachmittagsvorstellung von Catwalk im großen Kino von Pau ist nur spärlich besucht. Liane hatte schon ein paar Tage lang darauf gedrängt, diesen Film unbedingt sehen zu müssen. Irgendwie hat mich die Idee auch angebockt, da die Models einer Kollektion wohl nach den Greatful Dead liefen. Eine ganz und gar absurde Vorstellung. Glanz und Glamour der Modezaren von Paris nach dem morbiden Westcoast-Charme der

      Ultra-Hippies.

      Und so staksen die ersten Ladys gerade nach Baker Street in Outfits von Dior, als wir uns gemütlich und mutterseelen lonesome eine Veuve Clicquot öffnen. Nach einem Glas beginnt sich meine liebe Begleiterin für meinen Schoß zu interessieren. Jedenfalls spüre ich die Wärme ihrer linken Hand auf mir. Ihr ist heute so nach bravem Schulmädchen, denn zwei Rattenschwänzchen schaukeln rechts und links ihres auf Unschuld geschminkten Gesichtchens. Eine Bluse, die, wenn sie nicht so blütenweiß wäre, von ihrer Großmutter stammen könnte. Der rot-schwarz karierte Rock dürfte keinen Millimeter kürzer sein, da man ihn sonst eher als ziemlich breiten Gürtel bezeichnen müsste. Die weißen Kniestrümpfe, die aus den ebenso weißen Tennisschuhen herausragen, sind vielleicht das bravste, was sie heute zu dieser Cinema-Show trägt.

      Von der Leinwand kommt jetzt ein anderer Sound, eine andere Kollektion. Tatsächlich! Da ist er laut und deutlich zu hören:

      der Candyman von Jerry Garcia und Robert Hunter, eine Liveversion der Dead. Und sagenhaft geile Outfits getragen von

      auf Geisha geschminkten Asiatinnen. Alles fließende Chiffonstoffe, unter denen die Models nichts tragen.

      Jetzt kommt eine große Blonde und sie ist keine Asiatin, aber ihre Augen sind definitiv so geschminkt. Eher wie eine Katze schleicht sie über den Laufsteg. Just für sie spielen die Dead auch live Little Red Rooster. Das eng anliegende Top lässt ihre beiden birnenförmigen Brüste bis in alle Einzelheiten erkennen. Die Trompetenärmel wehen im exakten Rhythmusgefühl ihrer Trägerin. Liane ist ohne jede Scham, hat meine Hose geöffnet und beginnt, an mir zu kosten.

      „Du schmeckst aber heute nach reifen Kastanien!“, flüstert sie mir von unten zu.

      „Kein Wunder, du Biest!“, zische ich ihr ins Ohr. „Du weißt doch, dass ich auch feucht werde, wenn du mich noch dazu in der Öffentlichkeit so anmachst.“

      Die blonde Asiatin führt nun zum zweiten Mal ihren schwarzen, wadenlangen Stufenrock entlang der bewundernden Blicke eines vornehmlich weiblichen und ausnahmslos ultragestylten Publikums. Jetzt kommt die Stelle, wo der künstliche Wind besonders aufreizend die Rockschöße wirbelt. Sie passt nicht gut auf. Ich möchte meinen, sie legt es sogar darauf an, denn unmerklich verlangsamt sie ihren Walk und wie bei Marilyn auf dem U-Bahnschacht bildet der Rock ein schirmartiges Outfit.

      „Die ist ja rasiert!“, tuschele ich nach unten. Liane lässt kurz von mir ab und kann gerade noch miterleben, wie sich der schwarze Chiffon nach dem Ausnutzen der Bö wieder nach unten fallen lässt und die Blondine mit pobetontem Gang den Steg verlässt.

      Jetzt ist wieder eine, vermutlich echte Japanerin auf dem Weg. Ein schwarzweißes Kimonokleid mit tiefem Ausschnitt gleitet ihr um den grazilen Körper. Bei mir gleitet etwas sehr Stolzes, weil sanft Umhegtes, in sündigen