Ava Patell

Ein Hauch von Vorsehung


Скачать книгу

Im Ton. Im Benehmen. Das war absolut nicht angebracht, Kaden wusste das, aber er hatte die Nase voll. Er war es leid. Und genau darum hatte er den Job auch nicht annehmen wollen. »Ich mache jetzt Feierabend.« Damit verließ Kaden das verglaste, sauteure Büro, das er vermutlich zum letzten Mal betreten hatte, ohne eine Antwort abzuwarten. Er zog die Tür viel zu laut hinter sich zu, so dass das Glas wackelte, und spürte Dareas schockierten Blick in seinem Nacken.

      Sie sprang sofort auf, als Kaden den Flur entlang lief.

      »Was hast du getan?«, fragte sie, noch während sie die Tür aufstieß und sah Nikolaj an, sah auf den Stapel Papier und dann wieder zu ihm. »Was ist das?«

      Wut lag in der Luft, nicht nur als Duft, sondern auch deutlich wie eine Aura spürbar. Auch Darea musste die Wut riechen können. Heiß und rot, metallisch wie der Geruch von Scham, nur viel intensiver und ein wenig bitter.

      Leicht schüttelte Nikolaj den Kopf, weil er keine Antwort auf ihre Frage hatte. Stattdessen hob er den schwarzen Edding vom obersten Blatt. Die Seiten waren in sich ein wenig verrutscht. Nikolaj überflog die erste Seite. Runzelte die Stirn. Legte den Edding neben den Blättern auf den Tisch und überhörte Dareas Drängen, ihr zu sagen, was los war. Er hob die oberste Seite hoch, überflog die zweite und blätterte dann einmal durch den Bericht wie bei einem selbst gezeichneten Daumenkino.

      »Das gibt es doch nicht«, murmelte er fassungslos. Das war keine Zusammenfassung. Das war eine Abschrift! Kein Protokollant am Gericht hätte weniger Fehler machen können. Jedes Wort, jede Haarfarbe, jeder Name, jede Information! Mai Trans Bitte, die Auskunft darüber, dass der Marketingabteilung noch eine Genehmigung der Stadt fehlte, sogar Informationen, die er selbst nicht mitbekommen hatte wie die über Faraday. Als Nikolaj den Blick hob, um in Dareas Augen zu sehen, sah sie ihn ernsthaft besorgt an. Zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf, um sie in diesem Moment greifen zu können. Wie war das möglich?

      »Nik, jetzt sag mir, was los ist.«

      Er strich sich durchs Haar, blickte wieder perplex auf den Stapel Papier. »Ich habe Mr. Williams gebeten, eine Zusammenfassung vom Meeting zu schreiben. Aber er hat sich nichts notiert, nur ein paar Namen von den Abteilungsleitern und deren Bereiche. Daraufhin sagte ich ihm, dass ich ihm voraussage, dass ich mit dem Bericht nicht zufrieden sein würde.« Dann drehte er ihr nur wortlos den Papierstapel zu.

      Sie lauschte seinen Worten, hob nur eine Augenbraue, die ihr Missfallen ausdrücken sollte, und dann griff sie nach dem Stapel. Ihre Augen flogen über das Papier. Und wurden immer größer. »Das ...« Sie blätterte weiter. »Das ist ...« Sie trat um den Tisch und setzte sich dann neben ihn auf die Couch. Ihr Blick ging auf die Seiten. Wieder blätterte sie darin. Dann runzelte sie die Stirn. Und schlug Nikolaj schließlich mit ein paar der Seiten auf den Kopf. »Wieso bist du eigentlich immer so unsensibel?«

      »Ich konnte doch nicht ahnen, dass er so etwas kann.« Er deutete auf die Seiten. »Wie geht das überhaupt? Das ist doch verrückt!«

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich sehe so etwas zum ersten Mal«, gestand sie.

      »Na wenigstens darin sind wir einer Meinung.« Nikolaj erhob sich, trat an den kleinen Getränkewagen und goss sich eine Neige Scotch ein. Schnell nippte er an dem Glas. »Das muss ein fotografisches Gedächtnis sein.« Sein Blick fiel auf den Edding. »Er war so wütend.« Der Geruch hielt sich noch immer hartnäckig im Raum und kribbelte Nikolaj in der Nase.

      Dareas Blick folgte seinem. Und blieb an dem Stift hängen. Dann sah sie wieder auf und zu dem Glas. »Du stellst sofort dieses Glas weg.«

      Nikolaj schürzte die Lippen und begegnete Dareas Blick. »Ich bitte dich. Das ist doch nicht viel.«

      Sie erhob sich, nahm ihm das Glas ab und leerte es in einem Zug. »Du kannst mit einer Fahne nicht Auto fahren.« Ein weiteres Mysterium. Trotz ihrer geschminkten Lippen hinterließ sie keinen Lippenstiftrand auf dem Glas.

      Nikolaj kniff die Augen zusammen, griff nach ihrem Handgelenk und nahm ihr mit der freien das Glas ab, um es auf dem Getränkewagen abzustellen. Dann ließ er ihr Handgelenk wieder los.

      Sie sah ihn weiterhin ungerührt an. »Du bist ja immer noch da.«

      »Denkst du, ich erwische ihn noch an der Haltestelle?«

      Ihr Blick ging zur Uhr an der Wand. »Nein. Die Bahn ist gerade weg.«

      »Dann habe ich Zeit. Mit der Bahn braucht er länger als ich mit dem Auto.« Nikolajs Blick fiel auf den Tisch. Er trat näher und hob den Edding hoch, schob ihn sich in die Manteltasche. Dann ging er zu seinem Schreibtisch, zog eine Schublade auf und holte sowohl Autoschlüssel als auch eine CD daraus hervor. Mit einem letzten Blick auf Darea verließ er schließlich das Büro. Vor Kadens Wohnhaus wartete er, an seinen Chrysler gelehnt.

      ›Und wenn Sie fertig sind, dann können Sie mir gerne ein dickes, fettes Freak auf die Stirn schreiben. Auch das wäre nichts Neues‹ , gingen ihm Kadens Worte durch den Kopf. Inzwischen spielten seine Finger mit dem Stift in seiner Hand, drehten ihn hin und her. Er starrte auf den Hauseingang ohne etwas zu sehen. Weder nahm er das Licht wahr, das ansprang, wenn jemand das Haus betrat oder verließ, noch die Menschen, die es auslösten. Für einen Moment schloss Nikolaj die Augen. Dieser Duft, der sich auf so merkwürdige Art mit dem Kadens gemischt hatte. Der so gar nicht zu dessen üblichem Geruch passen wollte. Kaden war wirklich sauer gewesen! So ganz anders als sonst. Er hatte sogar rote Wangen gehabt, die sich mit dem rötlichen Glanz auf seinem Haar gestochen hatten und das Feuer in seinen Augen hatte sich für immer in Nikolajs Gedächtnis gebrannt.

      Er sah auf, als er das nächste mal Schritte hörte, schob den Edding zurück in sein Jackett. Kadens Weg führte ihn direkt zur Haustür, er schien den Mann, der im Halbdunkel an das Auto gelehnt stand, nicht einmal zu bemerken. Den Blick gesenkt, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, bis er die Tür aufschließen wollte. Nikolaj folgte ihm zur Haustür. Auch davon schien Kaden nichts mitzubekommen. Gerade hatte dieser die Haustür aufgeschlossen und einen Spalt breit geöffnet, als Nikolaj neben ihn trat und sie ihm vor der Nase wieder zuzog. Da war keine Spur mehr von der Wut wahrzunehmen. Viel eher wirkte der Duft Kadens jetzt schwer. Bedauern, erkannte Nik. Traurigkeit.

      Es war nicht nur die Hand, die sich in Kadens Blickfeld schob und ihn beinahe zu Tode erschreckte. Es war der Duft, der ihm gleichzeitig in die Nase stieg. Dieser so typische und unverwechselbare Duft. Er zuckte zusammen vor Schreck, sah aber nicht auf.

      »Shit«, murmelte er nur und sah auf die fremde und gleichzeitig vertraute Hand, die auf dem Türknauf lag und ihn so am Eintreten hinderte.

      »Wir müssen uns unterhalten.«

      Kaden nickte leicht und drehte sich ein Stück, sah aber immer noch nicht auf. Nikolaj griff nach Kadens freier Hand, zog sie nach oben. Mit der anderen griff er in seine Manteltasche, in die er den Edding gesteckt hatte. Fest drückte er Kaden den Stift in die Hand. Dieser sah darauf und verzog das Gesicht.

      »Gott, es tut mir so leid. Ich hätte das nicht sagen dürfen. Bis wann soll ich mein Büro räumen?«

      Nikolaj schnaubte leise und ließ die Hand los. »Oh nein, an dem Punkt sind wir noch lange nicht. Dieses Gespräch bestimme ich. Wieso haben Sie mir nichts davon gesagt?«

      Kaden umklammerte den Stift, als wäre er ein Anker. »Das ist nichts, was man jedem auf die Nase bindet«, sagte er leise und sah Nikolaj immer noch nicht an.

      »Ich muss so etwas wissen. Nur dann kann ich vermeiden, mich wie ein kompletter Idiot zu verhalten, klar?«

      »Nicht Sie haben sich wie ein Idiot verhalten.«

      Nikolaj spürte, wie er ungehalten wurde, behielt sich aber noch unter Kontrolle. »Erzählen Sie mir davon.« Sein Tonfall machte deutlich, dass es keine Bitte war.

      Kaden seufzte und lehnte sich an die Tür, fuhr sich durch die Haare. »Was wollen Sie wissen?«

      »Was können Sie sich alles merken?«

      Kaden zuckte die Schultern. »Das ist nichts, was ich willentlich tue.«

      »Wenn ich Sie nach unserem ersten