Ava Patell

Ein Hauch von Vorsehung


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der aus seinem Schlaf hoch. »Was?!«, rief er und zuckte dann zusammen. Zum einen, weil er Nikolaj vor sich erkannte und zum anderen, weil irgendetwas in seinem Nacken lautstark knackte.

      Das hohle Geräusch des Knackens war selbst für Nikolaj zu hören, aber er sah fest auf Kaden herab. »Hallo. Wir sollten uns unterhalten.«

      Schwer schluckte Kaden. »Tut mir leid. Ich wollte nicht einschlafen.« Er rieb sich fest über die Augen. Sie brannten wie Feuer.

      Nikolaj hob die Kiste vom Stuhl, stellte sie auf dem Boden ab und setzte sich. »Sie sollten gar nicht mehr hier sein.«

      »Aber ich darf nichts davon mit nach Hause nehmen.« Er hatte den Vertrag gelesen. Er war ja nicht doof. Firmenunterlagen hatten die Firmenräume nicht zu verlassen. Es sei denn mit ausdrücklicher Genehmigung.

      Nikolaj schüttelte den Kopf. »Nein, das dürfen Sie nicht. Das meinte ich aber auch nicht. Mr. Williams, wenn ich mich hier so umsehe, kann ich erkennen, dass Ihnen die Arbeit über den Kopf wächst.«

      Kaden zuckte zusammen. »Wa... Nein!« Er sah Nikolaj an. »Nein, ich schaffe das schon!« Das lief ja wunderbar, dachte er bei sich. Zwei Wochen und schon stand er kurz davor, gefeuert zu werden. Und das, wo es gerade anfing, Spaß zu machen!

      »Mr. Williams, ich bin nicht sicher, ob ...«, begann Nikolaj nachdrücklich, doch Kaden unterbrach ihn schnell.

      »Nein, ich schaffe das! Bitte. Ich kann das Wochenende durcharbeiten, das ist kein Problem. Aber bitte, geben Sie mir noch eine Chance.« Innerlich runzelte Kaden die Stirn. Bettelte er etwa gerade? Oh Jesus, das war erbärmlich. Aber die Wahrheit war, diese Arbeit forderte ihn. Auf eine Art und Weise, wie es noch keine andere je getan hatte. Ja, es ging an seine Reserven, aber das war auch etwas Gutes! Denn er hätte nie gedacht, dass es so etwas tatsächlich gab. Nikolajs Gesichtsausdruck veränderte sich genau so weit, dass man erkennen konnte, wie ungern er unterbrochen wurde. Und das ging einher mit einer Veränderung seines Geruchs. Nur eine feine Nuance. Mehr wie ein Hervortreten dieser maskulinen Anteile. Schwer schluckte Kaden. »Entschuldigung.«

      »Ich spreche nicht davon, Sie zu feuern. Ich spreche davon, dass ich unterschätzt habe, wie viel Sie aufzuholen haben. Ich sehe, dass Sie es aufholen, aber auch, dass Sie viel Zeit dafür brauchen.«

      »Es tut mir leid.« Ja, es tat ihm auch leid! Er war eingerostet und es war einfach eine Menge zu lesen und egal, was sein Gehirn in der Lage war zu leisten, seine Augen waren einfach nur ganz normale Augen. Und die konnten auch nicht zwei Seiten auf einmal lesen, auch wenn sie in der Lage waren, eine Seite in Rekordgeschwindigkeit durchzuarbeiten und das Gelesene auch noch für immer abzuspeichern.

      »Ja. Das merke ich«, kam die feste Antwort. Beinahe war Kaden, als konnte er sehen, wie Nikolaj die Nase verzog. Wahrscheinlich stach ihm der Geruch in der Nase. »Sie müssen etwas zurückgeben.«

      Kaden sah auf das Durcheinander auf seinem Tisch, das für ihn durchaus eine Ordnung hatte. »Und was?«, fragte er, ließ die Schultern sinken.

      »Gibt es etwas, was Ihnen leicht fällt, Sie aber viel Zeit kostet?«

      »Das Korrektur-Lesen. Aber das macht Spaß.« Und noch dazu konnte er durch die vielen Verträge oder Vertragsänderungen eine Menge über dieses Business lernen.

      Nikolaj hob die Hände. »Ist mir egal. Suchen Sie etwas aus. Aber Sie nützen mir nichts, wenn Sie auf dem Schreibtisch einschlafen.«

      Das war klar und deutlich. Kaden biss die Zähne zusammen. »Kann ich nicht das Wochenende über arbeiten? Ich bin sicher, ich kann alles bis Montag schaffen.«

      »Nein.«

      Nikolajs Blick war weit mehr als stechend und Kaden musste wegsehen. Sah auf seine Hände. »Dann die Tapes.«

      »Gut. Sie können mir gern Ihre bisherigen Ergebnisse mitteilen. Stellen Sie den Karton mit den Tapes einfach auf Dareas Schreibtisch. Und jetzt«, der Firmenchef erhob sich, »kommen Sie.«

      Verwirrt sah Kaden zu ihm auf. »Wo gehen wir denn hin?«

      »Schalten Sie alles aus und nehmen Sie Ihre Sachen.«

      »Huh«, machte Kaden leise. Er würde wohl keine Antwort bekommen. Also erhob er sich, schaltete den Laptop aus, nachdem er alles gespeichert hatte und suchte sein Zeug zusammen. »Und jetzt?«

      Nikolaj hielt die Tür auf und deutete in den Flur davor.

      Kaden seufzte und trat nach draußen. Die Beleuchtung war inzwischen deutlich gedämpft und er fragte sich, wie spät es war. Er kramte nach seinem Handy, um auf die Uhr sehen zu können.

      »Es müsste etwa 19 Uhr sein«, erklärte Nikolaj, zog die Bürotür zu. »Kommen Sie.« Er schlug den Weg zu den Fahrstühlen ein. »Wie lange haben Sie in den letzten Tagen gearbeitet?«

      »So bis acht ...« Manchmal auch noch etwas länger.

      Ohne eine Miene zu verziehen legte Nikolaj den Mantel auf seinem Arm zurecht. »Wie lange brauchen Sie nach Hause?«

      Kaden runzelte die Stirn. Irgendwie gefiel ihm die Richtung nicht, in die sich dieses Gespräch gerade entwickelte. Aber wie schon erwähnt, er war kein Freund von Lügen. »Wenn es gut läuft, dann eine knappe Stunde. Wieso?«

      Nikolaj blieb vor den Fahrstühlen stehen und drückte den Rufknopf, sah dann zu Kaden. »Sie arbeiten zu lange.«

      »Wie Sie schon festgestellt haben, ich habe eine Menge aufzuholen.«

      »Wie ich schon festgestellt habe, habe ich unterschätzt, wie viel.« Die Fahrstuhltüren sprangen auf und sie traten ein. Kaden sah auf die Anzeige, auf der jetzt die Taste für die Tiefgarage leuchtete und schluckte.

      »Was wird das hier? Ist das ... so etwas wie eine Entführung?«

      Ein irritierter Blick, wie er ihn noch nicht von Nikolaj gesehen hatte, traf ihn. »Wie bitte?«

      Der hob fragend eine Schulter. »Sie sagen mir ja nicht, wo wir hingehen. Oder fahren. Vermutlich fahren.« Er deutete auf den leuchtenden Knopf für die Tiefgarage.

      Nikolajs Mundwinkel zuckte. »Und Sie glauben, ich würde Sie entführen? Das trauen Sie mir zu?«

      »Ich kenne Sie ja nicht.«

      »Das ist wohl Antwort genug.« Sie traten in den Vorraum zur Tiefgarage. »Ich entführe Sie nicht.«

      »Sie sagen mir aber auch nicht, wo wir hinfahren.«

      »Und macht Ihnen das Angst?« Nikolaj deutete schließlich auf einen schwarzen Chrysler nicht weit von der Tür entfernt.

      Kaden sah auf das nachtschwarze Auto und blinzelte. »Wow«, machte er beeindruckt. Dann schüttelte er den Kopf. »Unter normalen Umständen vielleicht, aber ich fürchte, ich bin zu müde dazu.«

      Nikolaj betrachtete Kaden, während er die Fahrertür öffnete. »Steigen Sie ein. Haben Sie Hunger?«

      Es klickte leise, als Kaden den Gurt schloss und sah dann zu Nikolaj. Dessen Haar lag perfekt, selbst jetzt, nach so einem langen Arbeitstag. Die gerade Nase, die vollen Lippen. Die maskuline Kieferpartie. Und alles hier in diesem Auto roch nach ihm. Unwillkürlich atmete Kaden tief ein. Wie das frische Meer und der kühle Wald.

      »Wieso fragen Sie das?«

      »Davon hängt ab, ob wir noch einen Zwischenstopp machen«, erklärte Nikolaj und lenkte den Wagen durch die Tiefgarage Richtung Ausgang.

      »Also füttert man Geiseln, bevor man sie in Ketten legt?« Kaden sank lächelnd tiefer in den Sitz. Denn obwohl die ganze Situation sehr merkwürdig war, konnte er nicht umhin zu bemerken, wie bequem die hellen Ledersitze waren.

      Nikolaj lächelte verschmitzt. »Schon mal von der Henkersmahlzeit gehört?«

      Das brachte Kaden zum Lachen. »Oh Gott, jetzt wollen Sie mich auch noch töten.«

      Der Abend war bereits über La Junta Gardens hereingebrochen. Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte 19:24 Uhr an. Und natürlich knurrte Kadens