Ava Patell

Ein Hauch von Vorsehung


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hatte Mühe, mit vollen Händen den Schlüssel in das Schloss zu bekommen, klemmte dazu vorsichtig die Cola zwischen linkem Unterarm und Oberkörper und drückte die Tür mit der Schulter auf. Er schaffte es tatsächlich, den Colabecher samt Inhalt in seine Einzimmerwohnung zu transportieren und seufzte bei dem Anblick. Er war nicht wirklich zum Aufräumen gekommen in den letzten Tagen. Auf dem kleinen Küchentisch lag alles voller Bücher und Zettel, genau wie auf dem Stubentisch. Das Schlafsofa hatte seit Tagen nicht mehr als Sofa gedient, im Grunde ja nicht mal richtig als Bett, da er kaum geschlafen hatte.

      Zwei Bücher schob Kaden auf dem Küchentisch zur Seite, stellte das Essen dort ab und hängte den Mantel über den Stuhl. Kurz wusch er sich die Hände, bevor er, während der Fernseher lief, den Burger verschlang. Master Burger machte die besten Burger. Das Gemüse war immer frisch, das Fleisch saftig, der Bacon knusprig und sie sparten nicht an Soße. Das war überhaupt das Beste daran. Man sah hinterher aus wie ein Schwein, aber es schmeckte grandios. Nur eines wurde ihm wie so oft bewusst. Er mochte es nicht, alleine zu essen. Auch der Fernseher half da nicht.

      Ihm fehlte seine Mutter. Natürlich gehörte es dazu, auszuziehen. Aber Kadens Mutter und er hatten sich immer gut verstanden und es war eher dem sozialen Druck geschuldet gewesen, dass er ausgezogen war. Er hatte es geliebt, mit ihr zusammen zu Abend zu essen. Dabei einen Film zu sehen oder über Unsinnigkeiten zu diskutieren. Sie war die Einzige, die ihn so kannte, wie er wirklich war. Er knabberte an einem Pommes, als ihm bewusst wurde, dass er lange nicht mit ihr gesprochen hatte. Tief seufzte er und angelte nach seinem Handy. Das Gespräch war kurz. Denn er war nach wie vor verdammt müde. Aber sie verabredeten sich für den nächsten Tag. Egal ob er noch so viel zu lesen hatte. Sie fehlte ihm und gegen ein Mittagessen war ja wohl nichts einzuwenden.

      Sie trafen sich bei ihrem Lieblingsitaliener und Kaden lächelte, als sie das Restaurant betrat und er sie kommen sah. Sie sah toll aus. Wie immer. Ihr Haar hatte die gleiche rötlich braune Farbe wie seines, war aber bedeutend länger.

      Sie umarmten sich lange zur Begrüßung und tief sog Kaden ihren vertrauten Duft ein, den sie mit einem leichten Parfum unterstrich.

      »Oh Honey, du siehst müde aus.« Sie legte ihre Hände an seine Wangen und küsste ihn auf die Stirn. »Und hast du abgenommen?«

      Nachdem sie bestellt hatten, griff sie nach seinen Händen und sah ihn fest an. »Und jetzt erzähl mir alles. Bis ins kleinste Detail. Von deinem neuen Chef. Und dieser ... Wie hieß sie? Darea Harrison?«

      Kaden nickte.

      »Ich möchte alles wissen. Schläfst du denn auch genug?« Sie wirkte ernsthaft besorgt. Es tat so gut, sie zu sehen. In ihre dunklen, braunen Augen zu schauen. Sie wirkte so jung. Was kein Wunder war, denn sie war es auch. Sie war gerade 16 Jahre alt gewesen, als sie Kaden bekommen hatte. Selbst noch ein Kind. Und nachdem Kadens Erzeuger sie im Stich gelassen hatte, war es schwer für sie gewesen. Selbst noch ein Kind, auf einmal für ein Kind verantwortlich zu sein, ohne den Rückhalt des Vaters. Aber dank Kadens Großeltern hatte sie es geschafft, die Schule zu beenden und eine Ausbildung zu machen.

      Kaden liebte sie. Sie hatte so sehr für ihn gekämpft und alles dafür getan, damit er eine schöne Kindheit hatte. Vielleicht hatten sie auch deshalb so ein gutes Verhältnis. Sie standen sich nahe, hatten viel gemeinsam gemeistert. Zwei gegen den Rest der Welt. Das hatte sie immer gesagt. Sie hatte ihm immer zugehört. Hatte ihn wieder aufgebaut, wenn er in der Schule erneut als Freak beschimpft worden war. Sie hatte alles getan, was ihr möglich war, um ihn zu fördern. Bis zu dem Punkt, an dem Kaden es nicht mehr gewollt hatte. An dem er beschlossen hatte, dass es einfacher war, einige Dinge einfach für sich zu behalten.

      Von diesem Moment an war sein Leben auf die eine Art einfacher geworden, auf die andere schwerer. Aber bei ihr konnte er sein, wer er war. Und darum erzählte er ihr auch die ganze Geschichte. Wie die letzten zwei Wochen verlaufen waren. Die Shoppingtour mit Darea Harrison. Die Unmengen an Informationen, die er sich erarbeiten musste. Sie hörte geduldig zu, während sie ihre Pizza aß und Kaden seine Lasagne. Nach der Hälfte tauschten sie, wie sie es immer taten.

      Sie legte schließlich die Gabel weg. »Und er greift dir nicht unter die Arme?« Sie rümpfte leicht die Nase.

      Kaden schüttelte den Kopf. »Ich denke, er hat da keine Zeit zu. Und ich wusste ja, worauf ich mich einlasse. Genau genommen ist es ja meine Aufgabe, ihm unter die Arme zu greifen.«

      Sie schwieg einen Moment. »Das gefällt mir nicht, Honey. Ein Chef sollte doch immer für seine Angestellten da sein.«

      Kaden gluckste. »Mum, das ist in einem großen Unternehmen kaum möglich.«

      »Ach Blödsinn. Dafür gibt es doch Abteilungsleiter. Irgendwer ist immer der Ansprechpartner bei Problemen und Nöten.« Sie winkte ab. »Ich möchte mich auch nicht einmischen, Honey. Du bist erwachsen. Du weißt schon, was du tust. Und ich bin froh, dass du endlich etwas gefunden hast, das dich fordert. Nur ... Mach dich nicht kaputt, okay? Versprich mir das.«

      Lächelnd sah er seiner Mutter in die Augen. »Versprochen.«

      Sie nickte lächelnd. »Sehr schön. Und jetzt gehen wir einkaufen.«

      »Was?«

      Sie grinste. »Wenn diese Darea Harrison mit dir einkaufen gehen darf, dann darf deine alte Mum das doch wohl auch.«

      »Du bist nicht alt.«

      Sie schnaubte und winkte nach der Rechnung. »Na siehst du? Dann kann ich dir ja auch etwas Hübsches kaufen. Ich habe auch schon eine Idee, was. Mein Baby muss sich nicht noch mal sagen lassen, nicht hübsch auszusehen. Nicht umsonst habe ich so einen hübschen Jungen bekommen.« Sie kniff Kaden in die Wange.

      »Mum, bitte ...«

      Der Sonntag verlief wie der Rest der Woche. Mit einer Menge Buchstaben vor Kadens Augen.

      Kapitel 3

      Ausnahmsweise wurde Nikolaj an diesem Wochenende mal nicht von einem unvorhergesehenen Zwischenfall überrascht. Kein Künstler mit exzentrischen Anwandlungen, keine Krise in der Firma, keine geplatzten Konzerte oder Signierstunden, keine Probleme in der Rechts- oder Finanzierungsabteilung, keine Computerabstürze oder durchgebrannten Festplatten. Ausnahmsweise lief alles glatt und so erschien er pünktlich und erholt am Montagmorgen in der Firma, begrüßte Darea und hängte seinen nassen Mantel und den tropfenden Regenschirm an den Garderobenständer, bevor er sich an die Arbeit machte. Nikolaj war dankbar für den Kaffee, den ihm Darea brachte und bereitete sich auf einen Tag mit einer langen Teamsitzung vor. Die Abteilungsleiter würden ihm im großen Konferenzsaal Berichte abstatten, sodass er einen Eindruck von ihrer Arbeit bekam. Es war Nikolaj wichtig, nicht nur von den Musikabteilungen monatlich zu erfahren, welche Künstler Probleme machten, eventuell vertragsbrüchig wurden. Es war ihm auch wichtig zu hören, was die Marketing-, Finanz- und IT-Abteilung zu sagen hatten. Von seinem Assistenten erwartete er eine Zusammenfassung der Sitzung, was bedeutete, dass auch Kaden einen langen Tag haben würde.

      Kaden war wirklich froh, für die Zeit der Konferenz mal nichts lesen zu müssen. Er konnte einfach nur auf seinem Stuhl sitzen, hatte ein Klemmbrett mit ein paar Blättern vor sich, um eventuell ein paar Notizen zu machen. Im Grunde jedoch eher als Alibi. Mit der Spitze des Kugelschreibers tippte er immer wieder gedankenverloren leicht auf das Papier und wartete darauf, dass sich der Raum füllte. Auf dem langen Tisch stand eine Vielzahl von Gläsern, Tassen und Getränken bereit, von denen die bereits Anwesenden regen Gebrauch machten. Ein angenehm geschäftiges Summen von leisen Stimmen klang im Raum, das Kaden an einen Bienenschwarm erinnerte.

      »Mr. Williams?«

      Vor Schreck malte er einen Strich quer über das Papier, als Nikolaj so unvermittelt im Raum auftauchte und sich an die Stirnseite des langen Tisches setzte.

      »Ja?«

      Nikolaj deutete auf den Stuhl neben sich. »Bitte setzen Sie sich doch neben mich.«

      Kaden sah auf die Hand Nikolajs, die auf den Stuhl neben sich deutete. »Oh. Okay.« Kaden erhob sich und setzte sich dann zu seinem Vorgesetzten auf den noch freien Stuhl, legte das Klemmbrett