Ava Patell

Ein Hauch von Vorsehung


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deshalb das Folgende sagte: »Sie klingen wie eine Werbeanzeige.« In seinem Kopf hatte er einen fetten Knoten.

      Darea griff nach dem Wasserglas und schob es Kaden wortlos näher hin, während Nikolaj die Zeit nutzte, sein Gegenüber eingehender zu betrachten. Die Nase hatte einen leichten Schwung, die Augen, die er anfänglich nur für grün gehalten hatte, wiesen einen leichten braunen Schimmer um die Iris auf. Er fragte sich, wann er das letzte Mal den Duft nach Granatapfel in der Nase gehabt hatte. Kaden griff nach dem Glas.

      »Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, Sir. Vor allem nach dem, was passiert ist, aber ich halte mich nicht für qualifiziert für so einen Job.«

      »Ich schon. Wie ich schon sagte, alle anderen Bewerber haben diesen Test nicht so ausgeführt wie Sie. Das zeigt mir, dass Sie sich in die Situationen hineinversetzen und dann Lösungen finden, die meinen sehr nahekommen.« Nikolaj warf Darea einen Blick zu und sie nickte, erhob sich und legte kurz darauf eine Dokumentenmappe auf dem Tisch ab, die er Kaden Williams hinschob. »Nehmen Sie das mit. Überlegen Sie es sich. Ich werde Sie in drei Tagen anrufen.«

      Kaden schluckte schwer und sah auf den blauen Ordner vor sich. Dann griff er vorsichtig danach. »Okay.« Trotzdem, eine Frage hatte er noch. »Also werden Sie das Hotel nicht verklagen?«

      »Nein. Das Hotel hat damit nichts zu tun. Wie Sie schon sagten. Das ist eine Sache zwischen Ihnen und mir.«

      Erleichtert atmete Kaden auf. »Danke.«

      Als die Tür hinter Kaden Williams ins Schloss gefallen war, sah Nikolaj ihm hinterher. »Du hast dich nicht in ihm getäuscht«, sagte er leise und Dareas Grinsen spürte er so deutlich wie ihren Blick, der auf ihm ruhte.

      »Oh nein. Ich irre mich nie«, antwortete sie selbstsicher.

      ***

      Als Kaden seinen Spind ausräumte, war von Irma weit und breit nichts zu sehen. Und um ehrlich zu sein war er froh darüber. Er wollte jetzt nicht mit ihr sprechen. Am liebsten wollte er jetzt mit niemandem sprechen. Er wollte nur nach Hause, an seinem Laptop seine Kündigung schreiben, sie ausdrucken, per Post hierher schicken und auf dem Rückweg das kalorienreichste Eis kaufen, das er finden konnte. Und sich danach in seiner Wohnung verkriechen. Aber vorher musste er noch zu Mrs. Fowler und ihr die guten Nachrichten überbringen. Sie nahm sie gelassen auf. Der übliche Gleichmut, schien es. Kaden verließ das Hotel durch den Personaleingang und stand dann, in seinen Mantel gewickelt, auf dem Bürgersteig. Gute zwei Jahre. Und das war’s. In seiner Tüte steckte auch der Ordner. Er hatte noch nicht hineingeschaut.

      Wenn man es ganz genau betrachtete, dann hatte er noch wahnsinniges Glück gehabt, dachte er zwei Tage später. Keine Klage. Weder vom Hotel, noch von Mr. Sorokin persönlich. Und dafür sollte er dankbar sein. Ja. Das war er auch. Kaden hätte sich nie im Leben einen Anwalt leisten können. Nicht, ohne sich hoch zu verschulden. Die Kündigung war inzwischen im Hotel eingegangen und im Grunde nichts weiter als eine Formalität.

      Dieses Kapitel seines Lebens war vorbei und er war traurig darüber. Die Arbeit im Hotel hatte Spaß gemacht. Sie hatte ihn abgelenkt. Weniger geistig als viel mehr körperlich und das war gut gewesen. Jetzt hier zu sitzen, nichts zu tun zu haben, zeigte ihm nur, wie sehr er das gebraucht hatte, denn in seinem Kopf wirbelten Gedankengänge, die nicht gesund waren. Er hatte es mit Lesen versucht, aber alle Bücher, die er besaß, kannte er bereits und musste sie nicht aufschlagen, um die Buchstaben vor sich zu sehen. Und ein neues Buch zu kaufen ... Nun, unter den gegebenen Umständen war das wohl keine gute Idee.

      La Junta Gardens war, ähnlich wie New York, ein sehr teures Pflaster und Kaden musste sein Geld jetzt, da er kein Einkommen mehr bezog, zusammenhalten. Er seufzte tief, wenn er daran dachte, dass eine Lösung für vermutlich beide Probleme vor ihm auf dem kleinen Tisch lag. Nach dem dunkelblauen Ordner zu greifen, würde ihm sowohl etwas zu lesen geben und wenn er zustimmte, dann am Ende vielleicht sogar ein Gehalt, mit dem er seine Miete zahlen konnte.

      Dennoch, das konnte nicht wahr sein. So ein Angebot für so eine Position. Das war einfach nicht möglich. Dank Irma wusste Kaden inzwischen, dass der Interview-Raum für den Zweck der Vorstellungsgespräche gemietet worden war und er konnte sich sehr gut vorstellen, was für Männer und Frauen sich auf solch eine Stelle beworben hatten.

      Harvard, Yale, Columbia. Als Assistent eines so erfolgreichen Mannes arbeiten zu können, wäre für diese studierten Köpfe mehr als nur ein Sprungbrett. Vielleicht sogar der Weg in eine Geschäftspartnerschaft und wieso sollte ein Mann wie Nikolaj Sorokin auf die Idee kommen, jemanden wie ihn auszuwählen? Das leuchtete Kaden nicht ein.

      Und noch etwas leuchtete ihm nicht ein. Mr. Sorokin hatte gesagt, er hätte die ›Aufgabe so gut wie kein Zweiter gelöst‹. Natürlich konnte er sich an diesen Wortlaut genau erinnern. Auch wenn er sich sonst an nicht viel erinnern konnte, was in diesem Zimmer passiert war. Verdammt, er konnte sich ja kaum daran erinnern, wie Sorokin ausgesehen hatte! Alles wirkte verschwommen und das war äußerst ungewöhnlich für sein verqueres Gehirn. Nur der Blick aus hellen, klaren blau-grauen Augen wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. So fest. So unerschütterlich. Es war beängstigend, wie deutlich er ihn noch vor sich sehen konnte.

      Kaden merkte, wie er auf seiner Daumenspitze herumkaute und zog den Finger von seinen Lippen. Er erhob sich, lief in die Küche. Was genau vier Schritte vom Sofa aus brauchte.

      »Also schön.« Er ging zurück zum Sofa, setzte sich und griff nach der Mappe. Vermutlich lag darin sowieso nur ein Zettel mit der Aufschrift Reingelegt! oder noch schlimmer: Klageschrift .

      Kaden fasste sich ein Herz und öffnete den Ordner. Doch nichts von dem, was er erwartet hatte, fand er vor. Stattdessen stand auf der ersten Seite die Überschrift Anforderungsprofil Assistent Dark Side Records . Das Ganze sah sehr offiziell aus und er schluckte unwillkürlich. Verdammt. Das war tatsächlich kein Scherz. Und kein Traum. Kadens Augen flogen über die Zeilen, die sich auf dem blütenweißen Papier erstreckten. Da stand wirklich eine ganze Menge, auch wenn es nur Stichpunkte waren.

      Automatisch begann er abzugleichen, ob er diese Anforderungen erfüllte. Der erste Punkt war Stressresistenz . Leicht rümpfte er die Nase. Das konnte er nicht einmal beantworten. Kam vermutlich auf den Stress an. Wenn er kopfüber an einem dünnen Seil über einem Becken voller Skorpione hängen würde, dann wäre es mit einem kühlen Kopf sicherlich vorbei.

      Verhandlungsgeschick war der nächste Punkt. Das war ein dickes, fettes Nein. Zumindest traute er sich so etwas nicht zu. Er konnte nicht einmal in einem Second-Hand-Store den Preis drücken. Traurig, aber wahr.

      Die Liste setzte sich über zwei Seiten fort:

      Reisefreudigkeit (Er hatte keine Ahnung, er war nie über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus gekommen.)

      Teamfähigkeit (Endlich, ein Ja.)

      Selbstmanagementfähigkeiten (Ein merkwürdiges Wort, aber er war schon der Meinung, dass er sich selbst organisieren konnte.)

      Tiefgreifendes Wissen über Künstler (Nein.)

      Tiefgreifendes Wissen über verschiedene Musikstile (Nein.)

      Tiefgreifendes Wissen über Musikproduktionsprozesse (Er wusste, wie man einen Musik-Player bediente, also nein.)

      Belastbarkeit (Ha! Ein weiteres Ja.)

      Abgabetermine einhalten (Nun ja, die Zimmer mussten ja immer möglichst schnell und ordentlich fertig sein, also vermutlich.)

      Flexibilität (Keine Ahnung, ehrlich.)

      Selbstsicherheit (In den letzten zwei Tagen wohl eher nicht.)

      Offenheit (Ja)

      Artikulationsfähigkeit (Er besaß eine Zunge, also ein Ja.)

      Hervorragende Kenntnisse in Grammatik (Ja.)

      sowie Betriebswirtschaftslehre (Nein.)

      und Rechnungswesen (Ein weiteres, dickes Nein.)

      und Schriftsatz (Was?)