Ava Patell

Ein Hauch von Vorsehung


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an dem ihm klar wurde, wie absolut unsinnig das Ganze war. Denn da stand allen Ernstes Modisches Erscheinungsbild . Und er hatte bereits bei zwei Menschen gesehen, was genau das bedeutete. Zum einen bei Darea Harrison. Elegant und durchgestylt bis hin zu den roten Fingernägeln, die absolut und haargenau zu dem roten Lippenstift gepasst hatten. Und zum anderen beim Geschäftsführer selbst.

      Mr. Nikolaj Sorokin. Ein Anzug, der vermutlich mehr kostete als Kaden in einem Jahr im Hotel verdient hatte. Er konnte nur den Kopf schütteln. Er besaß gerade mal drei Jeans. Und eine davon hatte ein Loch im Knie, weil er auf einer glatten Stelle ausgerutscht war. Sein Glück war nur, dass das gerade modern war.

      Kaden blätterte weiter und fand sich dann einer Stellenbeschreibung gegenüber. Und was er hier las, gab eine Menge mehr Aufschluss darüber, was ein Assistent so zu tun hatte. Begleitung zu sämtlichen Geschäftsterminen. Korrekturlesen sämtlicher verfasster Schriftstücke. Aufsetzen von Schriftstücken. Schreiben nach Diktat. Recherchearbeiten. Und im Grunde alles, was mit den Musikern zu tun hatte, managen. Kalkulationen erarbeiten für verschiedenste Veranstaltungen und Gelegenheiten. Daher also auch diese vage formulierte Aufgabe. Kontrollieren von Rechnungen. Er sah einen Moment auf die Wand gegenüber seines Schlafsofas. Also im Grunde all das, wofür der große Boss keine Zeit hatte? Er hatte vorher schon geahnt, dass dies ein ziemlich anspruchsvoller Job war, aber als er diesen Text las und sich jedes Wort, jedes Satzzeichen davon in sein Gehirn brannte, wurde ihm bewusst, wie anspruchsvoll.

      Schwer schluckte Kaden. Dann blätterte er weiter und die nächsten sieben eng beschriebenen Seiten waren die Kopie eines Arbeitsvertrags. Paragrafen über Paragrafen, die genau auflisteten, welche Rechte und Pflichten sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer hatten und er war baff. Krankenversicherung. Das war das Erste, über das Kaden stolperte. Alle Angestellten von DSR bekamen eine Krankenversicherung! Inklusive Zahnersatz! Das war weit mehr als nur großzügig. Das war absolut unüblich. Und so ähnlich ging es weiter.

      Urlaubstage. 18 Stück im ersten Jahr, mit der Option auf Anpassung, sollte der Arbeitsvertrag die Dauer von 12 Monaten überschreiten. Das war weit mehr als viele andere Amerikaner erhielten. Und noch dazu war dies bezahlter Urlaub! Denn das stand da auch:

      §24b: Die Lohn- und Gehaltszahlungen werden für die Dauer der vertraglich geregelten Urlaubstage fortgesetzt .

      Bezahlter Urlaub. Kaden blätterte auf die nächste Seite.

       §27a: Der Arbeitgeber verpflichtet sich zur Zahlung eines Weihnachtsgeldes, dessen Höhe und Angemessenheit der Arbeitgeber bestimmt.

      §27b: Die Zahlung des Weihnachtsgeldes kann unterbleiben, sollten sich hierfür in der Vergangenheit Gründe finden, die dem Wohle der Firma entgegenwirken oder sollte das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gestört worden sein . Ein ziemlich verschachtelter Paragraf, aber Weihnachtsgeld?! Da stand tatsächlich verpflichtet . Das hieß, rein rechtlich gesehen war man in der Lage, diese Zahlung sogar einzuklagen!

      Es folgte eine Auflistung der Wochenarbeitszeit, 40 Stunden, exklusive Pausen, und in einer Zeile stand das Gehalt. Da fielen Kaden schließlich fast die Augen aus dem Kopf. Das war ein Witz! Er drehte die Seite, sah auf die Rückseite, aber nichts deutete auf einen Druckfehler hin. 23 Dollar in der Stunde. Das machte einen Wochenlohn von 920 $. Was bedeutete, dass man am Ende des Monats sage und schreibe 3.680 amerikanische Dollar besaß! Im Hotel hatte er gerade einmal acht Dollar die Stunde verdient! Das war praktisch eine Verdreifachung seines Einkommens!

      In einem weiteren Paragrafen stand auch noch etwas von Sonderleistungen. Dieser Vertrag war zu schön, um wahr zu sein. Und er sollte diesen Vertrag unterschreiben? Das hielt Kaden für ein Gerücht. Zumal er sicher war, nicht einmal eine einzige Woche in dem beschriebenen Aufgabenfeld bestehen zu können. Überaktives Gehirn hin oder her. Und noch etwas wurde ihm bewusst. Nikolaj Sorokin hatte gar nicht seine Handynummer.

      Er schlug sich gegen die Stirn. Das war doch wohl das beste Zeichen, um ihm zu beweisen, dass das alles nur ein schlechter Witz war! Also schön. Kaden klappte den Ordner zu. Dann eben nicht. Er würde sich morgen eine Tageszeitung besorgen und nach einem Job suchen.

      ***

      Nikolaj senkte seinen Blick von Andy Gerwind, der gerade mit geschlossenen Augen im Tonstudio seinen kühlen, ruhigen Pop in das Mikrofon sang, und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. 11:14 Uhr am 27. Februar. Es war exakt drei Tage her, dass er Kaden Williams kennengelernt und mit den Unterlagen entlassen hatte, die sich der junge Mann hoffentlich zu Gemüte gezogen hatte.

      »Mario, ich muss kurz telefonieren«, sagte er zum Boss des bekannten Tonstudios Cosic . Der hatte den Kopfhörer schief auf den Ohren und spielte mit seinem Mischpult an den Einstellungen, um Nikolajs Künstler perfekt auszuloten.

      »Alles klar«, antwortete Mario lässig. Er hatte alles im Griff. Natürlich, immerhin hatte er über 20 Jahre Erfahrung und war damit gerade gut genug, um mit Nikolaj zusammen zu arbeiten.

      Nikolaj trat vor die Tür in den Eingangsbereich des Cosic , ging hinter die Bar und öffnete den Kühlschrank, um sich eine Flasche Orangensaft zu nehmen. Aus seiner Hosentasche zog er sein Handy, wählte dann die Nummer, die in seinem Handy unter 'Kaden Williams' eingespeichert war und öffnete mit der anderen Hand den Drehverschluss. Über die Stadt hinweg suchte sich das Mobilfunksignal seinen Weg und fand schließlich das altersschwache Handy von Kaden Williams, der gerade versuchte, trotz steif gefrorener Finger eine Zeitung aus der Auslage eines Zeitungsstandes zu ziehen.

      Seit 10 Minuten suchte er jetzt die passende Zeitung. Die mit den meisten Stellenanzeigen. Das Handy in seiner Hosentasche begann zu vibrieren und umständlich zog er es heraus. Eine ihm unbekannte Nummer stand auf dem Display.

      »Ja?«, nahm er das Gespräch an.

      »Mr. Williams, hier spricht Nikolaj Sorokin.«

      Um ein Haar wäre Kaden die Zeitung hinuntergefallen. Wieder einmal klappte ihm der Mund auf. »Äh«, war alles, was er herausbrachte.

      »Ich sagte ja, ich würde Sie nach drei Tagen anrufen. Hatten Sie Zeit, sich das Angebot anzusehen?«

      »Woher haben Sie diese Nummer?«, platzte Kaden heraus.

      »Miss Harrison hat sie besorgt.«

      Kaden blinzelte verwirrt. »Aha.«

      Es raschelte leise am anderen Ende. »Was sagen Sie zu dem Angebot?«

      »Es ist zu schön, um wahr zu sein.«

      »Mr. Williams, in solchen Angelegenheiten beliebe ich nicht zu scherzen«, sagte Nikolaj Sorokin fest.

      Kaden sah auf die Schlagzeile der Zeitung in seiner Hand ohne sie zu lesen. »Ich erfülle nicht einmal ein Drittel aller Anforderungen in Ihrem Portfolio, Mr. Sorokin. Sie sollten sich jemand anderen suchen.«

      »Das stimmt. Aber den Rest können Sie lernen.«

      Kaden schnaubte. Erneut. Wie konnte man bitte lernen, modisch zu sein? »Ich denke einfach nicht, dass ich der Richtige für Sie bin, Sir.« Der Zeitungshändler sah ihn merkwürdig an.

      »Gut. Sprechen wir über die Punkte, die Sie beschäftigen. Was ist das Erste, das Ihnen einfällt und das nicht auf Sie zutrifft?«

      »Dass ... Ich ...«

      »Kaufen Sie die Zeitung jetzt, oder was wird das hier?«, empörte sich der Zeitungshändler und Kaden stutzte.

      »Ja, ich ... Moment.« Er drehte sich leicht vom Stand weg. »Hören Sie, ich muss Schluss machen.«

      »Lassen Sie uns das persönlich besprechen, Mr. Williams. Sagen wir 17 Uhr in der London Street im Hauptsitz?«

      »Hey, junger Mann!«, motzte der Verkäufer jetzt wieder und Kaden stöhnte.

      »Also gut. Ja. 17 Uhr.« Er legte auf und drehte sich zu dem Verkäufer um, um die Zeitung zu bezahlen.

      Zu was hatte er da eigentlich gerade ja gesagt? Hatte er gerade wirklich zugesagt, sich um 17 Uhr mit diesem Mr. Sorokin zu treffen? War er denn total übergeschnappt? Mit